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Welche Bildung braucht die Wirtschaft?


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genau so verhalten habe und wieder mal in die Falle hineingetappt bin.

      Sie sagten, die Familie sei sehr wichtig, aber auch die Schule. Welche Erfahrungen müsste die Schule, müsste später die Universität möglich machen, damit diese Herzensbildung sozusagen mitwachsen kann im Werden eines jungen Menschen?

      Erst mal geht es um Wissen. Das viel kritisierte sogenannte »Bulimie-Lernen« hat irgendwie immer dazugehört. Man muss halt auch lernen, mit einer großen Menge Wissen und komplexen Situationen umzugehen. Aber spätestens wenn man das Grundwissen hat, wenn es darum geht zu vertiefen, muss man jungen Menschen beibringen, sich immer darüber Gedanken zu machen, warum sie etwas tun, was eigentlich das Ziel ist.

      Ein typisches Beispiel aus der Praxis: Da kommt eine Werkstudentin zu mir, soll eine Präsentation machen und fängt einfach wild an, Bilder zusammenzusuchen, statt sich erst mal zu überlegen: Was will sie erreichen? Will sie die Menschen erschüttern, will sie sie begeistern, will sie sie motivieren? Wen wird sie vor sich sitzen haben? Wie sind diese Menschen drauf, wie ist sie selbst drauf? Sich also erst mal mit dem zu beschäftigen, was hinterher zwischen den Zeilen steht – ich glaube, dass das fast nicht gelehrt wird. Man lernt eben: Gliederung, Problemstellung, Hauptteil, Schluss. Aber nicht so sehr: Was will ich damit eigentlich? Dann muss man auch lernen, strukturiert den Weg zum Ziel zu beschreiben. Dieses Fokussieren ist sehr wichtig. Statt achtzig Sachen gleichzeitig zu machen, sich zu fragen: Was sind die drei bis fünf wirklich wichtigen Dinge? Das hat auch sehr viel mit Disziplin zu tun, getreu dem Wort des großen Pianisten Vladimir Horowitz: »Erfolg ist 95 Prozent Transpiration und 5 Prozent Inspiration …«

      Ein Bildungssystem soll Menschen vermitteln, dass sie sich einbringen können. Dass sie nicht nur ein anonymes kleines Rädchen sind, sondern – um mit Pater Dienberg zu sprechen – dass sie da, wo sie sind, etwas bewirken können. Zum Beispiel, indem sie den Mut haben, konstruktiv zu widersprechen! Dazu gehört die innere Unabhängigkeit – es wäre sehr schön, wenn Bildungsinstitutionen ­Hierarchien relativieren und sagen könnten: »Das sind auch Lernende!« und »Bleib unabhängig!« und »Sag ihnen einfach, was du denkst!«

      Zu Bildungserfahrungen, die so etwas beflügeln können, gehört das Üben. Es gibt Universitäten und Fachhochschulen, wo Studierende als Projektarbeit selbst kleine Unternehmen gründen, in denen Teams miteinander ausprobieren, wie man sich Aufgaben zuordnet, wie man diesen Alltag miteinander »trainiert«. Wenn hier der Mut zum Widerspruch positiv aufgegriffen und konstruktiv zugehört wird, dann könnte das sehr beflügelnd wirken.

      Also auch da wieder eine lebendige Praxis des Dialogs, die das fachliche Wissen wie durchlässig macht …

      Ergänzt, genau.

      … für dieses Ich und Du, das den Standpunkt des Lernenden stärkt und aufbaut.

      »Ergänzt« ist eigentlich sogar zu wenig … das ganze Wissen, das natürlich vermittelt werden muss, sollte eingebettet werden in die Praxis des Dialogs. Indem ich all das, was ich mal als Wissen gelehrt habe, mit den Studierenden ausprobiere. So stell ich mir das vor. »Jetzt machen wir mal Alltag, wir gründen ein kleines Unternehmen … Wer ist der Personalchef?« Da geht es ja schon los! »Wer übernimmt jetzt welche Aufgabe?« Diese kleinen Machtkämpfchen, wie löse ich die jetzt? Wer macht was, wer muss zu welchem Ziel wie beitragen?« Da gibt es ganz tolle Beispiele. Aus solchen Umgebungen kommen die stärksten Werkstudenten und Mitarbeiter.

      Können Sie sagen, was Sie selbst in Ihrem Mut zum Widerspruch bestärkt hat?

      Ich war sehr schüchtern und hatte große Angst vor dem Reden, schon vor dem Telefonieren. Ich habe dann alles, was beflügelnd war, aufgenommen. Wenn ich mich mal getraut habe und das dann positiv aufgenommen und verstärkt wurde, dann hat mich das so sehr ermutigt, dass ich es wagte, den nächsten Schritt zu machen.

