von Goldstein. Angst wird hier als eine Erschütterung des Eingewoben-Seins des Organismus in das Umweltfeld gesehen. Goldstein schreibt über die innere Selbstverwirklichungstendenz des Menschen im Organismus-Umweltfeld, dass (1934, 58) »ein Organismus nur sein kann, wenn es ihm gelingt, in der Welt eine adäquate Umwelt zu finden, sie herauszuarbeiten, wozu natürlich die Welt die Möglichkeit geben muss. Und weiter … »beim kranken Menschen … besteht die Grundvoraussetzung der Existenz darin, dass er wieder eine adäquate Umwelt aus der Welt herauszuschälen vermag.« (ebd.). Goldstein (1934, 24) unterscheidet zwei Grundverhaltensweisen: … »geordnetes Verhalten mit dem Gefühl der Leichtigkeit, des Behagens, der Entspannung, Angepasstheit an die Welt, der Freude« im Gegensatz zu »katastrophalen Reaktionen, die sich als ungeordnet, wechselnd, widerspruchsvoll, eingebettet in Erscheinungen körperlicher und seelischer Erschütterung« (erweisen. … Der Kranke … befindet sich (dabei) in einem Zustand, der gewöhnlich als Angst bezeichnet wird. Goldstein (1934, 187f) definiert Angst in Anlehnung an Kierkegard und Heidegger als zusammenhängend mit dem »Nichts«. Goldstein formuliert: »Der Kranke erlebt eine Erschütterung im Bestande der Welt wie des eigenen Ich … Diese Erschütterung ist erlebnismäßig das, was wir Angst nennen.« Der Kranke hat nach Goldstein nicht Angst, »der Kranke ›ist‹ Angst. Die Angst tritt also dann auf, wenn die Verwirklichung der der Wesenheit eines Organismus entsprechenden Aufgaben unmöglich geworden ist. Das ist die Gefährdung bei Angst.« (ebd.) Furcht definiert Goldstein (1934, 191) als Angst vor der Angst und auf Objekte gerichtet, welche Angst eintreten lassen können. Goldstein unterscheidet: »Die Furcht stärkt die Sinne, die Angst macht sie unbenutzbar, die Furcht treibt zum Handeln, die Angst lähmt. Der Angst können wir nur entgehen, indem wir Furchtsituationen vermeiden.« (ebd.)
EMDR
Das EMDR (Eye Movement Desensitization Reprocessing) wurde von Francis Shapiro in der Arbeit mit Vietnamveteranen entwickelt. Auf die gestalttherapeutischen Wurzeln der Begründerin der EMDR-Therapie Francis Shapiro weist Hartmann-Kottek (2004, 38) hin, sowie auf die inhaltliche Ähnlichkeit zwischen dem EMDR-Ansatz und der Gestalttherapie. Bei der EMDR-Technik wird zuerst imaginativ ein Sicherheitszustand erzeugt, z.B. als sicherer Ort. Dann wird ein bewegter Reiz, meist die Hand des Therapeuten vor den Augen des Klienten, regelmäßig hin- und herbewegt, oder als Berührreiz rhythmisch dargeboten. Gleichzeitig soll in kleinen Zeiteinheiten das Trauma erinnert und in kleinen anschließenden Pausen stichwortartig darüber berichtet werden. Durch dieses erneute, kontrollierte und abgesicherte Durchlaufen des Traumas wird es laut EMDR-Theorie richtig verarbeitet und abgeschwächt. Insbesondere der supportive Anteil der EMDR-Therapie, die Stabilisierungstechniken, wie die innere Helfer-Technik sowie die Distanzierungstechniken, nennt Hartmann-Kottek »genuine Gestalttherapie«. Hartmann-Kottek schlägt für Gestalttherapeuten als Ergänzung das Erlernen der EMDR-Technik vor, sowie die Kenntnis von Indikation und Gegenindikation für die Traumaexposition, verbunden mit einem Gesamtverständnis der Traumaschutzmechanismen.
