Jürg Brühlmann

Expertise sichtbar machen (E-Book)


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der Umsetzung laufend situativ angepasst. Nach der beruflichen Sequenz können die Erfahrungen nochmals analysiert und mit Learnings weitergenutzt werden.

      Frageraster zur Planung von modellierten Sequenzen

      Um die Planung von Sequenzen für beobachtende Studierende zu erleichtern, können die folgenden Fragen für die Analyse der Gelingensbedingungen hilfreich sein.

      Vor der Situation planbare Aspekte

      –Was weiss ich aus Analyse, Vorerfahrungen, Vorwissen? Was sind bisherige Erfahrungen mit den bekannten oder vergleichbaren Personen und Gruppen in ähnlichen Situationen? Auf welches berufliche Wissen beziehe ich mich?

      –Worauf stelle ich mich ein? Plane ich mögliche Alternativen?

      –Was sind die beruflichen und persönlichen Standards, auf welche ich mich beziehe? An welche internen Regeln, Vorgaben der Einrichtung, welchen state of the art, welche berufliche Ethik, bewährte persönliche Vorgehensweisen und Routinen werde ich mich halten?

      –Wie plane ich die räumliche und zeitliche Inszenierung, die Dramaturgie, den Materialeinsatz, mögliche Interventionen? Wie kann ich die Situation glaubwürdig, kohärent und effizient vorbereiten und gestalten? Dazu gehören unter anderem Raumgestaltung, Zeitpunkt, Dauer, Abläufe, Sequenzierung und Rhythmisierung, Art der Führung, Kooperation und Partizipation, Settings und Sozialformen, Materialvorbereitung, mein(e) Standort(e), Bewegungen.

      In der Situation gestaltbare Aspekte

      –Welche Bilder, Gefühle, Stimmungen, Körpersensationen, Ressourcen nehme ich bei mir wahr?

      –Was kann ich in der Situation bei den Klienten und anderen Menschen beobachten und wahrnehmen?

      –Was sind meine Interpretationen, Hypothesen, Vermutungen?

      –Welche Möglichkeiten, Vorgehensvarianten, Alternativen bieten sich? Wo sind Entscheidungen nötig? Wie priorisiere ich?

      –Auf welche Erfahrungen, Routinen, Abmachungen, Regeln, Vorschriften, Theorien nehme ich Bezug?

      –Welche Ressourcen kann ich erkennen? Was traue ich in der Situation jemandem zu, was nicht und weshalb? Was kann die Klientin selbst beisteuern, mitentscheiden? Was könnten andere Klienten, ich selbst, Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte oder Material und Hilfsmittel beitragen?

      –Wie gehe ich in der Situation konkret vor? Was, wie und wozu tue ich etwas? Wie setze ich Material, meine Stimme, meinen Körper, meine Hände ein? Wo stehe ich, wie sitze ich, wie bewege ich mich, wohin lenke ich meine Aufmerksamkeit?

      –Wozu und wie schaffe ich Transparenz für die Teilnehmenden?

      Nach der Situation reflektierbare Aspekte

      –Wie bin ich wie vorgegangen? Welche Alternativen wären möglich gewesen? Was ist gelungen? Weshalb ist es gelungen?

      –Wo zeigten sich Stolpersteine? Wo gab es Probleme? Wie habe ich sie erkannt? Wie bin ich damit umgegangen? Was gibt es daraus zu lernen? Was wären alternative Vorgehensweisen? Welche Erkenntnisse gewinne ich?

      Manchmal entscheiden unscheinbare, aber wichtige Berufsgeheimnisse über das Gelingen von situativ gestalteten Situationen mit Klienten. Mit dem Sprechen darüber können sie kontextbezogen im Moment erläutert werden.

      Erfolgreiche Sportlerinnen oder virtuose Künstler können oft kaum erklären, worauf sich ihr Erfolg zurückführen lässt. Sobald sie selbst ausbilden, müssen sie hingegen umfassend Bescheid wissen und berufliche Expertise vermitteln können. Dazu gehört auch emotionales, sensomotorisches und prozedurales Wissen, welches berufliches Verhalten steuert. Die Kunst der Ausbildenden besteht darin, ihr oftmals stilles Wissen (tacit knowledge, knowing in action) in Form von reflection on action bewusst und verfügbar zu machen.11 Dieses Wissen ist oft mit unbewussten, früheren Erfahrungen verknüpft, die auch emotional und sensorisch abgespeichert sein können (embodied knowledge).

