handelt sich offensichtlich um eine frontale, von der Lehrperson geleitete Unterrichtssituation. Ob sie ein fragend-entwickelndes Vorgehen oder ein interaktives Unterrichtsgespräch gewählt hat, ist unklar. Es ist Teil jeder didaktischen Vorbereitung zu entscheiden, welche Ziele mit welcher methodischen Vorgehensweise erreicht werden sollen. Man darf aus der Fallbeschreibung schließen, dass diese Klärung für die Lehrperson nicht im Vordergrund steht. Vielleicht versuchte sie eine Mischform von einem fragend-entwickelnden und einem interaktiven Unterrichtsgespräch zu realisieren und verbindet damit implizit die Vorstellung: Je lebendiger, desto besser; je mehr Lernende sich beteiligen, umso lebendiger.
Lösungsansätze
Klärung der pädagogischen Ziele und bewusste Wahl der Unterrichtsmethode
Die Lehrperson muss sich selbst im Klaren sein, was sie in einer bestimmten Lektion an Lernzielen und an lektionsübergreifenden Richtzielen erreichen will. Darauf aufbauend entscheidet sie über die genauen Inhalte und über das methodische Vorgehen im Unterricht. Dabei ist es notwendig, dass sich die Lehrperson in die Situation der Lernenden versetzt: Wer sind meine Schülerinnen und Schüler? Wo kommen sie her? Welchen Erfahrungshintergrund haben sie? Welche Ziele können für sie wichtig sein? Wo haben sie Stärken, wo haben sie Schwächen? Was ist für sie interessant? Was ist ihnen wichtig? Mit welchen Vorgehensweisen kann ich sie optimal unterstützen? Was sind besondere Herausforderungen, welche diese Lernenden an mich als Lehrperson stellen?
Möglicherweise zeigen solche Überlegungen, dass das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch nicht die optimale Unterrichtsform ist, jedenfalls nicht über die gesamte Länge von ein oder sogar zwei Lektionen.
Zur Frage der Motivation der Schülerinnen und Schüler
Aus der Motivationsforschung ist bekannt, dass die Bereitschaft, eine persönliche Leistung zu erbringen, wächst, wenn ein persönlicher «Gewinn» sichtbar ist. So tragen Aspekte wie Selbsterkenntnis (ich lerne mich besser kennen), Belohnung (materiell, immateriell), Erfahrungen der eigenen Tüchtigkeit (ich bringe etwas fertig), Wirksamkeit (die Leistung zeigt eine erkennbare Wirkung), Selbstverwirklichung (ich kann meine Stärken und Fähigkeiten entdecken und entwickeln), Lust (Leistungstätigkeit als lustvoll erleben) zu einer Steigerung der Motivation bei (Heckhausen und Heckhausen 2010). Die Lernenden müssen somit erleben können, dass sie von ihrer Gedankenarbeit selbst profitieren und sie als sinnvoll wahrnehmen. Damit die Lernenden den «Profit» für sich erkennen, müssen sie wissen, welche Ziele erreicht werden sollen bzw. ob sie die Ziele erreicht haben (Rückmeldung zu den individuellen Leistungen). Zu den Zielen gehören nicht nur inhaltliche Lernziele, sondern auch zu erwerbende Kompetenzen wie z. B. Selbstständigkeit, Teamfähigkeit oder Kommunikationsfähigkeit.
Im Fallbeispiel scheint ein an den Lernzielen orientierter persönlicher Gewinn für die Schülerinnen nicht ersichtlich zu sein. Das Argument der Notenrelevanz scheint zu wenig gewichtig (und ist pädagogisch fragwürdig); der Hinweis auf das «Berufsmatur-Training» greift vermutlich nicht, weil sich die Lernenden noch nichts darunter vorstellen können. Sie müssen direkt erfahren können, was ihnen die mündliche Beteiligung bringt: fachlich besser werden (Kompetenzerfahrung), sich frei ausdrücken, gut formulieren und mit anderen argumentieren können (Kommunikationsfähigkeit). Dazu braucht es Phasen im Unterricht, in denen spezifisch an diesen Zielen gearbeitet wird und in denen die Lernenden auch Feedback zu ihrem Wissen und Können erhalten. Diese Phasen werden in der Regel nicht volle Lektionen umfassen, weil sie für alle Beteiligten – Lehrperson wie Lernende – anspruchsvoll und anstrengend sind. Die Phasen können in Lehrvorträgen, in medialer Wissensvermittlung oder in Einzel- oder Partnerarbeit eingebettet werden. Interaktive Phasen sind mit gut überlegten Fragestellungen und genügend Zeit für die Erarbeitung von Antworten zu gestalten. Das herkömmliche fragend-entwickelnde Gespräch kann dann ergänzend zur Klärung weiterer Fragen, jedenfalls aber in eng begrenztem zeitlichem Umfang, eingefügt werden. Damit werden eine Rhythmisierung des Unterrichts sowie eine Transparenz der Ziele erreicht, was den Lernenden die aktive Teilnahme am Unterrichtsgeschehen erleichtert.
