Nutzniesser der Burgunderkriege war also nicht das heterogene eidgenössische Bündnis, von dem Savoyen die verlorenen Gebiete im Waadtland billig zurückerhielt und Frankreich vorübergehend die Freigrafschaft erwarb. Die sieben östlichen Orte wollten sich nicht für die Berner Westexpansion vereinnahmen lassen und bezogen lieber bares Geld. Während die Walliser ihre Eroberungen behielten, musste sich Bern mit Erlach und Aigle begnügen, wozu, in gemeiner Herrschaft mit Freiburg, noch Murten, Echallens, Grandson und Orbe kamen; in der Vogtei Schwarzenburg übten sich die beiden Städte bereits seit 1423 in geteiltem Besitz.
Kriegstüchtigkeit und Beutegier
Wie konnten die schweizerischen Milizsoldaten die ritterlichen burgundischen Berufskrieger besiegen, ja europaweit für einige Jahrzehnte in den Ruf der Unbesiegbarkeit gelangen? Die Voraussetzungen waren nicht ideal: Die einzelnen Orte führten ihre Truppen mit oft unterschiedlichen strategischen Zielen in den Kampf. Die Disziplin dieser nichtadligen Soldaten war ungleich kleiner als ihre Brutalität, Zerstörungswut und Beutegier, was auch daran lag, dass sie gleichsam auf eigene Rechnung kämpften und von den Obrigkeiten nur bedingt logistische Unterstützung erwarten konnten. Das Mannschaftsrecht verpflichtete die Haushalte nicht nur dazu, Krieger zu stellen, sondern sie auch auszurüsten und zu verköstigen. Gemeinden oder Zünfte kontrollierten die Zahl der Wehrpflichtigen und deren Ausrüstung, wenn auch oft eher nachlässig. Mit dem Aufkommen der Feuerwaffen entstanden seit dem späten 14. Jahrhundert eigene Zeughäuser. Hakenbüchsen waren oft zu teuer für einzelne Bürger, und eine Aufbewahrung in anderen Gebäuden, etwa im Rathaus, war wegen der explosiven Munition zu gefährlich. Auch erbeutete Fahnen und Waffen fanden den Weg ins Zeughaus.
Die Büchsenschützen wurden im 15. Jahrhundert zwar wichtiger als die Bogen- und Armbrustschützen. Dennoch waren diese Gruppen, die zumeist vor der eigentlichen Schlacht zum Einsatz kamen, für die schweizerische Kriegsführung nicht zentral. Die Eidgenossen kämpften als dichte Schlachthaufen, Gevierte mit manchmal mehreren Tausend Mann. An deren Rand hielten gerüstete Kämpfer mit fünf Meter langen Spiessen die feindlichen Reiter auf Distanz und schützten so beim Aufprall der Heere die Soldaten im Inneren des Harsts. Diese waren nur mit Helmen und leichtem Harnisch vor Beschuss geschützt und mit Halbarten und anderen Nahkampfwaffen (Schweizerdegen, Schwert, Dolch) bewaffnet. Sie konnten keilartig in die Breschen der feindlichen (Ritter-)Phalanx einbrechen und dank ihrer Geschlossenheit und zugleich Beweglichkeit die Gegner im Zweikampf niederringen. Euphorisiert, auch durch Wein, begleiteten die Eidgenossen ihre Angriffe mit ohrenbetäubendem Brüllen und Lärmen. Entscheidend waren oft die Geländeverhältnisse und das Überraschungsmoment, das von einer Vorhut ausgehen konnte, die als «verlorener Haufen» die Schlacht vom Zaun brach. Die Hauptleute kontrollierten ihre kampflustigen Truppen nur beschränkt, am wenigsten die «frijheiten» oder «frijharsten», welche auch reguläre Auszüge in der Hoffnung auf Beute begleiten konnten. Der Übergang von unterbeschäftigten, gewaltbereiten Jungmannschaften zu Berufskriegern und Söldnern war insofern bei Soldaten und erfolgreichen Hauptleuten fliessend.
Auch deshalb begannen mit den Burgunderkriegen die Klagen von Autoren wie dem älteren Diebold Schilling, dass die Siege «boess und verfluechte roupguot» in die Schweiz brachten und die jungen Eidgenossen in den Kriegsdienst (ver-)führten. Am deutlichsten sichtbar wurde dies im «Saubannerzug» von 1477. Als «Gesellschaft vom torechten Leben» bezeichneten die Zeitgenossen die 1700 jungen Innerschweizer, die in der Fasnachtszeit 1477 mit einem Banner loszogen, das eine Wildsau und einen Kolben als Zeichen der rebellischen Unzufriedenheit zeigte. Sie hatten den Eindruck, in den Burgunderkriegen bei der Beuteteilung übervorteilt worden zu sein, und wollten in Genf noch ausstehende Gelder eintreiben. Die Rhonestadt war ein europäisches Finanzzentrum gewesen, solange italienische Bankiers und Geldwechsler wie die Medici die dortigen Messen besuchten. Dank Privilegien des französischen Königs verdrängte aber Lyon seit den 1460er-Jahren Genf schnell, das in den Burgunderkriegen erst noch auf die falsche, savoyische Karte setzte. Nun konnten die Stadtorte den Saubannerzug nur mit grosser Mühe von einem Handstreich abhalten, der die Eidgenossenschaft als Ordnungsmacht zu diskreditieren drohte. Genf zahlte Schutzgeld und ging erstmals ein unbefristetes Burgrecht mit Bern und Freiburg ein, um sich so vor weiteren Freischarenzügen zu schützen. Gleichzeitig schlossen sich Zürich, Bern und Luzern durch ewige Burgrechte ohne Vorbehalt der alten Bünde enger zusammen und nahmen darin auch Freiburg und Solothurn auf.
