Thomas Maissen

Geschichte der Schweiz


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zusammenfanden. Um Fehden zu vermeiden und damit den Übergang über die verschiedenen Alpenpässe vom Panixer bis zum San Bernardino für Händler zu sichern, schloss der Graue Bund schon früh verschiedene Bündnisse, insbesondere mit Glarus. 1471 kam es ausserdem zu einer Allianz mit dem dritten und jüngsten der rätischen Bünde, dem 1436 – nach dem Tod des Feudalherrn Friedrich VII. von Toggenburg – gegründeten Zehngerichtebund, der von Davos über das Prättigau bis nach Maienfeld reichte. Hier erlangte in den 1470er-Jahren Herzog Sigmund von Tirol das Blutgericht, das ein lokaler Landvogt von der Burg Castels aus wahrnahm. Zugleich bildete der Zehngerichtebund mit dem Grauen und dem Gotteshausbund aber einen selbstständigen Teil des übergreifenden Zusammenschlusses als «Drei Bünde». Sie verpflichteten sich zu Hilfeleistungen und Schiedsgerichten und vereinten regelmässig die Gesandten der rund 50 Talschaften zu Bundstagen, nicht zuletzt im Hinblick auf eine eigene Aussenpolitik. Angesichts der habsburgischen Präsenz in der Region lag es nahe, dass der Graue Bund und der Gotteshausbund 1497/98 eine Allianz mit den Eidgenossen (ohne Bern) eingingen. Kurz darauf eskalierte ein Streit um Vogteirechte im Münstertal zwischen dem Gotteshausbund und dem habsburgischen Landesherrn von Tirol. Dies war nun aber nicht mehr der 1490 verstorbene Sigmund, sondern Maximilian, der Erbe des Burgunderreichs und seit 1493 König im Reich. Die epochalen Kriege von Habsburg gegen Valois wurden seit 1494 in Italien geführt, wohin der französische König vorgestossen war. Entsprechend wichtig waren für Maximilian die Bündner Passwege nach Italien. Anders als sein Vater, Kaiser Friedrich III., pflegte er zu den Eidgenossen zumeist guten Kontakt. Doch im Konflikt mit dem Gotteshausbund rief er den schwäbischen Bund zu Hilfe, der 1488 gleichsam als Nachfolgeorganisation des Sankt Jörgenschildes gegründet worden war. Diesem gehörte Maximilian selbst an, ausserdem der Herzog von Württemberg, hohe und niedrige Adlige, Prälaten und 20 schwäbische Reichsstädte. Diese Zusammensetzung zeigt, dass sich nun zwei widersprüchliche Bündnis- und damit Ordnungsmodelle in der Region Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein gegenüberstanden: das adlig-hierarchische, das tendenziell Urteile von akademisch ausgebildeten Juristen am Reichskammergericht umsetzte, und das kommunale von gleichrangigen Orten, die Konflikte durch Schiedsgerichte von Laien oder durch Waffengewalt aushandelten. Dazu kam die militärische und wirtschaftliche Konkurrenz zwischen schwäbischen Landsknechten und schweizerischen Reisläufern, die sich mit dem Ruf «Hie Lanz! – Hie Schwytz!» entgegentraten.

      Gleichsam im Mittelpunkt der Auseinandersetzung lag das linksrheinische Konstanz, der alte Vorort des Herzogtums Schwaben. 1498 war die Reichsstadt, nicht zum ersten Mal, Stätte einer ausserordentlichen Tagsatzung der Eidgenossen gewesen. Andererseits hatte zu Fasnacht 1495 ein Freischarenzug von 1000 Innerschweizern durch eine angedrohte Brandschatzung 4000 Gulden erpresst. Konstanz, die Stadt ebenso wie der Bischof, sahen sich also im Dilemma zwischen einerseits dem adligen Schutz, dem die schwäbischen Reichsstädte vertrauten, und andererseits den gleichsam mafiösen Schutzgeldforderungen der Kriegerhaufen aus den an sich geografisch und politisch nahestehenden eidgenössischen Orten. Nach anhaltenden Versuchen, neutral zu bleiben, schloss sich Konstanz schliesslich dem Schwäbischen Bund an. Was folgte, könnte als – entsprechend grausamer – «Bürgerkrieg im Bistum Konstanz» bezeichnet werden.

      Beide Kriegsparteien verwüsteten in kleineren Schlachten, vor allem aber blutigen Plünderungszügen 1499 die Gebiete entlang der Rheingrenze, ehe die Bündner an der Calven, am Ausgang des Münstertals, im Mai ebenso obsiegten wie zwei Monate später bei Dornach die Solothurner und eidgenössische Hilfstruppen. Es hatte nichts gefruchtet, dass König Maximilian Ende April nach anfänglichen Vermittlungsversuchen auch persönlich in die Kämpfe eingriff und die Reichsacht gegen die Eidgenossen verhängte. Am 22. September 1499 wurde der Friede von Basel geschlossen, in dem bei territorialem Status quo die Landgerichtsbarkeit im Thurgau von Konstanz an die Eidgenossen fiel: Ihre Gemeine Herrschaft führte nun uneingeschränkt bis vor die Mauern der linksrheinischen Reichsstadt. So wurden konkurrierende Rechtsansprüche entflechtet und klar entlang von territorialen Grenzen getrennt – eine Grenze zu Konstanz und zu Schwaben, wohlverstanden, und nicht zu «Deutschland». Die Eidgenossen legten grossen Wert darauf, dass sie den Krieg nicht gegen König und Reich geführt hatten, die im Friedensvertrag gerade deshalb nicht erwähnt wurden. Gegen Maximilian ging es nur «von wegen sine Maiestät Graffschafft Tirol», und als seine Hauptgegner wurden der Bischof von Chur und der Gotteshausbund benannt. Gleichwohl galt der Basler Friede von 1499 der nationalen Geschichtsschreibung seit dem späten 19. Jahrhundert anachronistisch als Beginn der «faktischen Unabhängigkeit» vom Reich, wobei man eigentlich an das Deutsche Reich von 1871 dachte. 1499 suchte dagegen niemand «Unabhängigkeit», im Gegenteil: Sie hätte die zehn «des heilgen Römschen richs besunders gefryete Staend» ihrer Herrschaftslegitimation beraubt, die alternativlos in den königlichen Privilegien begründet lag.

