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Gestalt-Traumatherapie


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schlug mich mit Teppichklopfern. Sie konnte mich nicht brechen, ich zerbrach die Teppichklopfer.« (Perls 1981, 313). Bocian (2002, 39) vermutet, dass die folgende Passage aus Perls 1981 (290) zumindest mit eigenem Erleben vermischt ist: »Nie vergaß er, dass sein Vater ihn des öfteren »ein Stück Scheiße« nannte. Die Reaktionen der Eltern (…) erlebte er als existentiell vernichtend. »Ich will dich auslöschen, du sollst nicht leben. An deiner Stelle soll ›nichts‹ sein. (…) Wir erziehen dich. Bis du so wirst wie Wir, Wir, Wir, Wir dich haben wollen.« Bocian führt über Perls weiter aus: »Eine traumatische Neurose definiert er an einer Stelle als Verteidigungsstrategie, um sich gegen die »Überfälle der Gesellschaft« (Perls 1979, 49, zit. nach Bocian 2002) zu schützen. »Das zweijährige Kind z.B., das von seinen Eltern in einer dunklen Kammer eingeschlossen wurde, ist fast einer unerträglichen Anspannung unterworfen. Es wird durch ihr Verhalten auf ein Nichts reduziert – ja auf weniger als ein Nichts; es wird zu einem Objekt ihrer Manipulation ohne eigenes Recht und eigene Macht. Es gibt kein ›Ich‹ mehr, es gibt nur ›sie‹ und was ›sie‹ tun können« (ebd.). Bei der Durchsicht der Kurzvariante seiner Autobiographie (Perls 1993) fällt die schwierige Kindheitssituation und die fehlende soziale Unterstützung auf. Das Kind kann nicht verstehen, was geschieht. Verstehbarkeit ist aber nach Antonovsky (1997) eine wichtige Ressource, um ein Ereignis als weniger beschädigend und traumatisierend zu erfahren, ihr Fehlen erhöht die Gefahr traumatischer Verarbeitung.

      2) »Diese Schule war ein Albtraum für mich« (Perls 1981, 193). »Selten haben so wenige Lehrer so viele Schüler gequält. Das Grundprinzip war Disziplin und Antisemitismus« (ebd., 280).

      3) Perls berichtet über Erlebnisse aus dem 1. Weltkrieg im Jahr 1916: Perls hat eine Grippe mit hohem Fieber entwickelt, wird in einem Feldlazarett untergebracht. Er träumt: »meine Familie, im Vordergrund Grete, die Schwester, die ich liebe, steht um mein Grab herum und bittet mich ins Leben zurückzukehren. Ich bemühe mich, strenge mich an, biete alle meine Kräfte auf und schaffe es. Langsam, ganz langsam kehre ich zurück ins Leben, bereit, wenn auch nicht allzu bereit den Tod loszulassen, den Tod, der so viel erträglicher war als die Schrecken des Krieges.« Perls verbrachte neun Monate in den Schützengräben des Stellungskrieges in Flandern, wo der Gaskrieg erstmals erprobt und auf das heftigste geführt wurde. »Ich hatte bereits einen gewissen Grad an Härte und Gefühllosigkeit erreicht, aber es gab zwei Formen des Todes, die ich kaum ertragen konnte. Das eine waren die Kommandos nach den Angriffen. Nachdem die Gas-Wolke über die feindlichen Linien gezogen war, kletterten sie aus ihren Gräben. Sie waren mit einem langen biegsamen Hammer ausgerüstet, mit dem sie jeden der noch ein Lebenszeichen von sich gab, erschlugen. (…) Das andere passierte nur einmal. (…) In dieser Nacht machten wir einen weiteren Gas-Angriff. Öffnet die Ventile. Die gelbe Wolke kriecht in Richtung auf die (feindlichen) Gräben. Dann ein plötzlicher Wirbel. Der Wind ändert seine Richtung. Die Gräben verlaufen in Zick-Zack-Linien. Das Gas kann in unsere eigenen Gräben ziehen… und bei vielen funktionieren die Gasmasken nicht. Und viele, viele erleiden leichte und schwere Vergiftungen und ich bin der einzige Arzt und habe nur vier kleine Sauerstoff-Flaschen und jeder verlangt verzweifelt nach etwas Sauerstoff, klammert sich an mich und ich muss ihm die Flasche entreißen, um einem anderen Soldaten etwas Linderung zu verschaffen. Mehr als einmal war ich versucht, die Gasmaske von meinem schweißgebadeten Gesicht zu reißen.« (Perls 1981, 164f) Nachdem er diese Kriegsberichte aufgeschrieben hat, beschreibt sich Perls am nächsten Tag wieder so: »Heute morgen fühlte ich mich dem Wahnsinn nahe. Worte krochen wie Termiten über meinen ganzen Körper.« (ebd., 169)

      Bocian (2002, 88f) geht mit Faiss (zit. in Bocian 2002) von einem starken Kriegstrauma bei Perls aus, das ihn für den Rest seines Lebens verbitterte (Zeff, zit. nach Bocian 2002) und zum Zyniker werden ließ (Perls 2003, 49f).

