Bernd Schmid

Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse


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der zweiten Kategorie werden solche Ich-Zustände angesiedelt, die eine Person von anderen Menschen übernommen hat. Diese Übernahme wird je nach psychologischer Schule mit Modelllernen, Introjektion o.ä. beschrieben. Solche übernommenen Systeme von Einstellungen, Gefühlen und Verhaltensweisen betrachtet man als er- oder gelebte Kopien vom Erleben und Verhalten anderer Menschen. Die Menge dieser Ich-Zustände hat BERNE »exteropsychisches System« und verkürzend »Eltern-Ich-Zustand« genannt.

      Die dritte Kategorie von Ich-Zuständen beinhaltet solche, die von einer Person eigenverantwortlich – bezogen auf die Gegenwart und die Zukunft – gelebt werden. Von diesen Ich-Zuständen wird angenommen, dass sie den bestmöglichen Stand der persönlichen Entwicklung einer Person widerspiegeln und kein bloßes Wiederabspielen von eigenen früheren Aufzeichnungen oder von Erlebens- und Verhaltensweisen anderer darstellen. Diese Kategorie von Ich-Zuständen hat BERNE allgemein »neopsychisches System« oder verkürzend »Erwachsenen-Ich-Zustand« genannt.

      Nach und nach hat sich eine weitere Verkürzung in das Verständnis der Ich-Zustand-Kategorien eingeschlichen. Jede der drei Kategorien, die je nach Differenzierung der Betrachtung viele verschiedene Ich-Zustände umfassen kann, wurde auf eine Teilpersönlichkeit reduziert. Man sprach dann vom Eltern-, Erwachsenen- und Kindheits-Ich, oder noch verkürzter z.B. von »mein KIND«. Und weil diese Begriffe so griffig sind, bleibt nicht aus, dass sie gelegentlich undifferenziert wie eigenständige Wesen behandelt werden. Notwendige Ausdifferenzierung von Persönlichkeitsaspekten und Fragen ihrer Integration können dabei aus dem Blickfeld geraten.

      Parallel zur strukturanalytischen Betrachtung der Persönlichkeit hat sich BERNE mit vielfältigen Erscheinungen des menschlichen Selbstausdrucks und der Kommunikation zwischen Menschen beschäftigt. Da er diese Erscheinungen als Funktionen der Persönlichkeit ansah, sprach er bei ihrer Beschreibung von funktionalen Ich-Zuständen. Der angenommene Zusammenhang zwischen Ich-Zuständen und Funktionen kann jedoch selten konsequent hergestellt werden. Für die meisten Betrachtungen ist es auch weder notwendig noch sinnvoll, diesen Zusammenhang herzustellen. Daher ist es eher verwirrend, wenn bei der Betrachtung von Funktionen der Begriff ›funktionaler Ich-Zustand‹ verwendet wird. Stattdessen sollte man besser einfach von Funktionen sprechen und die Frage nach den Bezügen zu Ich-Zuständen nur bei spezifischem Bedarf stellen.

      BERNE legte bei seinem Persönlichkeitsmodell Wert auf eine Eigenart, die sich vom psychoanalytischen Persönlichkeitsmodell unterschied und in der er große Vorteile sah. Man sollte sich in der Analyse des menschlichen Verhaltens letztlich immer konkrete Personen in konkreten Situationen vorstellen können. Auch wenn man sich mit Vergangenheit beschäftigte, sollte man sich den Klienten in den jeweiligen Lebensaltern und Lebenssituationen und insbesondere das Zusammenspiel zwischen dem Klienten und den früheren Bezugspersonen vorstellen können. Durch intuitives Erfassen solcher Szenen sollten die Spielregeln für gegenwärtige Situationen, die aus diesen früheren Szenen stammen, erfasst und die damit verbundenen Fragestellungen verstanden werden können.

      Wenn eine Person sich nicht angemessen auf gegenwärtige und künftige Realität bezieht und bei der Lebensgestaltung problematischen Lebensentwürfen folgt, kann dies als Störung in der Organisation der Persönlichkeit betrachtet werden. Strukturell gesehen kann dies damit zusammenhängen, dass erstens Ich-Zustände innerhalb der Persönlichkeit nicht angemessen ausdifferenziert sind. Zweitens können Ich-Zustände nicht angemessen aufeinander bezogen bzw. integriert sein.