      Letzte Erweiterungen der Bündnisse

      Das Reichskammergericht wurde im Basler Frieden nicht erwähnt. Man konnte aber dessen letzten Paragrafen, der laufende «processe und beswärungen» gegen Eidgenossen, Untertanen und «verwanndte» niederschlug, als Befreiung davon lesen. Daran war den zehn Orten sehr gelegen, welche die alte reichsrechtliche Befreiung von auswärtiger Appellation grosszügig interpretierten, weniger für sich als wegen der Zugewandten. Tatsächlich hatte das Kammergericht gegen ihren ausdrücklichen Willen den St. Galler «Varnbüler Handel» und den Appenzeller «Schwendiner-Handel» an sich gezogen und die beiden Zugewandten Orte vorübergehend mit Reichsacht belegt. Das berührte insofern Grundsätzliches, als die Eidgenossen 1489 im «Rorschacher Klosterbruch» gerade bewiesen hatten, dass es ausreichte, wenn sie alleine als regionale Ordnungsmacht auftraten, diplomatisch mit Schiedsgerichten und notfalls mit Waffengewalt. Durchaus konservativ mussten sich nun einerseits die rastlosen Appenzeller mit sieben Orten (ohne Bern) die Herrschaft über das Rheintal teilen, während andererseits die Stadt St. Gallen daran gehindert wurde, jenseits der engen Stadtgrenzen auf Kosten des Fürstabts ein Territorium zu erwerben, das ihrem im Leinwandgewerbe und -handel erworbenen Reichtum entsprochen hätte. Gleichwohl sahen es das Kammergericht und hinter ihm die Reichsstände als ihre ureigene Aufgabe an, einen geistlichen Reichsfürsten, den St. Galler Abt, auf dem Rechtsweg vor eigenmächtiger Fehde zu bewahren. Maximilian dachte weniger prinzipiell und wollte den Zugriff auf Schweizer Söldner statt mit Geld, woran es ihm im Vergleich zu Frankreich mangelte, durch reichsrechtliche Konzessionen erlangen. Er zeigte sich am – Konstanzer – Reichstag von 1507 zu einer Freistellung vom Kammergericht bereit, die dann aber wegen Vorbehalten der Reichsstände unterblieb. Gleichwohl gelobten die Eidgenossen, die der Einladung als «Glieder und Verwandte des Heiligen Römischen Reichs» gefolgt waren, Beteiligung am Romzug. In der Erbeinigung von 1511, welche die «Ewige Richtung» von 1474 erneuerte, versprachen sie weiter, ihrem «allergnädigsten Herren dem Römischen Keyser» getreue Dienste zu erweisen, womit auch das Verhältnis zu Habsburg nachbarschaftlich geregelt war. Pragmatisch verzichtete man darauf, die Frage des Kammergerichts grundsätzlich zu klären: Für die zehn Orte stellte sie sich nicht mehr, für die anderen Angehörigen des Bundesgeflechts sollte sie erst im Dreissigjährigen Krieg wieder aktuell werden. In der Reichsmatrikel von 1521, dem Verzeichnis der stellungs- und steuerpflichtigen Reichsstände, standen die zehn Orte nicht drin, wohl aber die geistlichen Fürsten auf Schweizer Gebiet und St.Gallen sowie Basel und Schaffhausen.

      Während Maximilian den wiederholt erwogenen Anschluss von Konstanz an die Eidgenossenschaft verhindern konnte, setzten sich gerade in Basel und Schaffhausen, die teilweise oder gar ganz rechtsrheinisch lagen, die Anhänger der Eidgenossen durch. 1501 wurden die beiden Reichsstädte aufgenommen, wobei auch sie sich auf Bündnisse oder Kriege nur mit Einwilligung der anderen Orte einlassen durften. Damit vor allem Basel, die nunmehr grösste Stadt der Eidgenossenschaft, die Gleichgewichte nicht verschob, mussten sie bei Streitigkeiten zwischen den anderen Orten zudem «stille sitzen» und vermitteln. Die Gruppe der Länder wurde auch dadurch etwas gestärkt, dass 1513 das unruhige Appenzell sich dem Bund anschloss, dem es schon lange nahestand. Diese drei Beitritte richteten sich alle nicht gegen das Reich. Im Gegenteil, die eben erlangte Reichsfreiheit, von Basel 1488 und von Appenzell 1507, war wie schon für das seit 1478 reichsfreie Freiburg Voraussetzung für die vollberechtigte Teilnahme an der Eidgenossenschaft. Damit war die Zahl von 13 Orten erreicht, die sich bis 1798 nicht mehr verändern sollte.

      Die Versuchungen im Süden

      Der