      Perls (1993) selbst spricht von desensitization, einer Desensibilisierung, was in der Traumaliteratur als Abstumpfung oder numbing bezeichnet wird. Diese innere Panzerung aufzulösen und die Lebendigkeit und Lebensfreude wiederzugewinnen ist ein vermutlich daraus erwachsenes dringendes Anliegen. Bocian (2002, 90) sieht diese biographisch bestimmten Themen als zentral für die Entwicklung der Gestalttherapie. Bocian (2002, 112) nennt die in dieser Zeit und der nachfolgenden Weimarer Republik erfahrene »tief greifende Erfahrung der Verunsicherung, ja Dissoziation des Ich« (Vietta, zit. nach Bocian 2002) den Gegenpol zur Sehnsucht nach einer persönlich erlebten guten Gestalt von Perls. Die als Heilungshoffnung aufgesuchte zweite Lehranalyse bei dem extrem abstinenten Analytiker Harnak empfand er als Qual (Bocian 2002, 178). Der Analytiker Venzlaff (2001, 148) schreibt über die Abstinenzhaltung des Analytikers gegenüber Traumatisierten, besonders bei KZ-Überlebenden: »Die von der Psychoanalyse vorgeschriebene Abstinenzhaltung des Analytikers ließ den Patienten diesen in der Übertragungssituation als neuerlichen Aggressor erleben, wirkte oft in hohem Maße angstauslösend und somit antitherapeutisch.«

      4) In seinem Interview mit Jim Simkin 1966 schildert Fritz Perls (1992, 23): »In Deutschland, nun dort haben wir einigermaßen komfortabel gelebt. Ich hatte mein Einkommen und Lore bekam etwas Geld von zu Hause. Dann gingen wir nach Holland, wo wir dann in größter Armut lebten. Als ich nach Holland floh, hatte ich eine Summe von umgerechnet 25 Dollar in meinem Feuerzeug versteckt. Und nun durften wir überhaupt kein Geld verdienen. Wir lebten von der Wohlfahrt, im tiefsten Winter auf einem Dachboden. Und Lore musste putzen gehen, das hatte sie vorher noch nie gemacht, und kalt war es, wir froren uns halb tot.«

      Lore berichtet, dass sie sehr gefährdet waren »als Mitglieder der antifaschistischen Liga. Sie kamen immer nachts zwischen zwei und vier. Die letzten Nächte schliefen wir jede Nacht woanders.« (DVG-Film 2005)

      5) Beim Schreiben seiner Autobiographie und beim Nachdenken darüber, ob er eine jüdische Identität habe, und wie diese sei, berichtet Perls Folgendes: »Ich erwache heute morgen benommen und schwer. Saß auf meinem Bett, dumpf und in einer Trance wie ich sie bei Insassen von psychiatrischen Kliniken gesehen habe, die sich in ihre Grübeleien zurückgezogen hatten. Geister, die Opfer Hitlers, meist Verwandte von mir und Lore besuchen mich, zeigen mit dem Finger auf mich: »Du hättest mich retten können«. Sie wollen, dass ich mich schuldig und für sie verantwortlich fühle.« (Perls 1981, 135f)

      Perls kann daher als kindheitstraumatisiert sowie als kriegstraumatisiert angesehen werden. Auf seine Traumatisierung deutet auch seine doch erst sehr späte »Heilung« durch Ida Rolf hin, da aus der Therapie von Traumapatienten inzwischen bekannt ist, dass vor allem der Einbezug und die Fokussierung auf körperlich-emotionales Erleben eine Traumaauflösung möglich macht. Perls schreibt dazu: »… ich hatte Kontakt zu einer Schicht von zersplitterten und zerstreuten Bruchstücken von winzigen Introjektionen und fremdem Material. Viele bestanden aus körperlichen Empfindungen und Bildern jedoch ohne Zusammenhang. (…) Ich habe nicht die geringste Ahnung wie, aber offensichtlich bewirkte dieser Kontakt eine Veränderung. Meine zwanghafte Lüsternheit ließ wirklich nach. (…) Vor etwa drei Monaten gab ich mein zwanghaftes Masturbieren auf und es ist praktisch nichts mehr davon da. (…) ich weiß, dass eines Tages etwas ähnliches mit meinem Rauchen passieren wird« (Perls 1981, 267). Seine Sex- und Nikotinsucht können als weitere traumainduzierte Spannungszustände angesehen werden. Levine schreibt: »Zwanghaftes, perverses, promiskuitives und gehemmtes Verhalten in der Sexualität sind oft Anzeichen für das Bestehen eines Traumas und müssen nicht unbedingt durch sexuellen Missbrauch hervorgerufen worden sein (Levine 1998, 41).

      Sein Verhältnis zu seinen Kindern, seine Prügelorgien gegenüber seiner Tochter (»he wanted to beat the hell out of me«: Renate Perls im biographischen Laura-Perls-Film ›Leben an der Grenze‹, 2005) sind weitere Hinweise auf seine traumageprägte Persönlichkeit im Sinne einer Wiederholung als hilfloser Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr.

       PTSD-Diagnostik

      Innerhalb der Gestalttherapie ist die Entwicklung einer theorie- und therapieangemessenen Diagnostik insbesondere während der Anfangsjahre nicht mit großer Entschiedenheit vorangetrieben worden bzw. wurde immer wieder durch das Bestehen auf einer reinen Prozessdiagnostik erschwert. Einen der neueren Ansätze diagnostischen Herangehens legte Dreitzel (2004) mit einer prozessorientierten Gestaltdiagnostik vor. Für Traumabetroffene erscheint vor Therapiebeginn eine Abklärung der Symptome mit Hilfe diagnostischer Manuale bzw. Tests als sinnvoll, da das