Reich / Levine
Wilhelm Reich mit seiner genauen Beschreibung und Fokussierung auf Körperprozesse bildet für aktuelle traumatherapeutische Ansätze eine noch immer relevante Basis. Der Körper oder Leib wird als Speicherort traumatischer Erfahrungen begriffen, aber auch als Medium des Zugangs zu versprengten und verschütteten Bruchstücken traumatischer Erlebnisse, sowie als Ort eines Teils einer möglicher Heilung und Integration der Erlebnisse. Fuckert (2002) stellt für den deutschsprachigen Raum eine traumazentrierte Psychotherapie in der Nachfolge Reichs vor, die gerade auch durch Levine inspiriert wurde. Einen der Gestalttherapie verwandten Ansatz legt der in Reichianischer Tradition stehende Traumaforscher Peter Levine (1998, 2005) vor. Bocian (2002, 91, 227f) stellt die interessante Hypothese auf, dass Reich auch bei der Entwicklung seines Ansatzes zur Auflösung von Muskelpanzern vom Motiv der Auflösung seiner eigenen, durch Kriegstrauma bedingten inneren Panzerung geleitet worden sein könnte. Auch Levine betont die wichtige Rolle des Körpers bei der Traumaentstehung. Er betrachtet posttraumatische Symptome als durch Angst unterbrochene physiologische Reaktionen (43), die zu einer Erstarrung oder Immobilität führen. Levine postuliert hier auch das Prinzip der offenen Gestalt, die nach Abschluss drängt. Dazu ist es nötig die Energie, die in der Erstarrung gebunden ist, zu transformieren (ebd., 44). Dazu bedarf es eines unterstützenden Umfeldes: »Wir brauchen die Unterstützung unserer Freunde und Verwandten sowie der Natur.« (ebd., 45) Zentraler Prozess ist bei Levine das Abschütteln des Traumas durch Zittern und Schütteln in Analogie zum Abschütteln der Schockstarre bei Tieren. Levine bezieht bei seiner Traumatherapie die Natur als eine wichtige, uns unterstützende Matrix ein. Dabei benennt er schamanistische Heilungsansätze, die die Wechselwirkung zwischen Natur, der sozialen Gemeinschaft und den Symptomen und Reaktionen des Betroffenen beachteten und nutzen, als eine der Quellen seiner Therapie (ebd., 66, 69). Eine ähnliche Herangehensweise der Integration von schamanistischem, gemeinschaftsorientiertem und naturbasiertem Herangehen liegt auch von St. Just (2005) vor, mit einer stärkeren Betonung feministischer und weiblicher Heilungsperspektiven. Diese Ansätze können als Ausarbeitung ursprünglich gestalttherapeutischer Ansätze genutzt werden. Die Projekte des Gestaltkibuzz bzw. der therapeutischen Gemeinschaften von Fritz Perls an Orten unzerstörter Naturschönheit weisen in eine ähnliche Richtung.
Levine nennt seinen Ansatz »Somatic Experiencing«. Dabei sollen die verloren gegangenen und zersplitterten Teile der Existenz reintegriert werden, ausgelöst durch den starken Wunsch, die Ganzheit wieder zu erreichen. Darin wird durch körperliche Gewahrseinsübungen wie z.B. bewusst sich sanft berühren, duschen oder abklopfen versucht, wieder ein ganzheitliches Körpergefühl herzustellen. Dies hilft, das innere Empfinden als ganzheitliches inneres Gewahrsein zu entwickeln. Wenn dies einigermaßen eingeübt ist, werden klassische Wahrnehmungsübungen wie aus dem Praxisteil von Gestalttherapie eingesetzt (PHG, 1951; das Grundlagenwerk von F. Perls, R. Hefferline, P. Goodman, (1951/2006) als auch die drei Autoren werden mit PHG wiedergegeben. Wenn nicht ausdrücklich vermerkt, ist damit die Neuübersetzung von 2006 gemeint). In aufeinander folgenden Übungsschritten werden nun einzelne traumatypische Reaktionen identifiziert. Levine betont, dass auf kathartische Lösung ausgerichtete Therapien weniger wirkungsvoll seien und oft Retraumatisierungen auslösen können (ebd., 19). Mittels des gelernten inneren Erlebens wird das traumatische Ereignis in der therapeutischen Situation wieder erlebt und kann danach abgeschüttelt werden.
Traumakompetente Konzepte und Modelle der Gestalttherapie
Traumatherapeutisches Verständnis in PHG
Nicht nur die persönlichen Biographien der Gründer der Gestalttherapie sondern auch die inhaltliche Formulierung des Gründungsbuches »Gestalttherapie« sind geprägt durch die Auseinandersetzung mit der Thematik traumatischer Verarbeitung. Dies ist unter anderem der wenn auch abgrenzenden Orientierung an der Freudschen Neurosenlehre und Ätiologie geschuldet, aus der heraus sich die Gestalttherapie gerade entwickelte. Innerhalb der Psychoanalyse war bekanntermaßen die Entstehung von Neurosen ursprünglich auf ein traumatisches Erlebnis zurückgeführt worden, eine Position, die Freud von Janet und Charcot übernommen hatte, später aber abschwächte und revidierte (Streeck-Fischer, Sachsse & Ökzan 2001, 12). Im Folgenden werden nun die für eine Traumatherapie entscheidenden Begriffe herausgearbeitet. Diese Beschreibungen wurden von PHG nicht explizit für Traumatherapie entwickelt, sondern eher für eine »normale« Neurosentherapie. Und doch ist Gestalttherapie mit Beschreibungen traumatischer Konstellationen reich ausgestaltet und voll tiefen Verstehens traumatheoretischer Prozesse. Gerade die Zeit der Entstehung von Gestalttherapie ist eine zutiefst von den Traumata zweier Weltkriege geprägt Epoche gewesen.
Schöpferische Anpassung
Wir glauben, dass die Konzentration auf eine gegenwärtige Angelegenheit, … zu einer Gestalt führt, die ein tatsächliches Problem löst. (PHG 2006, 47) Diese schöpferische Anpassung wird durch die organismische Selbstregulation vorangetrieben, bzw. ist Ausdruck dieser. PHG schreiben dazu: Wenn man die Dinge sich selbst überlässt, regulieren sie sich auf spontane Weise selbst, und … tendieren …dazu, sich wieder zu korrigieren«. (PHG, 48) Sie können »zu etwas Wertvollem führen«. In diesem Sinne kann beispielsweise die künstlerische Ausdrucksgebung einer Niki de SaintPhalle angesehen werden, oder das hohe soziale Engagement von Menschen, die traumatische Erlebnisse überstanden haben, wie Nelson Mandela. Dort bildete sich zum Teil aus den traumatischen Erfahrungen