      Als Beispiel für TA-Konzepte, mit denen Störungen der Ausdifferenzierung beschrieben werden, soll hier das Konzept der Trübung herausgegriffen werden. Eine Trübung ist als eine chronische Einmischung eines Ich-Zustandes in einen anderen definiert. Dies geschieht in der Regel, ohne dass sich die Person dessen bewusst ist. Man kann sich z.B. vorstellen, dass sich in das gefühlsmäßige Empfinden eines Ich-Zustandes aus dem neopsychischen System chronisch Gefühle, die aus der Kindheit der Person stammen oder von anderen Menschen übernommen wurden, einmischen. In diesem Fall geraten Wirklichkeitsbezüge und Erlebniswelten unbemerkt durcheinander, was zu erheblichen Orientierungsschwierigkeiten in der Gegenwart führen kann. In die berechtigte Vorsicht eines Unternehmers, Investitionen abzusichern, können sich kindliche Versagensängste oder übernommene Panikgefühle der Eltern aus Zeiten der Weltwirtschaftskrise mischen. Als Therapie im Sinne des Gegenwartsbezuges bietet sich dann die Enttrübung an. Die Einmischungen werden identifiziert und herausdifferenziert. Es bleiben die zu der gegenwärtigen Fragestellung passenden Gefühle. Um neuen Lebenssituationen begegnen und neue Rollen lernen zu können, ist es darüber hinaus oft erforderlich, Altes neu zu ordnen und Neues zu entwickeln. Enttrübungen und Entwirrungen sind Hilfen, eine ›differenzierte Persönlichkeit‹ zu entwickeln.

      Die innere Organisation bedarf auch bei ausdifferenzierten Ich-Zuständen einer Steuerung. Hierbei können Störungen der Integration beschrieben werden. Während z.B. das Erwachsenen-Ich eine anstehende Geschäftsbesprechung realistisch zu beurteilen und vorzubereiten versucht, können an das Vorhaben Hoffnungen für das eigene Wertgefühl, Wünsche, Visionen, aber auch Abneigung gegen die anstehenden Anstrengungen geknüpft werden. Daneben kann etwa die innere Mutter »ewig besorgt um das gute Benehmen des Sohnes« mahnen, und der innere 15-Jährige daraufhin ängstlich oder rebellisch reagieren. Alle diese Strebungen mögen sich gleichzeitig oder abwechselnd im Erleben und Verhalten der Person zum Ausdruck bringen. Mit Hilfe der Strukturanalyse können diese Vorgänge studiert und daraufhin befragt werden, welche Ich-Zustände in welcher Weise beteiligt sind. Man kann dann für die Beteiligung der Teilpersönlichkeiten, ihre Beziehung untereinander und die integrierende Steuerung dieser Vorgänge Strategien entwerfen. Dies gelingt im Alltag meist durch natürliche Lernvorgänge oder bewusste Lernstrategien der Betroffenen. Manchmal ist professionelle Hilfe von außen zweckmäßig. Für das erwähnte Beispiel können verschiedene Ich-Zustände im Rollenspiel personifiziert werden. Auf diese Weise können frühere Lebenssituationen und der heutige Bezug zu ihnen, aber auch verschiedene aktuelle Strebungen in einer Person in Szene gesetzt werden. Solche Maßnahmen können hilfreich sein, eine »integrierte Persönlichkeit« zu entwickeln.

      Aus der Perspektive der Person gibt es eine Reihe weiterer TA-Konzepte, die nicht direkt mit strukturanalytischen Überlegungen einhergehen müssen. Beispielsweise gibt es Beschreibungen von gewohnheitsmäßigen Erlebens- und Verhaltensweisen (Rackets), die als gelernte Eigenarten der persönlichen Organisation eines Menschen angesehen werden. Daher studiert man, ob sich hier nicht bestimmte Denkmuster, Verhaltensmuster oder Gefühle beobachten lassen, die wiederholt – oft unbemerkt gewohnheitsmäßig – gelebt werden. Man tut dies, weil solche Muster aus der Sicht der Mitmenschen oft als nicht zur Situation passend, als nicht nachvollziehbar oder als unerfreulich erlebt werden.

      Für den volkstümlichen amerikanischen Ausdruck Racket gibt es verschiedene Übersetzungen, die etwas mit verschiedenen Definitionen dieses Begriffs zu tun haben. Ich greife je ein Verständnis von ENGLISH und BERNE heraus. Nach ENGLISH sind Rackets Ersatzgefühle. Hier wird ein gezeigtes Gefühl unter dem Gesichtspunkt studiert, ob es situativ passt oder ob es nicht gewohnheitsmäßig statt eines anderen, hier passenderen Gefühles aktiviert wird. Zum Beispiel könnte jemand in seiner Familie gelernt haben sich gewohnheitsmäßig depressiv zu fühlen, anstatt etwa Schmerz, Empörung oder vielleicht auch Tatendrang zu empfinden und zu zeigen. Wenn man unter diesem Gesichtspunkt auf Gefühle schaut, ergeben sich daraus Operationen, die daraufhin zielen, dem Klienten die Gefühle, die durch das Ersatzgefühl gewohnheitsmäßig ersetzt werden, wieder zur Situation passend