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Welche Bildung braucht die Wirtschaft?


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mehr Kreation und Transformation führen lassen? Sind sie nicht ganz zufrieden, wenn man ihnen sagt: »Das ist das Nächste, und dann das, und dann ist gut, dann bekommst du deine Anerkennung«?

      Ist auch in Ordnung! Wir finden vielerorts Menschen, die sagen: Ich finde den Status quo gut. Dann soll die Hochschule ihnen den Status quo ermöglichen. Die Frage heißt: Ermöglicht die Kultur und Struktur der Hochschule Vielfalt – oder normiert sie Einfalt? Die gleiche Diskussion über das Ausdifferenzieren, das Managen von Vielfalt, das Ermöglichen von Potenzialentfaltung beschäftigt die Pädagogik an den Schulen. Das Thema setzt sich in den Betrieben fort. Interessanterweise kreieren Firmen, die sich eher der Avantgarde zurechnen, Aufgaben um den Menschen herum. Sie verzichten auf Aufgabenbeschreibungen, in die der Mensch hineinzupassen hat. Eine ganz andere Form der Talentpolitik! Organisation ad rem oder ad personam? Menschenbeglückung oder die Option der Freiheit?

      Also niemand zur Kreation nötigen?

      Nein, ganz und gar nicht.

      Ein ethischer Fortschritt?

      Wer auf Kreation setzt, muss dezentraler führen. Fördert dieser Führungsstil moralisches Handeln stärker als die zentralistische Kontrolle des Effizienzmodells?

      Dezentrale Strukturen erzwingen größere Verantwortung nicht, aber ermöglichen sie. Und mit Sicherheit schaffen sie mehr Transparenz. Die Organisationsforschung spricht hier von loosely coupled systems …

      Lose vernetzte Systeme – das hatten Sie bei Continental …

      Ja. Über diese Fragen habe ich sehr viel nachgedacht. Effizienzorientierung fragt immer nach internen Synergien, nach der Standardisierung interner Prozesse. Wie können wir siebzehn verschiedene Marken von VW auf eine gleiche Plattform stellen, um effizienter zu produzieren? Zentralismus und Synergie. Aber nur interne Synergie! Nicht Synergie beim Kunden, beim Partner, beim Lieferanten, auf den Märkten draußen! Dann beglücke ich die Menschen draußen eher mit Einfalt als mit Vielfalt. Die Synergiediskussion der letzten zehn Jahre hat interne Abläufe fokussiert: mit geringeren Ressourcen das Gleiche erreichen oder mit gleichen Ressourcen mehr. Der Blick für die Motivationen der handelnden Akteure, der Stakeholder, ging verloren. Das hat dazu beigetragen, dass Unternehmen autistisch geworden sind. In meinem Berufsleben habe ich unterschiedlichste Strukturen erlebt. Im Rückblick wird mir bewusst, dass die beste die bei Conti war. Extreme Dezentralisierung, extreme unternehmerische Verantwortung. Jeder musste ein Ergebnis bringen, das diskussionsfähig war – Antwortfähigkeit nannten wir das. Die Freiheit, über das Was zu entscheiden und nicht nur über das Wie, war außerordentlich hoch. Eine dezentrale Struktur gibt ganz andere Möglichkeiten zu experimentieren. In monolithischen Strukturen kommt gleich die Frage: Ja, was passiert denn da links nebenan? Das will ich auch haben! Oder: Das darf nicht sein! In dezentralen Strukturen können Sie eigene Logiken entwickeln. Und die Ansteckungsgefahr ist geringer, wenn ein Subsystem erkrankt. Dem steht als Nachteil gegenüber, dass die Fliehkräfte sehr stark werden. Nichts ist ohne Schatten. Deshalb hat Google begonnen, die Geschäfte aufzuteilen und sich als kleine Holding darüber organisiert. Weil monolithische Strukturen zwar Effizienzen steigern können, aber die Risiken der Normierung zu hoch sind. In der jetzigen Phase ist die beste der schlechten Organisationsformen die Dezentralität, das loosely coupled network.

      Macht diese Organisationsform die Welt besser?

      Ich glaube schon: weil Verantwortung und Rechenschaft transparenter werden. Die einzelnen Teile sind ja keine atomistischen Gebilde. Es gibt darüber ein Dach, es gibt einen code of conduct. Ein loosely coupled network hat meist ein ausgeprägtes Wertesystem: Wenn nicht die Struktur zusammenhält, muss es die Ideologie tun. Jeder wird gefragt: Was hast du aus dem dir Anvertrauten gemacht? In synergiesuchenden Systemen finden Sie extreme Abstimmungsrituale. Die Handlungsfähigkeit des einzelnen Akteurs ist außerordentlich beschränkt, sodass er massiv mit Koalitionen arbeiten muss. Aber Verantwortung? Danken, wenn es gut gelaufen ist? Jemand zur Rechenschaft ziehen, wenn Mist gebaut worden ist? Das ist in solchen Systemen gar nicht mehr möglich, weil das System mit seinen Ritualen und Routinen verantwortlich ist!