Ein konkreter Vorschlag für die Gestaltung eines eingebetteten Unterrichtsgesprächs
Um ein Unterrichtsgespräch in Gang zu bringen, ist es oft hilfreich, ein Sachgebiet zuerst in Stillarbeit oder in Partnerarbeit erarbeiten und diskutieren zu lassen und erst in einer zweiten Runde zu einem Plenumsgespräch überzugehen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten dadurch Gelegenheit, sich mit dem Themengebiet bekannt zu machen und sich in der Diskussion mit einem Banknachbarn oder einer Banknachbarin gegenseitig auszutauschen und Sicherheit zu gewinnen, bevor man sich mit seinem Beitrag vor die gesamte Klasse wagt (das «Sichexponieren» wird einfacher). Die Ergebnisse dieser Vorbereitungszeit kann man beispielsweise auf einzelne Blätter schreiben lassen und an der Tafel anheften und gruppieren. Die Lernenden ergänzen mit Argumenten und die Lehrperson gibt Rückmeldungen zu den Ergebnissen. Am Schluss kann die Lehrperson eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Erkenntnissen an der Tafel festhalten oder die Lernenden formulieren die wesentlichen Aspekte selbstständig. Dabei ist es wichtig, dass die Ergebnisse von Partner- und Gruppenarbeiten nicht «nachgebessert» werden, sondern anhand von Zielvorgaben geprüft wird, ob die gesteckten Ziele erfüllt werden. So kann es gelingen, dass die Lernenden Verantwortung für die Qualität der Inhalte (mit-)übernehmen und merken, dass ihre Beiträge inhaltlich wichtig sind und zielorientierten Ansprüchen gerecht werden müssen. Des Weiteren werden durch diese Arbeitsweise Lehrperson und Lernende vom Druck entlastet, dass die Stunden lebendig sein sollen (der stille Vorwurf, dass sich Lernende mehr beteiligen müssen, soll aufgehoben werden). Grundsätzlich gilt es daher, die Unterrichtsgespräche zeitlich kurz zu halten und in andere Formen einzubetten (siehe z. B. Gudjons 2011).
Grundsätzliche Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung durch einen systemischen Ansatz
Es ist eine Tatsache, dass das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch eine weit verbreitete und sehr häufig eingesetzte Unterrichtsform ist. Gleichzeitig verlaufen solche Stunden nicht selten in der Weise, wie sie aus dem Fallbeispiel zu erahnen ist. Eine fragend-entwickelnde Form lässt sich aufbrechen, wenn anstelle eines Frage-Antwort-Verfahrens im Frontalunterricht generell mehr Partner-, Einzel- und Kleingruppenaufträge sowie vorbereitete Kurzvorträge durch die Lehrperson (und auch Lernende) eingesetzt werden. Bei Partner- und Kleingruppenarbeit ist der Zusammensetzung der Gruppen besondere Beachtung zu schenken (siehe Fallbeispiel «Trittbrettfahrer bei der Arbeit in Gruppen»).
Wenn andere Lehrpersonen ähnliche Probleme haben, wird eine grundsätzliche systemische Verbesserung nötig: Die Lehr-/Lernkultur in der Schule ist unter den Lehrpersonen zum Thema zu machen, z. B. im Klassenkonvent oder bei der Planung schulinterner Fortbildung. Fragen zur guten Gestaltung von Unterrichtsgesprächen, zum Stellenwert, zur Bewertung und zur Förderung der mündlichen Beteiligung im Unterricht sollten vom Lehrerkollegium thematisiert werden. Die Beschlüsse können dann von der Schule als Ganzes getragen werden. Die Lernenden werden über das gemeinsame Vorgehen des Lehrerkollegiums informiert und erfahren eine gezielte Förderung und Verbesserung.
Eine gute und kurzfristig praktizierbare Möglichkeit ist die Zusammenarbeit unter Lehrpersonen, auch in Form von Praxis-Forschungskooperationen (Kyburz-Graber 2013). In solchen Kooperationen lassen sich Probleme der mangelnden mündlichen Beteiligung untersuchen und gemeinsam Lösungen umsetzen. Z. B. können sich Lehrpersonen in Unterrichtsmethoden oder in der Moderationstechnik weiterbilden, da Kompetenzen in diesen Bereichen notwendig sind, um u. a. gute Diskussionen in Gruppen zu führen.
Literatur
Ajzen, I. und Fishbein, M. (1977). Attitude-Behavior Relations: A Theoretical Analysis and Review of Empirical Research. Psychological Bulletin 84 (5), pp. 888 – 918.
Dubs, R. (2009). Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. 2., vollständig neu bearbeitete Auflage. Zürich: SKV.
Grell, J. und Grell, M. (2010). Unterrichtsrezepte. 12., neu ausgestattete Auflage. Weinheim: Beltz.
Gudjons, H. (2011). Frontalunterricht – neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. 3., aktualisierte Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Heckhausen,