Bernd Schmid

Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse


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      Organisatorische Einheiten (Bereiche, Abteilungen, Teams, etc.) werden als Systeme betrachtet, die sich durch Wechselwirkungen gegenseitig in ihrer Eigenart begründen, stabilisieren und verändern. Individuelle Verhaltensweisen (z.B. Management- und Führungsverhalten) werden als Teil einer komplexen Interaktion konzipiert. Die Art der Vernetzung und die Regeln des Zusammenspiels entscheiden darüber, wie eine Einwirkung von außen oder eine Veränderung von innen auf das System wirken kann.

      Im Training denkt man traditionell z.B. hinsichtlich »Low Performern« darüber nach, welche Bildungsstrategien Verbesserungen bringen könnten. Aus einer systemischen Perspektive würde man dagegen darüber nachdenken, wie ihr Interaktionssystem im Kontext insgesamt gestaltet werden sollte, damit sich das darin eingebettete Mitarbeiterverhalten verändern kann.

      Menschen und Organisationen werden als wirklichkeitserzeugende Systeme konzipiert. Die durch sie erzeugten Wirklichkeiten sind weniger Wahrheiten oder Sachzwänge als vielmehr zu Gewohnheiten gewordene Überzeugungen und deren materielle Ausdrucksformen. Sie scheinen geeignet, neue Geschehnisse zu interpretieren und darauf bezogene Reaktionen zu organisieren. Gesellschaftliche Wirklichkeiten sind Produkte gemeinschaftlicher Erfindung, die durch ihre Verbreitung und ihre »Verobjektivierung« (Straßennetze, gesetzliche Regelungen, Gehaltssysteme) stabilisiert werden und weitere Plausibilitäten erzeugen. Verbreitung und Plausibilität (Glaubwürdigkeit) sind allerdings nicht unbedingt mit Evolutionstauglichkeit gleichzusetzen.

      In der systemischen Praxis ist der wirklichkeitskonstruktive Ansatz meist mit einer Ressourcen- und Lösungsorientierung verbunden. Man stellt Lösungen und die Nutzung von Potenzialen in den Vordergrund anstatt Defizite und Problembeseitigung zu fokussieren. Dazu müssen einerseits die Betrachtungen so angepasst werden, dass sie mit dem Selbst- und Weltverständnis des Klienten vereinbar sind. Andererseits müssen eingeschränkte oder einseitige Wirklichkeitsverständnisse relativiert (»aufgeweicht«) und ressourcen- und lösungsorientiert kreativ weiterentwickelt (»rekonstruiert«) werden.

      Lebendige Prozesse sind meist komplex. Komplex meint, dass auch gut kontrollierte Prozesse prinzipiell unbeherrschbar bleiben, weil sie von Wirkkräften und Wechselwirkungen mitbestimmt sind, über die keine sichere Kontrolle erlangt werden kann. Wären sie nicht komplex, sondern nur kompliziert, könnte man auf ihre Beherrschbarkeit setzen. Oft sind jedoch die wirkenden Kräfte nicht einmal hinreichend bekannt. Dennoch muss man mit ihnen umgehen. Dies gilt z.B. für das menschliche Verhalten, von dem jede lebendige Organisation abhängig ist.

      Wirklichkeitskonstruktionen und Interaktionsmuster werden aus »klassischer« systemischer Sicht ausschließlich als Produkte der Selbstorganisation sozialer Systeme betrachtet. Deshalb auch der Begriff »Autopoiese« = (sich) selbst schaffen.

      Veränderungen sind demgemäß nur in der Weise möglich, wie sie in der Eigengesetzlichkeit (im Wesen der Systeme) vorgesehen sind bzw. aus den angelegten Eigendynamiken hervorgehen können.

      Externe Einwirkungen auf solche Systeme werden folglich eher als Anreize für neue Formen einer möglichen Selbstorganisation betrachtet. Die Ergebnisse evolutionärer Prozesse sind deshalb nicht vorrangig durch Einwirkungen von außen definiert (und damit vorhersagbar/steuerbar), sondern werden durch das Spektrum der potenziellen Reaktions- und Entwicklungsmöglichkeiten dieser »lebenden Systeme« selbst bestimmt.

