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Welche Bildung braucht die Wirtschaft?


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Sodass ich jetzt hoffe – Absichtserklärungen sind ja immer Hoffnungen –, dass das Pendel ein kräftiges Stück zurückschwingt. Sodass aus der Kultur der Maschine – man kann auch die Universität wie eine Maschine betreiben – in großen Bereichen wieder eine Kultur der Kreation entsteht. Aus einer Kultur purer Reproduktion von Wissen, zu der die Bologna-Reform verkommen ist, soll auch wieder eine Kultur der Neuschöpfung und Neukombination von Wissen werden!

      Wie geraten Effizienzdenken und Kreation denn in Widerspruch?

      Die wirkliche Frage ist, ob ich in der Steuerung einer Universität oder eines Unternehmens beide Logiken vereinen kann. Das fordert Ambidextrie, Beidhändigkeit. Mit der linken Hand so gut sein wie mit der rechten. Innovation ermöglichen und Margen reinbringen. Die meisten Unternehmensführer – Frauen gibt es ja ganz wenige – tun sich extrem schwer, in der Phase des Übergangs zwei Welten zu schaffen. Sie sind ja in alten Routinen ausgebildet worden und haben mit ihnen ihre Erfolge gezeitigt. Das gilt auch für Hochschulrektoren und Dekane, die 15 Jahre Effizienz gestaltet haben. Können Menschen des alten Systems es öffnen und erneuern? Das ist die größte Schwierigkeit. Den Studierenden gelingt dieses Um- und Verlernen schneller.

      Das Problem liegt also nicht so sehr in der Sache als in der Bildung, in der Formung einer Generation von Verantwortlichen?

      So ist es. Wie können Manager, vor 30 Jahren für die Effizienzmaschinen des 20. Jahrhunderts ausgebildet, oft in Unternehmen, die aus dem 19. Jahrhundert stammen, eine neue Ära einläuten? Das Gleiche gilt für Hochschulrektoren. An der Universität hängen wenige Experimente häufig an wenigen fortschrittlichen Professoren oder Dekanen. Mit deren Pensionierung sind selbst diese zu Ende. Ein Subsystem bleibt abhängig vom Gesamtsystem; nachhaltig ist nur ein Wandel des Gesamtsystems. Deshalb ist die Schlüsselfrage: Wie schaffen wir die institutionelle Weiterentwicklung des Gesamtsystems? Da gibt es zwei Wege. Der eine besteht sozusagen in einer Reevangelisierung der gesamten Universitäten mit alt-neuem Geist. Solche Kulturreformen sind mühselig, Systeme sind ja so träge!

      Ich staune, dass Sie das religiöse Wort verwenden! Was verstehen Sie unter Evangelisierung?

      Ich kann auch humanistische Aufklärung sagen. Bewusstsein verändern, mit Hegel: Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Der zweite Weg liegt in einer neuen Struktur, eher marxistisch: Neues Sein ermöglicht neues Bewusstsein. Wahrscheinlich ist beides wahr.

      Heute teilen sich manche Firmen. Das alte Geschäft – etwa alte Energien und zentrale Energieversorgung – wird in der alten Struktur unter Effizienzgesichtspunkten weitergeführt; das neue Geschäft – etwa regenerative Energien und dezentrales Energiemanagement – tritt in einer eigenen Struktur daneben; verzahnt, aber eigenständig. An der TU München bin ich Schirmherr des MakerSpace: 2000 Quadratmeter modernster Technologie, teure große und kleine Geräte, etwa 3D-Drucker. Mit einer neuen Lernphilosophie: Die Studierenden überlegen selbst, was sie machen möchten, und probieren es aus. Warum hat die TU den MakerSpace nach Garching ausgelagert, als eigenes Institut?

      Um dem Neuen Raum zu geben?

      Ja! In der Hoffnung, dass das alte Immunsystem es so nicht abstößt. Mit dem Risiko, dass das Neue sich nie richtig verzahnt mit dem Alten. Wähle ich also einen evangelisierenden, humanistischen Ansatz der Veränderung, wie eine Graswurzelbewegung, bottom-up, oder top-down einen strukturpolitischen Ansatz? Oder ein Hybrid?

      Thomas Kuhn meinte, dass sich ein neues Paradigma in der Wissenschaft erst dann durchsetze, wenn die Alten gestorben seien. Da war er pessimistisch …

      Auch Max Planck hat gesagt: Fortschritt der Wissenschaft bewegt sich nur über den Tod des Alten … Wahrscheinlich sollen wir beide Ansätze mischen. Einerseits Evangelisierung, mit neuem, wirklich bekehrtem Personal an der Spitze. Pfingst­erlebnisse gibt es ja immer noch. Dass Saulus zum Paulus wird, ist möglich! Daneben brauchen wir strukturell separierte Experimentierräume, die zeigen können, dass das Neue blüht und gedeiht. Nicht bloß kleine Höhlen oder unterirdische Gänge, die ein fortschrittlicher Professor anlegt und hofft … Ich habe zu viele isolierte Reformanstrengungen an Schulen und Hochschulen erlebt, um noch zu glauben, dass das der erfolgreiche Weg sei. Den Leuchttürmen drehen die Menschen meistens den Rücken zu. Also braucht man neue Führung.

