Situation, wobei sich Selbstbestimmung nicht zwingend und ausschließlich auf eine selbstbestimmte Themenwahl (z. B. Auswahl der Kurzgeschichte) beziehen muss. Selbstbestimmung bedeutet auch, dass Lernende zunächst ihren eigenen Weg der Textanalyse einschlagen können. In einer späteren Phase kann die Lehrperson dann zeigen, wie sich weitergehende Ebenen der Geschichte erschließen lassen.
Gruppendynamische Prozesse
Die Lehrperson hält fest, dass sich die Mitarbeit in der ganzen Klasse als problematisch erweist. Problematisch deshalb, weil die Lernenden eine Verweigerungshaltung nicht nur in Bezug auf die inhaltliche Auseinandersetzung an den Tag legen, sondern auch im Hinblick auf die mündliche Beteiligung (zur Frage der mündlichen Beteiligung siehe Fallanalyse 2). Diese gleichgültige Haltung der Lernenden (z. B. Aufgaben bewusst nicht erfüllen oder Passivität beim kooperativen Lernen) bezeichnet Dubs (2009) als «unerwünscht». Diese unerwünschte Haltung der Lernenden kann innerhalb der Lektion eine entsprechende Gruppendynamik begünstigen und das unerwünschte Verhalten von einzelnen Lernenden kann auf die ganze Klasse abfärben. Hierzu halten Oerter und Dreher (2008) fest, dass im Jugendalter die Rolle der Peers bezüglich Anerkennung, Verhalten, Wertvorstellungen usw. immer wichtiger wird, weshalb auch unerwünschtes Verhalten, wenn es zur Gruppennorm wird, zu einem Konformitätsdruck führen kann und von der Peer-Gruppe als ‹cooles› Verhalten honoriert wird.
Lösungsansätze
Die Förderung von Interesse an Lektürearbeit
Um das Bildungsziel zu erreichen, dass sich Jugendliche durch Lektüre in vertiefender Weise mit fremdsprachiger Literatur auseinandersetzen, sollte versucht werden, auf methodischem Weg die Bereitschaft und das Interesse für die Lektürearbeit zu fördern. So können die Lernenden beispielsweise eigene Fragestellungen entwickeln, die sie an den Text herantragen wollen; sich in (arbeitsteiligen) Gruppen über spezifische Themen selbstständig auszutauschen, ohne sich gegenseitig zu behindern und/oder ihre Eindrücke und Erkenntnisse in gemeinsam definierten Produkten (z. B. ein Rollenspiel aus den Charakteren abzuleiten; die Geschichte zu erweitern; sie auf verschiedenen Sprachniveaus nachzuerzählen; eine Hypothese aufzustellen, zu der die Lernenden Stellung beziehen) festzuhalten.
Ein weiterer Lösungsansatz auf der Ebene des Unterrichts zur Förderung intrinsischer Motivation ist, verschiedene Aufgaben (z. B. verschiedene Kurzgeschichten bzw. unterschiedliche Aufträge) zur Verfügung zu stellen, wobei die selbst getroffene Wahl der Aufgabe verpflichtend ist. So werden sowohl motivierte, meist leistungsstärkere wie auch leistungsschwächere Lernende angesprochen, da sie sich in einem klar umrissenen Rahmen ihren eigenen Interessen folgend mit der Kurzgeschichte auseinandersetzen können.
Werden die Lernenden mitverantwortlich in die Stoffauswahl einbezogen, erhöht dies ihre Bereitschaft, sich auch auf Themen einzulassen, die von der Lehrperson ausgewählt und vorgegeben werden (Gage und Berliner 1996). Eine sinnvolle Stoffauswahl besteht somit aus einer Mischung aus begründeten Schwerpunktsetzungen von Seiten der Lehrperson und Präferenzen der Lernenden. Die Inhalte der so getroffenen Stoffauswahl sollen anschließend unter dem Einsatz eines vielseitigen und abwechslungsreichen Methodenrepertoires, bei welchem sich unterschiedliche Lerntypen angesprochen fühlen, bearbeitet und erschlossen werden.
Die Lehrperson muss aber vor allem auch den Lernenden zeigen können, welches Ziel mit dem Unterrichtssetting angestrebt wird und was die Lernenden am Schluss der Stunde können sollen.