      Können Sie von einer Situation erzählen, die Ihren Mut zum Widerspruch stark herausgefordert hat?

      Das waren natürlich sehr viele! Es gibt so etwas wie einen roten Faden: Ich fühle mich immer dann herausgefordert, wenn Menschen meiner Meinung nach unfair behandelt werden.

      Da haben wir wieder die Ethik …

      Gerade wenn es um Besetzungsentscheidungen ging. Da geht es ja nicht nur um die Person, die entgegen ihrer Kompetenz ausgewählt wurde. Wenn jemand Falsches auf Führungspositionen gesetzt wird, läuft ja nicht nur er oder sie Gefahr zu scheitern, dann leiden ganze Organisationen. Oder wenn Vorgesetzte, Lehrer oder Professoren Mitarbeiter oder Schüler unfair behandelt haben. Da konnte ich mich meistens nicht bremsen.

      Was macht für Sie einen gebildeten Menschen aus?

      Für mich ist ein gebildeter Mensch jemand, der im Kopf Wissen und Klugheit besitzt, aus dem Herzen heraus den Menschen zugewandt ist und die Gabe hat, seine Talente für alle nutzbringend einzusetzen.

Michael Heim * 1966, Dr. Ing., Coach, Berater, Systemischer Naturtherapeut, studierte in Aachen und Lyon Energie- und Verfahrenstechnik. Bis 2015 Bereichsleiter für Strategisches Produkt-Marketing bei Endress + Hauser. Seit 2016 selbstständiger Berater: www.nature-and-progress.de.

      Reifen, Leisten, Leben – Erfahrungen mit Bologna-Absolventinnen und -Absolventen

      Um meine Erfahrungen mit Absolventinnen und Absolventen eines Studiums nach Inkrafttreten des Bologna-Prozesses und der daraus abgeleiteten Empfehlungen einordnen zu können, möchte ich zunächst meinen eigenen Werdegang offenlegen. Meine Bildungserfahrung ist recht typisch für einen naturwissenschaftlichen Akademiker, der in den 60er-Jahren in Deutschland geboren wurde. Sie ist geprägt von Erfahrungen auf einem humanistischen Gymnasium mit 1400 Schülern in sechszügigen Jahrgängen; von Erfahrungen auf einer Massenuniversität, an der allein im ersten Semester des Maschinenbau-Studiums knapp 1000 fast ausschließlich männliche Studenten sich einen klassischen, angesichts des aufkommenden digitalen Zeitalters teils schon veralteten Kanon einverleibten; von Eindrücken distanziert wirkender Professoren, von denen einige explizit bedauerten, dass es uns zum Medizinstudium ja offensichtlich nicht gereicht hat.

      Aber sie ist auch geprägt von einer herzlichen und interessierten Institutsatmosphäre im Hauptstudium, von einem Erasmus-Programm, das mir in Frankreich eine andere, viel wertgeschätztere Art des Studiums ermöglichte. Und sie ist schließlich geprägt von der Abhängigkeit von einem patriarchalischen Doktorvater, der einen Touch großindustrieller Herrlichkeit in die beschaulichen Hallen des universitären Forschens brachte – im Gegenzug aber standesgemäß seine schützenden Hände über seine Zöglinge hielt und über Drittmittel erstaunliche Kontakte und Projekte umsetzte. Es liegt mir also fern, hinsichtlich unserer Bildungslandschaft von einer guten alten Zeit zu reden. Dennoch gibt es Aspekte des klassischen Studiums zum Diplomingenieur, die mir bewahrenswert erscheinen.

      In meine Reflexionen fließen schließlich 20 Jahre industrielle Praxis ein – in den letzten acht Jahren aus der Perspektive des Verantwortlichen für das strategische Marketing an einem Standort eines erfolgreichen mittelständischen Unternehmens mit rund 14 000 Mitarbeitern weltweit und einem Jahresumsatz von gut 2,5 Milliarden Euro. In diesem Unternehmen hat die Ausbildung einen hohen Stellenwert. Jedes Jahr stellt der von mir referenzierte Standort mit knapp 2000 Mitarbeitern 40 Lehrlinge ein, er unterstützt aktiv 50 Studenten auf unterschiedliche Weise in ihrem Studium und begleitet etwa 70 Bachelor- und Masterarbeiten.

      Erfahrungen

      Aus meiner Perspektive gibt es einige sehr deutliche Beobachtungen bei der Rekrutierung und Beschäftigung von Absolventinnen und Absolventen des Bologna-Systems.

      •Die Bewerberinnen und Bewerber sind in der Regel sehr jung. Viele bewerben sich mit 21 oder 22 Jahren nach abgeschlossenem Studium auf eine erste Festanstellung. Das bedeutet in Deutschland eine drastische Verjüngung um etwa fünf Jahre gegenüber