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Welche Bildung braucht die Wirtschaft?


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für schwierige Gespräche. Eine Klassenlehrerin in der Grundschule, der ich Blumen gebracht habe und die sich mit mir auseinandergesetzt hat, mit dem, was ich mitgebracht habe an Gedanken und Fragen. Wenn Lernfelder nicht nackt sind, sondern pädagogisch betreut, ist das optimal.

      Von hier aus lässt sich Ihre Frage nach den Freiräumen leicht beantworten: Es kommt darauf an, dass ich als junger Mensch stimuliert werde, nachzudenken, wo es schön sein könnte zu lernen. Wenn es in der Schule nicht schön ist: wo es dann schön wäre, und ich meine Erfahrungen sammle. Die müssen nicht immer gleich ins Schwarze treffen. Ich dachte erst, Ministrant sein sei ganz toll. Dann waren es doch die Pfadfinder, das habe ich als Zehnjähriger entschieden.

      Es war Ihre eigene Entscheidung. Keine Wahlpflichtveranstaltung, sondern Sie waren frei, ja oder nein zu sagen.

      Richtig. Menschen haben mich stimuliert, solche Erfahrungen zu suchen. Lehrer und Eltern sollen nicht meinen Lebensweg programmieren, sondern mich anregen, Erfahrungen zu sammeln, sie zu bewerten und zu justieren. Ich war Austauschschüler in den USA, wo es extracurriculare Aktivitäten wie football gibt. Natürlich hattest du die Freiheit, nichts zu machen. Ich habe speech gewählt, Rede- und Disputationswettbewerbe. Mir hat keiner gesagt: Geh da rein. Ich hab das Angebot gesehen, ich fand es interessant, es stimulierte mich, ich bin hingegangen. Es hat mit Sicherheit dazu beigetragen, dass ich mich heute passabel ausdrücken kann. Ob das »kreative Freiräume« sind, ist gar nicht so wichtig – es sind andere Räume. Man kann ihnen nicht mit den gewohnten Routinen begegnen, weil die Logiken andere sind, ergibt es sich fast zwangsläufig, dass man eine eigene Spur legt. Deswegen glaube ich an die Stimulation von Erfahrungsfeldern: frei laufend, wie bei der APO. Dann bin ich selbst verantwortlich. Noch besser nicht nackt, sondern mit Verständnis begleitet, wie im MakerSpace der TU München. Da müssen die Studierenden nicht hin, aber sie haben das Angebot. Es ist da, ich kann es nutzen. Wenn ich Ingenieur bin, mit Leidenschaft für das Entwickeln oder sonst etwas, dann werde ich juchzen: »Gott sei Dank kann ich nach Garching fahren und komme aus dem dummen Hörsaal raus!« Raum ermöglichen, Infrastruktur, und dann etwas pädagogische Begleitung in diesen anderen Orten: Das ist der Schlüssel.

      Was politisch zu tun ist

      Sie kandidieren für den Deutschen Bundestag: Wofür möchten Sie sich in der Bildungspolitik einsetzen?

      Es ist ja Deutschland! In der Schweiz sind die Freiheitsgrade wahrscheinlich deutlich höher. Ich möchte dazu beitragen, freie, starke Schulen und freie, starke Hochschulen zu schaffen. Schulen sollen ihr Profil entwickeln können – nicht im Sinne von Marketing, sondern in dem, was sie sein möchten, worüber sich Lehrer, Schüler, Eltern, und Leitung verständigen. Ich halte es für wichtig, den Umfang staatlicher Vorgaben deutlich zurückzunehmen. Natürlich braucht es eine gute Endkontrolle, denn der Staat gibt das Geld für die Bildung. Auch eine Walldorfschule muss zeigen, dass sie Menschen zum Abitur führen kann. Aber ich möchte die Kontrolle sehr viel stärker am Ergebnis ausrichten, als im Detail zu intervenieren. Die Stakeholder sollen sehr viel mehr Freiheit bekommen zu definieren, was Schule, was Hochschule ist.

      Das Zweite ist die Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Es wird immer deutlicher, dass sie, ob jung, ob erfahren, mehr und mehr überfordert sind von der Komplexität an Lebenswelten, von den unterschiedlichen Biografien ihrer Schülerinnen und Schüler. In den Curricula führt die Entwicklung von Sozialkompetenz ein Randdasein. Es kommt darauf an, hinzuschauen, wie sehr mich diese Komplexität einschüchtert, und mich zu fragen, wie ich mit der Vielfalt umgehe, die ich bei meinen jungen Menschen erlebe. Das muss im Lehramtsstudium Platz finden.

      Ja, das muss sich entwickeln. Kommunikationsfähigkeit, Fremdheitstoleranz, Empathie: Diese Beziehungsqualitäten muss man üben.

