Martin Kahle Ludwig

Forschen, aber wie? (E-Book)


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wohler fühlt er sich», mit zahlreichen Textstellen aus dem Roman belegt werden (siehe Abschnitt 12.4.1).

      Thesen und Hypothesen müssen in einer wissenschaftlichen Arbeit aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und breit diskutiert werden. Die meisten Forschenden setzen sich zum Ziel, die Gültigkeit ihrer Behauptungen, in welcher Form sie auch immer formuliert seien, unter Beweis zu stellen. Das heisst, sie versuchen in einem sehr eng begrenzten Bereich etwas herauszufinden, was wahr ist.

      In der Disziplin der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie wird seit Jahrhunderten diskutiert, ob die Wissenschaft überhaupt «die Wahrheit» finden kann (vgl. Voss 2017, S. 30). Spätestens seit den Ausführungen des Philosophen Karl Popper (1902–1994) hat sich in der Wissenschaftswelt die Vorstellung durchgesetzt, man könne nicht davon ausgehen, dass wissenschaftliche Theorien wahr seien, das heisst, dass sie die Welt so beschreiben würden, wie sie wirklich sei.

      Im Bestreben, einen Prüfstein für die Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Theorien zu finden, stellte Karl Popper die Forderung auf, eine Theorie sei nur dann wissenschaftlich, wenn sie Voraussagen mache, die empirisch überprüft werden könnten. Wenn ein Fall auftrete, welcher der Theorie widerspreche, dann verliere die Theorie ihre Gültigkeit. Eine solche Widerlegung einer Theorie durch ein Gegenbeispiel nennt man «Falsifikation» (vgl. Prechtl & Burkard 1999, S. 175). Die Falsifizierbarkeit ist laut Popper das wesentliche Kriterium dafür, ob eine Theorie wissenschaftlich ist. Oder in seinen eigenen Worten: «Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können» (Popper 2005, S. 17). Dieses Scheiternkönnen ist überhaupt nicht negativ zu verstehen, denn das Scheitern ermöglicht gerade das, was in der Wissenschaft so eminent wichtig ist: den Fortschritt.

      Eine Theorie ist also dann wissenschaftlich, wenn folgende Frage beantwortet werden kann: Was muss eintreten, damit die Theorie verworfen wird? Diese Frage kann beispielsweise eine astrologische Theorie nicht beantworten.

      Die beiden folgenden Beispiele berichten von zwei Theorien, die zum Zeitpunkt ihrer Ausformulierung zwar nicht überprüft werden konnten, bei denen aber angegeben werden konnte, unter welchen Umständen sie scheitern würden.

      Zu Beginn des 17. Jahrhunderts formulierte Galileo Galilei (1564–1642) mit seinen Fallgesetzen eine neue Theorie der Schwerkraft. Sie ersetzte die bis dahin gültige Theorie von Aristoteles (viertes Jahrhundert vor Christus), dass schwere Objekte schneller zu Boden fallen als leichte. Gemäss Galileis neuer Theorie würden im luftleeren Raum alle Objekte den Boden gleich schnell erreichen. Da zur Zeit von Galilei noch keine luftleeren Glasröhren herstellbar waren, konnte er dieses Experiment zwar nicht durchführen, er hatte damit aber eine Möglichkeit der Falsifikation angegeben. Das Experiment konnte erst nach seinem Tod durchgeführt und die Theorie damit verifiziert werden (vgl. Stillwaggon 2015, S. 347 f.).

      Albert Einstein beschrieb in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie, die er im November 1915 veröffentlichte, dass das Gravitationsfeld der Sonne das Licht von weit entfernten Sternen ablenkt. Dieses abgelenkte Licht konnte allerdings nicht beobachtet werden, weil es vom Sonnenlicht «überstrahlt» wird. Einstein hatte aber so eine Möglichkeit angegeben, seine Theorie zu falsifizieren. Die Theorie kam im Jahr 1919 auf den Prüfstand, als eine totale Sonnenfinsternis die Beobachtung ermöglichte: Licht wird tatsächlich von der Sonne abgelenkt, und zwar genau in dem Ausmass, wie es Einstein berechnet hatte (vgl. ebd., S. 340 f.).

      Die Theorien von Galilei und Einstein waren beide auf ihre Gültigkeit überprüfbar und entsprachen somit der Forderung Poppers nach der Falsifikationsmöglichkeit.

      Auch eine Maturaarbeit kann einen Mosaikstein zum wissenschaftlichen Fortschritt beitragen, besonders dann, wenn die Fragestellung sehr eng gefasst ist. Mit welcher Methode auch immer Sie arbeiten und ob Sie Ihrer Untersuchung mit einer These oder einer Hypothese die Richtung vorgeben, das zentrale Moment des wissenschaftlichen Arbeitens ist das Argument.