Das Stanser Verkommnis
Freiburg und Solothurn beantragten zugleich offiziell Aufnahme in die Eidgenossenschaft. Damit wären die Städte weiter gestärkt worden, wogegen die Landorte entschieden protestierten: Ihre Fläche machte bloss die Hälfte der städtischen Territorien aus, ihre Bevölkerung ein Drittel, ihre importabhängige Wirtschaft war erst recht schwächer. Zudem waren ihre Einwohner am ungezügelten Kriegsdienst finanziell interessiert, den die Städte als Herd von Unruhe fürchteten und daher obrigkeitlich lenken wollten – allerdings, wie Bern in der Waadt bewiesen hatte, durchaus in eigennützigem Sinn. Mit ihren Kanzleien und weltgewandten Diplomaten dominierten Bern und allgemein die Städte die inneren Abläufe und die äussere Wahrnehmung der Eidgenossenschaft immer stärker. Eine weitere Eskalation zwischen Eidgenossen konnte im Dezember 1481 an einer Tagsatzung in Stans abgewendet werden. Unklar ist, wieweit die versöhnlichen Ratschläge des hochgeachteten Einsiedlers Nikolaus von Flüe (Bruder Klaus) den Ausschlag in den zähen Verhandlungen gaben, bei denen der spätere Nationalheilige nicht persönlich zugegen war. Die mahnenden Worte «machend den zun nit zuo wit» legte ihm jedenfalls erst der Luzerner Chronist Hans Salat 1537 in den Mund, um die aktuelle wie frühere Berner Expansion in die Waadt zu kritisieren.
Das Stanser Verkommnis sollte bis 1798 der einzige Text bleiben, der die Verfassungsstruktur der ganzen Eidgenossenschaft festhielt. Die Streitpunkte wurden beigelegt. Einerseits verzichteten die Städte auf ihre Sonderbündnisse, wofür aber Solothurn und Freiburg mit etwas schlechteren Bedingungen in den Bund aufgenommen wurden. Sie waren an den Gemeinen Herrschaften nicht beteiligt, die sie nicht erobert hatten; und sie hatten keine Bündnisfreiheit, weil diese – wie im Fall von Zürich oder Bern – zu eigenmächtigem Vorgehen verführen konnte. Andererseits wurde «muotwillen und gewalt triben» nicht nur verurteilt, sondern es wurden konkrete Massnahmen dagegen verfügt: Das Stanser Verkommnis verbot, sich ohne Wissen und Erlaubnis der Obrigkeit zu versammeln, und verpflichtete die Orte, sich gegen ungehorsame Untertanen beizustehen.
Die beiden neuen Mitglieder standen schon lange in zum Teil engem Kontakt mit denen, die das Stanser Verkommnis eben erstmals als «die acht ortte der eitgenosschafft» definiert hatte, woraus das 1505 erstmals belegte «acht alte orte» werden sollte. Solothurn war seit dem Aussterben der Zähringer 1218 eine Reichsstadt und hatte zuerst an der Seite Berns und im 15. Jahrhundert mit den anderen Eidgenossen an vielen Unternehmungen teilgenommen. Die Aufnahme in die Bünde wurde jedoch verschiedentlich abgelehnt, auch weil die Berner die Nachbarstadt nicht gleichberechtigt sehen wollten. Von Bern begrenzt, gelang es Solothurn seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auch nur, ein schmales Territorium entlang des Juras zusammenzukaufen, das bis Gösgen (1458) reichte und im frühen 16. Jahrhundert mit Erwerbungen nördlich des Juras (Dorneck-Thierstein) abgeschlossen wurde. Freiburg hatte sich seit 1454 von einem Gegenspieler Berns zu seinem Juniorpartner gewandelt und dank den Burgunderkriegen die kurze savoyische Stadtherrschaft abgeschüttelt. Erst jetzt wurden auch die Grundlagen eines Territoriums gelegt, das sich, ebenfalls wegen der Berner Dominanz, nur gegen Süden und Westen entwickeln konnte. Ausgerechnet in dem Moment, als mit dem Beitritt zum «alten grossen pund obertütscher landen» Deutsch in Freiburg Amtssprache wurde, begann also der Erwerb – vorerst durch Kauf – französischsprachiger Vogteien.
Der eidgenössische Vorstoss in die welschen, nämlich romanischsprachigen Lande hatte allerdings schon früher begonnen, und zwar im Süden. Die Zurückhaltung der Urner etwa bei der Eroberung des Aargaus war darin begründet, dass sie und die Unterwaldner sich vor allem für die Gotthardachse interessierten und sich bereits 1403 mit der Leventina verbündeten. 1410 folgte das ewige Landrecht von Uri mit dem von Walsern besiedelten Hochtal Ursern, dessen königliche Freiheitsrechte eingeschränkt wurden. Militärische Vorstösse ins Eschen-, Maggia- und Verzascatal provozierten den Landesherren, den Visconti-Herzog von Mailand. Mit seinem Sieg bei Arbedo gingen die Eroberungen wieder verloren, doch auch in den folgenden