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Welche Bildung braucht die Wirtschaft?


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wir reden ja überhaupt nicht über unsere beschissene Unternehmenskultur!« Er fühlte sich persönlich angegriffen, obwohl er erst seit Kurzem Vorstandsvorsitzender war. Ja, es war faktisch ein Angriff, aber er hätte elegant sagen können: »Ja, Thomas, schon recht, aber ich kann erst jetzt die Weichen stellen.« Es folgte eine erbitterte Auseinandersetzung, über Stunden! Am nächsten Morgen kam er in mein Büro: »Thomas, es war nicht so nett gesagt, aber in der Sache hast du Recht.« Dann haben wir guiding principles eingeführt.[4] Bis ich ging, gab es einen sehr lebendigen Prozess der Entwicklung von Werten. Und eine ständige Reflexion darüber, wo wir stehen, wie wir das machen. Wir haben weltweit den guiding-principles-Tag eingeführt, an dem unsere Mitarbeitenden darüber reflektieren, wie sie mit dem Thema umgehen. Wir haben in vierteljährlichen Pulsbefragungen immer wieder gefragt: Macht das Thema Fortschritte? Wird es gelebt? Um zu sehen, wo man justieren muss. Über viele Jahre war das ein Leitthema unserer Veranstaltungen für Führungskräfte.

      Nachdem ich ausgeschieden war, erzählte mir ein externer Trainer, drei junge Talente hätten ihm gesagt, die guiding principles würden nicht mehr gelebt. Er habe zurückgefragt, warum. »Der Obermann hat sie in seiner Rede zum neuen Jahr nicht erwähnt, also sind sie ihm nicht mehr so wichtig!« Sagt er: »Dann fragt ihn doch selber, wie das ist!« »Wir können doch nicht fragen, wir bekommen da keine Antwort.« »Dann seid ihr selber schuld. Dann bewegt ihr an der Situation nichts.« Da hätten die drei eine Mail geschrieben: »Herr Obermann, wir haben den Eindruck, die guiding principles sind fünf Jahre nach ihrer Einführung nicht mehr wichtig, weil Sie sie in der Rede nicht erwähnt haben.« Obermann schrieb innerhalb einer Stunde zurück: »Entschuldigen Sie, ich habe tatsächlich gedacht, das Thema sei schon verinnerlicht. Ich habe nicht gespürt, dass sich die Menschen denken werden, es sei nicht wichtig, wenn es nicht erwähnt wird.«

      Zwei prägende Projekte also, durch die ich mitgeholfen habe, das Thema Unternehmensethik in die Bildung von Führungskräften aufzunehmen.

      Das gab es vorher noch gar nicht?

      In Deutschland, 1994/95? Nein, überhaupt nicht! Damals ist das European Business Ethics Network, EBEN, erst entstanden. Den ersten Kongress haben wir in unserem Lufthansa-Bildungszentrum veranstaltet. Auch der Vorstand war dabei und hat sich mit dem Thema Ethik auseinandergesetzt.

      Haben diese Prozesse ein ethisches Bewusstsein hervorgebracht, Menschen sensibilisiert und eine höhere Verantwortlichkeit in unserer Kultur verankert?

      Verankert nicht, nein. Immer wenn eine neue Herrschaft antritt – ein neuer Vorstandsvorsitzender, ein neuer Personalchef –, ist die Frage wieder da: Reetabliert er oder sie das Bestehende, oder geht er oder sie einen anderen Weg? Ich habe eben zwei Evangelisierungsprozesse beschrieben. Solche Prozesse sind immer an Menschen gekoppelt, die in der Verantwortung stehen, die helfen, anschieben, ermuntern, immer wieder. Und anregen, dass man sich mit diesen Themen auseinandersetzt. Würden die Nachfolgenden das immer weitertragen, wäre es verankert. Aber meist ist das nicht so. Deshalb ist die Frage, die Karl Popper einmal stellte, ja so interessant: Wie können wir Institutionen so bauen, dass Despoten nicht zu viel Schaden anrichten können? Die Evangelisierung ist offensichtlich notwendig, aber nicht hinreichend.

      Bildung und Ethik

      Wie lässt sich ethische Bildung in Schule und Universität verankern?

      Ich habe viel mit business schools zusammengearbeitet. Die Ethikdebatte traf diese Community heftig und von außen: Sie war mit ihren MBA-Programmen ja Lakai der Finanzwirtschaft. Sie begannen also, Ethikkurse dazuzumischen. Aber es geht nicht nur darum, Ethik in die Lehre zu integrieren, sondern eine ethische Institution zu bauen. Ein fundamentaler Unterschied! »Ich mach da ein Modul« reduziert Ethik auf die Abteilung fürs Gute. Natürlich kann Ethik in der Lehre mithelfen, aber zu einer ethischen Institution gehört viel mehr: Sie setzt bei der governance einer Institution an: Wer sitzt im Hochschulrat? Welche Rolle spielen moralische Maßstäbe bei der Berufung von Professoren? Wie sanktioniert eine Universität unethisches, wie wertschätzt sie moralisches Verhalten?