      Und zwar von Beginn an, nicht erst irgendwann im Praxissemester. Menschen gewinnen Erkenntnis in interaktiven Prozessen: Praxis, Theorie, Praxis, Theorie oder Theorie, Praxis, Theorie, Praxis – wie auch immer, ob induktiv oder deduktiv. Es ist immer ein Austesten von neuem Wissen in der Realität, ein Experimentieren. Sozialkompetenz und Praxisbezug des Lehramtsstudiums sind zentral.

      Drittens stehen wir vor der Aufgabe, digitale Kompetenz als vierte Kulturtechnik zu integrieren, neben Lesen, Schreiben, Rechnen. Es geht nicht um das Fach Informatik, sondern darum, dass das Thema Digitalisierung in den Fächerkanon einfließt. Drei Themen – es gibt noch mehr, aber es ist schon ein ordentliches Paket.

      Zum Schluss: Was zeichnet für Sie einen gebildeten Menschen aus?

      Ich komme nicht aus einer Akademikerfamilie, die ausdrücklich Bildungswerte weitergegeben hätte. Ich habe ein Soziologie-, dann ein Pädagogikstudium abgebrochen. Schließlich habe ich ein duales Studium absolviert. Ich kann nicht auf eine breite akademische Bildung aufbauen; dennoch würde ich mich als halbwegs gebildet bezeichnen.

      Gebildet ist, wer Verantwortung übernimmt für die eigene Entwicklung. Wer, in einer Mischung aus Neugierde und Reflexion, sein Leben in unterschiedlichen Sphären gestaltet. Und wer unterschiedliche Perspektiven in seine Urteilsfindung zu integrieren versucht.

Annette Winkler * 1959, studierte in Frankfurt Betriebswirtschaft und übernahm 1984 das elterliche Bauunternehmen. 1995 wurde sie Kommunikationschefin von Mercedes-Benz. Die Leitung der Braunschweiger Mercedes-Niederlassung, danach der Vertriebsgesellschaft von Daimler-Chrysler in Belgien und Luxemburg und schließlich die Verantwortung für das weltweite Händlernetz waren weitere Aufgaben. Seit 2010 ist sie Chefin von smart. Ihr Motto: Wer etwas erreichen will, muss die Menschen in den Mittelpunkt stellen.

      Fähigkeit zum Widerspruch in großen Hierarchien?

      > Interview: Thomas Philipp, Marielle Hofer

      Annette Winkler, Sie tragen Führungsverantwortung in der Automobilindustrie. Warum ist das Widersprechen in einer großen Hierarchie so schwierig?

      Auch in der Hierarchie gibt es sehr viele Führungskräfte, die eigentlich Widerspruch wollen, weil sie wissen, wie sehr dadurch Kreativität und Mitdenken aller Mitarbeiter befördert wird. Aber dennoch ist es im Alltag oft schwer, ihn zuzulassen. Manchmal ist es einfach eine Frage der Zeit. Widerspruch verlangt ja eine Debatte. Das ist oft lästig und rein zeitlich gesehen nicht möglich. Dann gibt es leider aber auch Chefs, die Widerspruch wirklich nicht wollen – wo es manchmal mehr um Hierarchiedenken und Machtgehabe geht, vielleicht auch um fehlende Souveränität, die es ja braucht, um Widerspruch nicht nur zuzulassen, sondern sogar einzufordern! Das ist dann natürlich schwierig und ausgesprochen schade, weil man sich damit viele Talente, die man im Unternehmen nutzen könnte, nicht nutzbar macht.

      Das ist die Perspektive der Führungskraft, von der man erwarten würde, dass sie Widerspruch sucht. Aber es gibt ja noch die zweite Seite, die Person, die widersprechen sollte. Da gibt es leider Verhaltensweisen, die mit Angst zu tun haben. Gerade gegenüber Leuten, die Macht ausüben, ist da bei vielen einfach eine lähmende Furcht. So erlebe ich durchaus auch in einer wohlwollenden, einladenden Atmosphäre, also wenn Widerspruch wirklich gewollt ist, dass man auf Leute trifft, die gar keine eigene Meinung mehr haben oder in vorauseilendem Gehorsam das vermeintlich Gewollte sagen. Auch das macht es schwierig, zu einer Widerspruchskultur zu kommen.

      Warum ist das Widersprechen dennoch wichtig, gerade in einer großen Hierarchie?

      Die erste Stufe ist schlicht die Risikoverminderung oder -begrenzung. Wenn ich erkenne, dass irgendwo Gefahr droht, und nicht widerspreche, erwachsen daraus schnell sehr große Gefahren. Ich habe also eine wirkliche Verpflichtung, auf Risiken hinzuweisen. Fast noch wichtiger finde ich, dass durch die Nutzung einer konstruktiven Widerspruchskultur eine Vielzahl von unterschiedlichen Talenten beginnen, zusammenzuwirken und dass Kreativitätsprozesse angekurbelt werden. Das ist doch das Schönste in einem Unternehmen! Ich spreche oft vom Kneten: Das geschieht dann, wenn jemand eine Meinung äußert und sagt: »Moment mal, lasst uns doch eine andere Perspektive einnehmen« – da kommt ein kreativer