      Ein Argument ist eine Aussage, die eine Behauptung (These oder Hypothese) begründet oder widerlegt. Ein Argument besteht aus einer oder mehreren Prämissen (Voraussetzungen, Annahmen) und aus einer Schlussfolgerung (Konklusion) (vgl. Prechtl & Burkard 1999, S. 92). Wenn die Prämissen wahr sind und ein gültiges Schlussverfahren verwendet wird, dann ist auch die Konklusion wahr. Eine Verknüpfung von mehreren Argumenten nennt man eine Argumentation (vgl. ebd., S. 43).

      Wie gut es Ihnen gelingt, die Leserinnen und Leser von einem Argument zum nächsten zu führen und so eine Argumentationskette aufzubauen, hängt nicht nur von der Hieb- und Stichfestigkeit Ihrer Aussagen ab, sondern auch von ihrer formalen Verknüpfung.

      Betrachten Sie das Niederschreiben der Forschungsresultate als Prozess und räumen Sie ihm entsprechend Zeit ein. Das fortwährende Niederschreiben der gewonnenen Erkenntnisse bewirkt, dass Sie Ihre Gedanken präzise erfassen, prüfen und miteinander in Beziehung bringen. Erst zu Papier gebrachte Gedanken können überblickt, neu geordnet und mit Brücken von einem Gedanken zum anderen versehen werden (vgl. Kruse 2015, S. 59).

      Die Maturaarbeiten richten sich nicht an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einer universitären Disziplin, sondern der Adressat ist ein Publikum mit guter Allgemeinbildung. Beim Schreiben dürfen Sie den Stand des Allgemeinwissens voraussetzen, den Ihre Klassenkameradinnen und -kameraden im Lauf der Schulzeit erlangt haben. Fachbegriffe und Konzepte, die über dieses Wissen hinausgehen, sollten erklärt werden.

      Das Überarbeiten der Texte ist ein zentrales Merkmal des wissenschaftlichen Schreibens. Falls Sie – wie empfohlen – Ihre Gedanken fortwährend festhalten, ergibt sich das mehrmalige Überarbeiten von selbst, denn Sie wissen ja im Lauf Ihres Forschungsprozesses immer mehr und immer Genaueres (vgl. ebd., S. 60). Zusätzlich sollten Sie Ihre Textteile während des Entstehungsprozesses von anderen Personen (Mitschülerinnen, Betreuern) gegenlesen lassen. Nutzen Sie die Feedbacks dazu, den Text klarer, verständlicher und übersichtlicher zu machen.

      In wissenschaftlichen Publikationen liest man anstatt «ich, mein, mir» folgende oder ähnliche Wendungen: «Die Analyse ergibt»; «Das Ergebnis unterstreicht»; «Man kann vermuten»; «Es lässt sich zeigen» und Passivkonstruktionen wie «Es wurde weiter oben dargelegt» (vgl. ebd., S. 143). Damit stellen die Schreibenden die Sache ins Zentrum und nicht sich selbst. Sie vermeiden es, ins Persönliche abzugleiten. Entscheidend ist aber nicht, ob Sie in Ihrem Text das Pronomen «Ich» verwenden, sondern wie Sie es verwenden. Sie dürfen die Leserin oder den Leser im eigenen Namen auf etwas hinweisen wie «Im nächsten Kapitel werde ich auf diese Ergebnisse eingehen» oder eine methodische Anmerkung machen wie «Daher wählte ich dieses Vorgehen». Es darf im Text aber nie um Ihre persönlichen Erfahrungen und Gefühle gehen, beispielsweise «Nach langem Kopfzerbrechen und einigen Gesprächen mit meiner Betreuerin fühlte ich mich mit dieser Methode am wohlsten».

      Wenn Sie wissenschaftlich schreiben, nehmen Sie auch Bezug auf andere Texte. Sie bemühen sich, die gewählte Quelle möglichst genau zu verstehen, Sie geben deren Aussage korrekt wieder, und Sie legen ihre Bedeutung für die eigene Arbeit dar. Wie Sie Fachliteratur und andere Quellen ausweisen und korrekt in Ihren Text einbauen, erfahren Sie in Abschnitt 2.3.

      Nun haben Sie gelernt, was wissenschaftliches Argumentieren heisst, Sie haben die Grundzüge von Forschung als Wahrheitssuche und Falsifizierbarkeit als Abgrenzungskriterium für wissenschaftliche Theorien kennengelernt, und Sie haben Tipps erhalten, wie Sie Ihre Gedanken in einer angemessenen Sprache ausdrücken.

      Eines bleibt noch zu klären: An der Kick-off-Veranstaltung für Maturaarbeiten wurde höchstwahrscheinlich erwähnt, dass Sie eine eng gefasste Fragestellung einreichen sollen, denn je stärker Sie Ihre Untersuchung fokussieren, desto eher sei es möglich, nach wissenschaftlichen Prinzipien vorzugehen und dabei etwas Neues herauszufinden