      Man muss Ethik mit der Machtausübung in Beziehung setzen, sonst nützt sie nichts.

      Exakt! Dann können wir vielleicht drüber reden, dass sich das Thema verankert oder entpersonalisiert hat und zu einem institutionellen Merkmal geworden ist. Den Popper’schen Begriff »Institutionen bauen« finde ich wunderschön. Wenn diese Diskussion beginnt, erschüttert sie viele Hochschulen zutiefst.

      Es geht um das Selbstverständnis einer Universität und seine regelmäßige Überprüfung. Nach welchen Kriterien lassen wir Studierende zu? Welche guidelines gelten für Fakultäten, Administration, Studierende? Welche Ziele setzt sich die governance? Wie wird diversity an der Universität gelebt oder praktiziert? Berät eine Universität ihre Absolventen, Maßstäbe zu entwickeln bei der Wahl eines Arbeitgebers? Wozu dienen Alumninetzwerke? Helfen sie auch, die Institution zu justieren? Als Stiftungsvorsitzender der Zeppelin-Universität Friedrichshafen war ich einmal auf einer Alumniveranstaltung. Da brach ein Alumnus in Tränen aus: »Nach drei Jahren kann ich zum ersten Mal wieder die Sprache sprechen, die ich an der Universität gelernt habe. Die ist mir drei Jahre lang ausgetrieben worden …« Da wäre Produzentenhaftung eine interessante Frage! Welche Verantwortung übernimmt die Universität für das Ergebnis der Mühen ihrer Absolventinnen und Absolventen? Viele spannende Diskussionen! Die Frage ist nicht, wie sich ethische Bildung verankern lässt, sondern wie sich eine ethische Institution bauen lässt.

      In einem Essay in einem Managermagazin habe ich die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule in Aachen richtig böse rangenommen, sie ist ja eine der Kaderschmieden für Volkswagen! Ein Professor, der dort vor zehn Jahren das Thema Ethik vertreten hat, sagte mir: »Ich bin hier vertrieben worden. Die wollten mich und meine Lehre nicht.« Die RWTH ist halt eine effizienzgetriebene Maschinenfabrik mit Menschen, die Maschinenbestandteile sein sollen. Die nicht drüber nachdenken, wie sie ökologisch klug Produkte entwickeln, sondern wie sie Zwölfzylinder bauen können. Solche Universitäten kann man nicht verbieten, aber ich glaube, man muss sie zum Gegenstand der öffentlichen Debatte machen. Professoren müssen auch wieder Public Intellectuals werden, die hinausgehen – und ebenso muss sich eine Universität der Debatte der Stakeholder draußen stellen.

      Wie viel kreativen Freiraum braucht es entlang eines Bildungswegs?

      Der Bildungsweg wird ja meistens mit dem formalen Bildungsweg verwechselt. Es gibt ja auch Bildung auf der Straße.

      Sicher gibt es die! Ich denke an Ihr jugendliches Engagement in der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg und an ihre Tätigkeit als politischer Aktivist in der APO – das sind ja elementare Bildungserfahrungen.

      Ja, der Pfadfinder macht ja eine gute Tat jeden Tag. Hoffentlich mehr als eine, aber in der Auseinandersetzung darüber, ob ich meine gute Tat schon gemacht habe, stelle ich mir die Frage »Bin ich sonst ein böser Mensch und mache einmal eine gute Tat?« Natürlich habe ich da viel gelernt. Ich habe ja die Ministranten verlassen, um Pfadfinder zu werden. Das hat mich moralisch mehr geformt als Weihwasser- und Weihrauchkessel zu schwingen, wie wir das in Abendandachten gemacht haben, bis wir vom Rauch ganz betäubt waren. Solche Lern- und Erfahrungsfelder jenseits von Schule und Familie sind ungeheuer wichtig. Wenn es nicht nur die rohe Straße ist – aber auch da lernt man ja überleben –, sondern Fußballverein oder Pfadfinder, wo hoffentlich eine gute Pädagogik das Lernen begleitet, kann das nur hilfreich sein.

      Ich selbst habe in der Schule nur gelernt, exzellent zu reproduzieren. Woanders das Produzieren, etwa bei den Pfadfindern. Wie baut man ein Lagerfeuer? Wie baut man Hängebrücken? Wie seilt man sich sicher ab? Wie baut man ein Floß? Mit viel trial and error! Bei der APO habe ich gelernt, wie man koordiniert. Wie stelle ich sicher, dass morgens früh um 4:30 Uhr 90 000 Flugblätter an 70 unterschiedlichen Orten im Raum Stuttgart sind und Menschen da sind, die nicht schlafen, sondern die Flugblätter verteilen? Solche Engagements, in denen man sich selbst und seine Leidenschaften einbringt, sind ungeheuer wichtig, damit Lernen breitbandiger wird als die Schule. Es ist wichtig, in jungen Jahren ein Portefeuille an unterschiedlichen Erfahrungsfeldern zu sammeln.

      Und dann gibt es noch das, was man manchmal altertümlich »Herzensbildung« nennt. Ich erinnere mich an Lehrerinnen