      Die katholische Kirche veranstaltet alle paar Jahre eine Synode, die Richtungsänderungen diskutiert oder an Grundfragen weiterarbeitet. Eine ganz andere Form von Abstimmung, über Metathemen! Natürlich gibt es Situationen, wo die Zentralgewalt reagieren muss, nehmen wir die Verbrechen vieler Priester an Kindern. Da hat die Selbstverantwortung der Subsysteme nicht funktioniert. Die Zentrale hat die Möglichkeit, selektiv einzugreifen, wenn Werte verletzt werden. Ich bin Ex-Katholik. Als Ex ist man ja immer sehr bewusst und schaut sich das an … ohne loosely coupled system hätte die Kirche sich nie so ausgebreitet.

      Ja, wir Katholiken haben das Modell der Einheit in Vielheit. Seit Jahrhunderten diskutieren wir über Inkulturation, immer wieder: in China, in Afrika. Die faktischen Lösungen sind oft erstaunlich offen.

      Die meisten Organisationen diskutieren die Vielfalt in der Einheit. Klüger wäre vermutlich, über Einheit in der Vielfalt zu diskutieren. Diese Einheit muss sehr präzise ausgearbeitet werden, sie ist ja der kleinste gemeinsame Nenner, der alle zusammenhält. Eine konföderative Struktur. Konföderativ ist schöner als dezentral. Sie entspricht dem Trend zur Netzwerkorganisation in der Wirtschaft.

      Was heißt das für die Universität? Soll sie eine konföderative Struktur entwickeln? Hat sie sie vielleicht, ist aber verkalkt? Braucht es eine Phase eines starken Präsidenten, der mit einer Koalition von Veränderern das System wieder öffnet? Einen Gorbatschow für die Universität? Eigentlich sind Universitäten durch ihre Gliederung und ihre hohen Freiheitsgrade Konföderationen. Das hat zu extremer Langsamkeit der Veränderung beigetragen, wie in der Kirche. Darin liegt ein Wert. Oder ein Problem: wenn es den Diskurs abtötet. Solange der Diskurs lebt, lebt auch die Möglichkeit der internen Erneuerung: der humanistische Weg, die Evangelisierung … Aber ich habe mehr als eine sklerotisch erstarrte Hochschule erlebt. Einmal habe ich ein Konsortium von vierzehn Firmen gewonnen, die der Universität Hannover vorschlugen, für gestandene Ingenieure ein berufsbegleitendes Masterstudium Kunststoff- und Kautschuktechnologie einzurichten. Das Thema wurde drei Jahre lang zerhackt zwischen den Dekanaten Chemie, Maschinenbau und Elektrotechnik. Und scheiterte. Ich kann Ihnen Dutzende Geschichten erzählen von begeisternden Ideen, die in sklerotischen Strukturen zerbrachen. Schauen Sie, wie lange es gedauert hat, Mechatronik als Lehrberuf zu etablieren! Heute bräuchten wir dringend eine Synthese aus Informatik und Maschinenbau. Da gibt es eine enorme Unfähigkeit zur Reform.

      In Amerika diskutiert man heute, wie die Technikwissenschaften Humanwissenschaften einbeziehen könnten. In Deutschland nicht: kein Erkenntnis-, sondern ein Machtproblem! Wo konföderative Universitätsstrukturen gut und organisch funktionieren, sollen wir sie pflegen. Aber wenn Fliehkräfte und autistische Silos zu stark werden, braucht es Gegensteuerung.

      Ethik und Management: Können Sie uns ein Beispiel nennen, wie Sie in Ihrer beruflichen Praxis moralisches Handeln im Unternehmen gefördert haben?

      Ich erinnere mich noch gut. Ich habe 1994 meiner geliebten Daimler Benz AG wegen des damaligen DASA-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Schrempp gekündigt und ging zur Lufthansa. Sie steckte damals voll im Privatisierungsprozess – mit allen Chancen und Risiken. Mein dortiger Chef, Dr. Heiko Lange, und ich haben das berühmte magische Dreieck geschaffen, das es bei der Lufthansa immer noch gibt. Heute ein triviales Thema, aber 1994, als der Börsenkapitalismus nach Deutschland kam, eine Revolution. Wir sagten: Unser Unternehmen soll dem Kunden, dem Mitarbeiter und dem Aktionär dienen. Exakt in dieser Reihenfolge. Das magische Dreieck! Wir haben einen Kreis außen herum gemacht – die Gesellschaft – und es im Vorstand vorgestellt. Es hat nachhaltig gewirkt, nach 9/11 zum Beispiel. Als einzige Airline der Welt haben wir damals auf Massenkündigungen verzichtet. Nach der Krise wollten wir diejenigen sein, die dem Kunden wieder möglichst angenehmen und reibungslosen Service bieten. Wir dachten in dem Dreieck, schützten unsere service professionals und hielten sie an Bord, um auf sie zählen zu können, wenn der Kunde sie brauchen würde. Für den Shareholder nahmen wir den Einbruch des Ertrags kurzfristig in Kauf. Man kann in so einem Dreieck denken und handeln!

      Nach dem Datenschutzskandal bei der Telekom[3] – ich war damals etwa ein Jahr da – saßen wir abends