      «Modeling mit MetaLog ist eine gute Technik, um Lernenden Hintergrundwissen während der Durchführung derselben zu vermitteln, quasi ein erklärender Untertitel bei einem Film.»

      Elmar Tratter,

      Dozent Gesundheits- und Sozialberufe

      «Die Ausbilderin ist gezwungen, ihr Expertinnenwissen zu explizieren und Handlungs-entscheidungen transparent zu machen.»

      Klaus Müller,

      Dozent für Gesundheit und Soziale Arbeit

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       Abbildung 3: Bewusste Kompetenz als ideale Voraussetzung für das Ausbilden in der Berufssituation

      Diethelm Wahl12 sagt es prägnant: «Was ist ein Praktiker? Das ist ein Mensch, bei dem alles funktioniert, aber er weiss nicht, warum. Was ist ein Theoretiker? Dies ist ein Mensch, der zwar weiss, wie es geht, bei dem aber nichts funktioniert». Das Denken während des Tuns kann irritieren und die Selbstverständlichkeit der Handlung verunsichern.

      Verlangsamung ermöglicht Bewusstheit

      Diethelm Wahl schlägt deshalb vor, handlungsleitende, subjektive und oftmals implizite Theorien durch vielfältige Formen des Bewusstmachens explizit und damit bearbeitbar zu machen. Implizit bedeute nicht, dass Wissen nicht bewusstseinsfähig wäre. Wenn Fachpersonen in typischen, wiederkehrenden Situationen agieren oder unter Druck handeln, sei ein hoher Prozentsatz ihrer innerpsychischen Prozesse nicht im Bewusstsein, obwohl sie durchaus erkennen können, was sie denken, fühlen und wie sie im Detail agieren. Wahl empfiehlt, mitten im aktuellen Geschehen mit erhöhter Aufmerksamkeit selbstbeobachtend auf den üblicherweise implizit verlaufenden Handlungsprozess zu achten, auch wenn damit Handlungssicherheit verloren geht. Durch die bewusste Wahrnehmung eigener Gefühle und Gedanken werde zwar spontanes, intuitives und routiniertes Agieren verlangsamt. Der Gewinn sei aber, dass der bewusstmachende Effekt deutlich stärker sei als bei nachträglicher Selbstreflexion.13

      «Die Praxislehrkraft benötigt neben den pädagogischen Kompetenzen, fachliche (Sachanalyse), methodische (Struktur der Anleitung), personale (Bedingungsanalyse) und sozial-kommunikative (Durchführung der Anleitungssituation) Kompetenzen.»

      Ellen Rewer,

      Lehrkraft für Bildung im Operationsdienst, Gesundheitswesen

      Ansprüche an die Praxisausbilderinnen

      Für die Ausbilderinnen wird die berufliche Tätigkeit durch die Verlangsamung anforderungsreicher. Ihre Aufmerksamkeit liegt gemäss Wahl nicht nur auf der Steuerung der beruflichen Handlungsprozesse, sondern auch auf der detaillierten Wahrnehmung des eigenen Handelns. Im Modus der Selbstbeobachtung während der beruflichen Tätigkeit handelt eine Fachperson als Subjekt und ist gleichzeitig Objekt ihrer Beobachtung.

      Routinierte Fachpersonen sind sich Details ihrer Kompetenz oftmals nicht mehr bewusst. Sie handeln stark intuitiv. Im Hintergrund wirkt ihre Erfahrung unabhängig von der damit entwickelten Qualität oder Kompetenz.14 Die Kunst besteht darin, dieses erst einmal unbewusste, schweigende und mit Situationen verknüpfte Wissen bewusst zu machen und anderen Personen aktiv zur Verfügung stellen zu können, ohne Erkenntnisse aus Einzelfällen zur Regel zu machen.15 Für die Ausbildung ideal wäre die bewusste Kompetenz der Fachperson: Ich weiss, dass ich weiss, was ich weiss.

      Situative Bewusstheit als Chance auch für die Klienten

      Skeptiker befürchten, dass eine gewisse Illusion der Reflexivität, wie es Bourdieu nennt, hemmend wirke, «weil sich die Akteure der sozialen Bedingtheit und Vermitteltheit dessen, was sie als gegeben und unmittelbar einleuchtend wahrnehmen, gar nicht bewusst sein können – weil sie also gerade nicht wissen, was sie tun. Nur von einem Standpunkt außerhalb ihrer Praktiken und im Bruch mit ihrem Selbstverständnis und dem Common Sense lässt sich erkennen, was sie selbst nicht zu sehen in der Lage sind.»16 Gut ausgebildete und erfahrene