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Welche Bildung braucht die Wirtschaft?


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als in der politischen und erkenntniskritischen Bewertung erscheint hier ein Denkstil, eine Lebenshaltung, ein Zeitgeist, der seine Macht dem zeitgenössischen Umgang mit dem Bedürfnis nach Orientierung und Hingabe verdankt.

      Diese Versuche, das Phänomen zu begreifen, treffen wichtige Aspekte. Das Phänomen ist vielschichtig, es tritt in der Tat als politische Strategie von Institutionen wie der OECD auf. Die Verwechslung von etwas und jemand ist offenkundig, die instrumentalisierende Denkform leicht nachweisbar. Und ja, es gibt den Ökonomismus als haltgebende, orientierende Ideologie. Indes lassen sich die drei Beschreibungen nicht auf eine unter ihnen zurückführen, sodass offen ist, was denn der Kern des Phänomens sei, von dem her sich die Vielzahl der Erscheinungsformen als Ganzes begreifen ließe. Das heißt, dass wir die Reformen noch gar nicht verstanden haben und also nicht wissen, was hier eigentlich geschieht. Wir können nicht sagen, ob die Reformen gut sind oder nicht. Wir finden keinen gemeinsamen Horizont, von dem her wir uns über die Bewertung der Reformen verständigen könnten. Darum können wir auch unsere ethische und demokratische Verantwortung nicht übernehmen.

      Offenbar geht es in der Debatte um Methoden und Ziele unserer Bildungsanstrengungen auch um weltanschauliche Fragen. Nicht nur um pragmatische Ziele, sondern auch um den Ansatz, von dem her das Menschsein und Menschwerden im Westen des 21. Jahrhunderts zu interpretieren sei und an welchen Idealen es sich orientieren solle. Offenbar konkurrieren hier nicht nur sachliche Positionen, sondern auch Blickrichtungen, Weisen, den Menschen und seine Reifung anzuschauen. Es geht – es gibt heute eine Scheu, darüber zu sprechen – auch um die Antwort dieser Zeit auf die Frage, welchen Sinn sie dem Dasein und Sichentwickeln des Menschen geben will. Es ist zu einfach, hier auf den allgegenwärtigen Pluralismus zu verweisen: Auf die Frage nach dem Menschen und dem Sinn seines Daseins gebe es heute keine einheitliche Antwort mehr! Denn auch in der puralistischen Gesellschaft impliziert jede Bildungsanstrengung eine normative Vorstellung vom Menschen und damit auch vom Sinn des menschlichen Daseins. Auch dann, wenn man nicht über sie spricht oder nicht über sie sprechen möchte. Es muss zwingend ein Ideal geben, das zur Anstrengung motiviert – sonst würde sich niemand für Bildung anstrengen. Der Einzelne nicht, und auch der Staat nicht.

      In der Frage nach der impliziten Vorstellung, wie der Mensch sein solle, geht es um nicht weniger als um die Frage, wie wir unter den Bedingungen unserer Epoche die Menschlichkeit bewahren können. Das ist nicht wenig. Die Frage nach den Zielen unsere Bildungsanstrengungen ist ein sorgfältiges Zuhören, Nachdenken und Sichengagieren wert. Der vorliegende Band lädt zur Auseinandersetzung ein; er möchte sie provozieren und inspirieren.

      Die Tagung

      Wider die Ökonomisierung der Bildung: 2011 stieß ich auf den brillanten Aufsatz Eberhard von Kuenheims. Er formuliert einen klassischen Schluss: (1) Bologna sei der Versuch, die Freiheit zu bürokratisieren. (2) Die Freiheit lasse sich aber nicht bürokratisieren. Woraus folge (3): Bologna sei auch ökonomisch ein unsinniges Unterfangen. Ich stutzte: Fanden denn die Reformen nicht namens der Wirtschaft, der volkswirtschaftlichen Nützlichkeit der Ausbildung statt? War es nicht überhaupt eine wirtschaftliche Sprache, die sich hier vor die Sprache der bildenden Beziehung schob?

      Der jungen Elite wird widerspruchsloser Gehorsam eingetrichtert! Bald darauf fand ich zwei Interviews mit Thomas Sattelberger. Hochschulabsolventen seien heute zwar jung, aber nur auf Anpassung getrimmt, in keiner Weise darauf vorbereitet, kritisch und eigenständig Verantwortung zu übernehmen, politisch naiv und ethisch ungebildet, also zum Treffen weitreichender Entscheidungen ungeeignet. »An den meisten Business-Schools wird wenig Sinnvolles gelehrt. Die gefönten Kens und Barbies im Business-Outfit werden nur auf ökonomische Effizienz getrimmt, nicht zu Innovationen animiert. Die Manager in spe denken einzig in der Kategorie Höher, schneller, weiter. Business-Schools und Wirtschaftsfakultäten sind signifikant verantwortlich für missratene Führung im Management.« Die globalen Unternehmensberatungen seien »militärische Drillanstalten. Dort gelten ähnlich rigide Prinzipien wie bei den Marines: Up or out! Das sind Bootcamps. Wer nicht performt, fliegt raus. Da wird nichts kritisch hinterfragt« (2013). Die Deutschen seien so staatsgläubig wie selten zuvor. Die junge Generation suche nach Kontinuität und Sicherheit und sehe nicht, dass dieser Weg der gefährlichste sei. Dahinter stehe die Stabilität Deutschlands in den letzten zehn Jahren – und das Ausbildungssystem, das kaum mehr Raum lasse, Dinge auszuprobieren. Es sei absolut nicht klug gewesen, dass die Wirtschaft jahrelang die Verkürzung der Schul- und Studienzeiten gefordert habe. Der Spaß am Risiko, am Ausprobieren und an Neuem sei dem ganzen Land abhandengekommen (2014). Offenbar waren bereits die Zielvorstellungen von rein wirtschaftlich sinnvoller Bildung nicht nur umstritten, sondern auch durchaus unklar.