      GREGORY BATESON (1984) pflegte mit folgender Geschichte zu illustrieren, dass man lebende Systeme nicht »instruktiv« steuern kann: »Wenn man einen Stein, dessen Gewicht, Form und Größe bekannt ist, in einem bestimmten Winkel mit einer bestimmten Kraft tritt, dann kann man ziemlich genau vorhersagen, in welcher Flugbahn der Stein fliegen und wo er landen wird. Wenn man jedoch einen Hund tritt, ist das anders.«

      Was die Steuerung sozialer Systeme und die Vorhersage bezüglich der Wirkung professionellen Handelns in Training und Beratung betrifft, werden Systemiker meist experimentierfreudig und bescheiden zugleich. Das Studium der sich selbst organisierenden Prozesse verbessert solche Interventionen, welche die Entwicklungsmöglichkeiten von Klienten spezifisch berücksichtigen.

      Wirklichkeit ist immer die Wirklichkeit eines Beobachters. Sie wird folglich weniger objektiv herausgefunden, als vielmehr dem Erkenntnisraster und -interesse entsprechend »hineingefunden«. Gunther Schmidt (SCHMIDT 2000) spricht daher statt von Wahrnehmung von Wahrgebung.

      (Klienten-)Systeme als wirklichkeitserzeugende und sich selbst organisierende Einheiten zu begreifen, führt konsequenter Weise zu der Haltung, auch Trainer und Berater(-Systeme) als Konstrukteure ihrer eigenen professionellen Wirklichkeiten zu betrachten. Sie berücksichtigen solche Zusammenhänge als Kybernetik zweiter Ordnung von einem Metastandpunkt aus. Obwohl mit erklärtem Bedarf in der Welt begründet, haben auch Berater Vorlieben, die Fragestellungen von Klienten unter einer bestimmten Perspektive zu betrachten. Und diese haben in erster Linie mit ihrer persönlichen Wirklichkeitserzeugung zu tun. Diese wiederum gründet auf eigenen Entwicklungsinteressen sowie auf beruflicher Sozialisation und Erfahrung. Beispielsweise »entdeckt« ein Experte für Ablauforganisation in einer Organisation zuerst die Probleme der Ablauforganisation. Für diese hat er dann auch Lösungen zu bieten. Im gleichen Kontext bringt ein psychologisch orientierter Berater Probleme eher mit persönlichen Eigenheiten und seelischen Dynamiken der jeweiligen Funktionsträger in Zusammenhang. Diese unterschiedlichen Perspektiven und die daraus resultierenden Fokussierungen sind im beraterischen Tun nicht per se einseitig oder falsch. Sie können es aber werden, wenn sie durch das Beratersystem unreflektiert benutzt, plausibel gemacht und verwirklicht werden. Hingegen können in der Beratung mit einer bewussten Perspektivenflexibilität kreativ vielschichtige Lösungsmöglichkeiten und Interventionsstrategien entwickelt werden. Aus dem Verständnis von Kybernetiken zweiter Ordnung leitet sich eine besondere ethische Verantwortung ab.

      Die wichtigsten Ziele aller lebenden Systeme sind das Überleben (Fortbestand über die Zeit) und Identität. Dies gilt auch für Trainer und Berater. Ihre Tätigkeit zielt natürlicher Weise auf die Evolution der eigenen Zunft ab, und sie versuchen durch Diagnosen und Dienstleistungen ihre Umwelt zu einer Abgabe von dafür geeigneten Gütern (Geld, Reputation etc.) zu bewegen. Daher ist für das Verständnis von Training und Beratung das Studium der eigenen Zunft und ihrer Evolution elementar. Kybernetik zweiter Ordnung bedeutet auch, einen Metastandpunkt gegenüber den eigenen Gewohnheitswirklichkeiten, der eigenen Professionskultur etablieren zu können. Systemische Berater sind sich bewusst, dass sie sich untereinander und im Umgang mit ihren Kunden permanent in einem Prozess der Kulturbegegnung befinden und machen sich die neugierige und respektvolle Haltung von Ethnologen zur Gewohnheit.

      Welche Perspektiven müssen wie zusammen gefügt werden, damit für ein System (eine Organisation) verantwortliche, wirksame und alltagstaugliche Lösungen zustande kommen? Hierbei geht es um pflegbare Gesamtlösungen und nicht um die modisch wechselnde Optimierung von Teillösungen. Die Systemperspektive ist auch dann einzufordern, wenn man sich auf Teilperspektiven spezialisiert hat. Insofern leisten systemische Ansätze einen Beitrag zur Verantwortungskultur in Organisationen.

      Ein Beispiel hierfür ist die integrierte Betrachtung von personen- und systemqualifizierenden Maßnahmen, damit nicht eine Seite hochgezüchtet wird um letztlich am Engpass der anderen zu scheitern.

      Aus