      Die Wahl eines neuen Universitätsrektors bedeutet meist einen Machtkampf. Die einen verbinden Macht mit Erhaltung des Status quo, die anderen verbinden Macht mit Reform. Die dritten verbinden Macht mit Macht. Schaffen es da die fortschrittlichen Kräfte, eine Koalition zu bilden, sodass die Spitze Reformen in die richtige Richtung dirigiert, in diskursivem Prozess mit den Stakeholdern? Ich sehe Rektoren nicht als Heroen, es geht um stakeholderbasierte Diskursprozesse.

      Ein guter Freund hat das an der Universität Innsbruck lange Jahre versucht. Ich kenne die Wunden, die das hinterlässt. Sie müssen alte Mächte ablösen und einen Teil der Organisation evangelisieren. Und Sie müssen Sorge tragen, dass neue Strukturen das Neue schützen. Vor dem Alten! Im Dreiklang – alte Struktur, Kulturwandel und Parallelstruktur – kann sich die Institution nach vorn bewegen. Auch die Universität, die durch Ordinarienstruktur und Silo-Disziplinen träge ist. Bis die Human- in die Ingenieurwissenschaften einfließen, gehen in den deutschsprachigen Ländern noch 20 Jahre ins Land! Oder bevor die Technologie in die Humanwissenschaften einfließt oder die Sozialwissenschaften in die Ökonomie. Wir brauchen eine Aufweichung der Ordinarienstruktur und der Disziplinen, um nicht überall vor Gefängniszellen zu stehen und zu sagen: Da müssen wir ausmisten!

      Leider haben wir nicht so viel Zeit, wie Thomas Kuhn einem Paradigmenwechsel gab. Viele Unternehmen haben extremen Bedarf, Kreativität zu gewinnen und unkreative Räume zu tilgen. Wie schnell wächst China heran, in unserem alten System, im Maschinenhaus! Wie schnell enteilen uns die USA, wirtschaftlich und digital! Wir können es uns nicht leisten, für die teilweise Rückabwicklung der Bologna-Reform so lang zu brauchen wie für ihre Einführung. Es muss schneller gehen.

      Im Mittelpunkt Ihrer These steht die Kreation. Was genau verstehen Sie darunter? Kann es davon auch zu viel geben?

      Wo es wenig Raum für Kreativität gibt, diskutiere ich ungern schon über Grenzen. Leben lassen, bevor ich eingrenze und normiere! Veränderung fängt in grauen, schmutzigen, manchmal chaotischen Räumen an. Wer gleich mit Angst herangeht und fragt, wie er das Überflüssige begrenzen kann, macht zarte Pflänzchen kaputt. Heute geht es darum zu ermöglichen, dass das Individuum wieder sucht, reflektiert und analysiert. Und urteilt! Was ein Mensch dann kreiert, ist gar nicht so wichtig. Es kommt darauf an, Räume zu schaffen, in denen Menschen verantwortlich Dinge untersuchen, bewerten und zu einer Entscheidung kommen, die zum Handeln befähigt. Also erstens wecken. Dann fördern: Hochschulen sollen Financiers der Interessenlagen, Motivationen und Leidenschaften ihrer Studierenden werden! Wenn sich nur wenige für frühmittelalterliche Literatur interessieren, soll man kein Streichen des Angebots diskutieren, sondern digitale Lernformen, verbunden mit anderen Universitäten, die ermöglichen, dass jemand dieser Leidenschaft frönen kann! Oder: Wie kann ich der Leidenschaft eines Ökonomen entgegenkommen, schon in den ersten Semestern empirisch zu forschen? Sodass schon früh der iterative Prozess von Theorie, Praxis, Evaluierung, Theorie, Praxis, Evaluierung … stattfindet. Die Universität muss individueller werden.

      Führen hieße dann Kreation fördern: »Wie kann ich ermöglichen?«

      Wie kann ich ermöglichen, ja. Wie kann ich Rahmen geben, dass? Wie kann ich Infrastruktur geben, dass? Die Aufgabe der Individualisierung stellt sich auch der Wirtschaft. Die Potenziale der Kreation jedes Menschen sind ja ganz anders, ganz einzigartig. Wenn ich alles nach DIN A4 abarbeite, fallen nicht nur die Leute raus mit IQ 140 – über die intensiv diskutiert wird –, sondern auch jene mit anderen Begabungen und anderem Potenzial. Das betrifft auch das Verhältnis von Hand- und Kopfarbeit. Ich habe Vorlesungen gesehen, in denen auch handwerklich gelernt wurde. Wo Studierende Brücken bastelten: immer zu dritt, über die Reihen hinweg – und damit selber experimentieren. Wie kann ich an Potenzialen, Begabungen, individuellen Leidenschaften ansetzen? Ein zentrales Thema! Das verlangt Räume, in denen ein Mensch sich entfalten kann. Auf der anderen Seite gibt es bestimmte Normierungen, die jeder können muss. Rechnen, Schreiben, Lesen in der Schule und neu das digitale Coding, die Grundlagen des Programmierens, sind unverzichtbare Kulturtechniken,