      Größer, höher, schneller: Dann kam Dieselgate. Es fehlte an keiner Kompetenz. Das betrügerische System funktionierte, millionenfach. Es sollte Jahre dauern, bis jemand dahinterkam. Diese Fachleute hatten alles richtig gemacht. Die treibende Kraft war der blinde Ehrgeiz des VW-Vorstands unter Martin Winterkorn, bis 2017 Toyota zu überrunden und der größte Autobauer der Welt zu werden. Dafür wurde massiv Druck aufgesetzt. Motorenentwickler traten an Elektronikspezialisten von Bosch heran. Diese wollten erst nicht, wiesen auf das ethische Problem hin. Die Leute von VW übernahmen die Verantwortung. Das Gewissen hat sich also durchaus gemeldet, im Kleinen wurde eine ethische Debatte geführt – und brach unter dem Druck von oben zusammen. Das hat unmittelbar mit dem Fehlen einer tragfähigen ethischen Bildung zu tun, die in solchen Fällen das Gewissen so unterstützt, dass der Mensch Mut und Kraft findet, zu ihm zu stehen. Der großflächige Betrug wird VW allein in den USA 20 Milliarden $ an Bußen kosten; hinzu kommt der gewaltige Ansehens- und Vertrauensverlust. Winterkorn stürzte. Auch Bosch sieht sich in den USA mit kaum kalkulierbaren Klagen konfrontiert. Hätte man ein oder zwei zierliche Promillchen dieser Summen in eine ernsthafte ethische Bildung der künftigen Kader investiert: Die Rendite wäre, schon nur ökonomisch betrachtet, brillant gewesen. Dass unsere Universitäten die seriöse ethische Bildung der künftigen Ökonomen und Ingenieurinnen zugunsten unmittelbar verwertbarer Kompetenzen vernachlässigen, systematisch vernachlässigen, beschädigt unsere Wirtschaft. Wer derart die Bildung spaltet, spaltet den werdenden Menschen. Wer den Menschen spaltet, beschädigt das Ganze, das heißt auch sich selbst.

      So entstand die Idee, führende Verantwortliche aus Wirtschaft, Pädagogik, Wissenschaft, Spiritualität und Politik zu einer Tagung einzuladen, um die Ziele unserer Bildungsanstrengungen näher zu beleuchten. Sie fand am 15. und 16. April 2016 an der Universität Bern statt.

      Die Verantwortlichen aus der Wirtschaft waren sich einig: Eine am kurzfristigen Output, an wirtschaftlichen Erfolgsrechnungen orientierte Bildung dient der Wirtschaft durchaus nicht, sondern schadet ihr massiv. Niemand vertrat die Mainstream-Begründung, die Reformen seien zur Förderung des Wirtschaftswachstums zwingend notwendig. So konnte man erwarten, dass am nächsten Tagungstag auch die politisch Verantwortlichen die Reformen grundsätzlich hinterfragen würden.

      Weit gefehlt! Die Reformen seien europaweit etabliert, die Schweiz könne nicht ausscheren, die Probleme ließen sich, soweit sie überhaupt von Bedeutung seien, durch Anpassungen innerhalb des Systems lösen, etwa durch größere Module. Erstaunlich! Wieder und wieder hatte man uns gesagt, die Reformen seien ökonomisch unumgänglich. Aber als die Wirtschaftsvertreter diese These zurückwiesen, gab es auf einmal andere, jetzt politisch und administrativ zwingende Argumente. Offenbar sind die Reformen doch nicht in dem Sinn ökonomistisch motiviert, dass eine zusammenhängende Ideologie die Interessen der Wirtschaft verträte.

      Aber was ist dann das wirkliche Motiv? Was geht hier eigentlich vor? Welche Kräfte wirken hier? Welche Motivationen? Wie lassen sie sich so verstehen, dass ein schlüssiger Zusammenhang entsteht? Und wie sollen wir uns zu ihnen stellen? Diese Frage gebe ich den Leserinnen und Lesern mit. Am Ende des Buches schlage ich eine Antwort vor.

      Dabei ist eine Grenze anzuzeigen. Bildung und Wirtschaft sind in der Schweiz, in Deutschland und Österreich überaus eng verzahnt durch die berufliche Bildung. Die Pflege und das Ansehen von Lehre und Meisterbrief, zahlreiche kluge Weiterbildungsmöglichkeiten, Fachabitur und Fachhochschulen führen zu einer großen Zahl praxisnah ausgebildeter, hervorragender und motivierter Fachkräfte und damit zu tiefen Arbeitslosenquoten. Die berufliche Bildung bietet heute vergleichbare Aufstiegschancen wie Matur und Studium. Diese Zweifarbigkeit