Im Fallbeispiel hat sich die Lehrperson ganz offensichtlich zu wenig auf die Voraussetzungen der Lernenden eingelassen. Das ist auch für erfahrene Lehrpersonen immer wieder eine große Herausforderung (und Kunst). Wenn man als Lehrperson aber nach einer Unterrichtsstunde feststellt, dass die Ziele nicht erreicht werden konnten – wie im Fallbeispiel nach dem Halbklassenunterricht – heißt es über die Bücher zu gehen: Warum konnten die Ziele nicht erreicht werden? Welche Voraussetzungen haben bei den Lernenden gefehlt? Was muss in der Weiterführung des Unterrichts anders angepackt werden? Im vorliegenden Fall wäre mit solchen Überlegungen deutlich geworden, dass die Lehrperson nicht im gleichen Stil (Bearbeitung von Aufträgen in Gruppen) weiter verfahren kann. Sie hätte einen Einschub machen und an einer kleinen Geschichte oder einem Ausschnitt aus der Kurzgeschichte modellierend zeigen müssen, worum es bei einer «tieferen Ebene» geht. Sie hätte dann Anregungen mit einigen Beispielen von Fragestellungen geben können, wie die Lernenden sich selbst an einer vertiefenden Analyse versuchen könnten, eher in Partnerarbeit als in der gruppendynamisch schwierigeren Gruppenarbeit. Wenn die Schülerinnen und Schüler die Wahl erhalten, die für sie interessanten Fragen auszuwählen und zu bearbeiten, kann ein wichtiges Element der Motivationsförderung realisiert werden: die Selbstbestimmung.
Vorgehensweisen bei Verweigerung der mündlichen Mitarbeit
Im vorliegenden Beispiel ist die Situation für einen interessanten Austausch unter den Lernenden nach der wenig erfolgreichen Gruppenarbeit kaum erfolgversprechend. Sie mussten erfahren, dass sie allein nicht auf die erwarteten Antworten kommen, sie brauchten die Unterstützung der Lehrperson. Vielleicht hat sie nonverbal signalisiert, dass sie mit den Leistungen nicht zufrieden ist. Die Voraussetzungen für ein Unterrichtsgespräch sind also denkbar schlecht. Da bringen auch gut ausgedachte Fragen nicht mehr viel (vgl. hierzu Dubs 2009).
Spätestens nach der wenig erfolgreichen Gruppenarbeit muss die Lehrperson selbst aktiv werden und darlegen, was aus der Geschichte herausgeholt werden kann. Sie kann dabei Aussagen aus den Gruppen, die sie mitbekommen hat, einflechten oder darauf Bezug nehmen. Auch die Reaktion der Lernenden wird ihr Hinweise geben, ob und wie sie sie einbeziehen kann. Zum Beispiel indem sie eine Aussage aus der Gruppenarbeit aufnimmt und daran zeigt, wie sie noch zu verfeinern ist.
Anzeichen, dass sie selbst eine modellierende Rolle übernehmen muss, hat die Lehrperson bereits nach dem Halbklassenunterricht wahrnehmen können. Nachdem die Lernenden feststellen mussten, dass sie das gewünschte Ziel nicht erreichen konnten, liegt es an der Lehrperson zu zeigen, was denn mit der «tieferen Ebene» wirklich gemeint ist.
Literatur
Deci, E. L. und Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik 39 (2), S. 223 – 238.
Dubs, R. (2009). Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. 2., vollständig neu bearbeite Auflage. Zürich: SKV.
Edelmann, W. und Wittmann, S. (2012). Lernpsychologie. 7., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz.
Gage, N. L. und Berliner, D. C. (1996). Pädagogische Psychologie. 5., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz PVU.
Heckhausen, J. und Heckhausen, H. (2010). Motivation und Handeln. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Heidelberg: Springer.
Mietzel, G. (2007). Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens. 8., überarbeitete und erweiterte Auflage. Göttingen: Hogrefe.
Rudolph, U. (2007). Motivationspsychologie. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz PVU.
Oerter, R. und Dreher, E. (2008). Jugendalter. In: R. Oerter und L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. 6., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz PVU. S. 271 –283.
Trittbrettfahrer bei der Arbeit in Gruppen
Titel Trittbrettfahrer bei der Arbeit in Gruppen
Fach Biologie
Schultyp Kurzzeitgymnasium
Klassenstufe 3. Klasse /11. Schuljahr
Klassengröße 21
Zusammensetzung der Klasse Keine Angabe
Besondere Umstände Doppellektion im Rahmen der Übungslektionen Biologie
Beschreibung des Falles
Im Rahmen der Übungslektionen im Fach