er zu seinem Beschützer, dem habsburgischen Herzog Friedrich IV. von Tirol. König Sigismund, der um den Erfolg seiner Reformen fürchtete, liess Johannes XXIII. 1415 gefangen nehmen und absetzen, während er Friedrich alle seine Rechte absprach.
Damit war es ein Reichskrieg, in dem die Eidgenossen – ähnlich wie etwa Bayern, die Allgäuer Städte oder der Bischof von Chur – gegen den Herzog marschierten und in königlichem Auftrag in die habsburgischen Stammlande einzogen. Der fünfzigjährige Friede, den sie eben erst, 1412, mit ihm geschlossen hatten, war für den König Makulatur. Sigismund erklärte Luzern, Zug und Glarus für reichsunmittelbar und entband sie damit von der formal noch bestehenden österreichischen Herrschaft. Die Berner rückten zielstrebig von Westen her vor und unterstellten die eroberten Gebiete – den künftigen Berner Aargau – ihrer direkten Herrschaft. Die übrigen Eidgenossen (ohne Uri) griffen eher zögerlich an und fürchteten die Revanche der Habsburger, die besonders Zürich geografisch wie politisch näher lagen. Die Eidgenossen schufen deshalb aus der Grafschaft Baden und den Freien Ämtern im Reuss- und Bünztal «Gemeine Herrschaften» mit einem privilegierten Status für die – zumindest vorübergehend – reichsfreien Städte Baden, Bremgarten und Mellingen. Die Gemeinen Herrschaften kamen unter die gemeinsame Verwaltung von Zürich, Luzern, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Zug sowie – nur für die Grafschaft Baden – Bern und ab 1443 auch Uri. Jeder Ort stellte abwechslungsweise für zwei Jahre einen Landvogt. Für die Aargauer änderte sich damit wenig: Anstatt habsburgischen Herren waren sie nun den Eidgenossen unterstellt, welche die Hoheitsrechte in Form einer Reichspfandschaft vom König erwarben. Bestehende Privilegien, etwa bei der niederen Gerichtsbarkeit, wurden respektiert. Damit beschränkte sich die Herrschaft in der Regel auf die höhere Gerichtsbarkeit (Blutgericht, Appellation), das Mannschaftsrecht und einzelne Abgaben (Todfall, Zoll, Bussen). Dazu zählten auch Schutzbriefe für die Juden, welche die Eidgenossen nach ihrem generellen Ausweisungsbeschluss von 1489 allein in der Grafschaft Baden (Surbtal) duldeten.
Wenn die Eroberung des Aargaus ökonomisch wenig ausmachte, so war sie politisch bedeutungsvoll: Die habsburgischen Stammlande wurden von einem trennenden zu einem verbindenden Element der Eidgenossen, auch wenn die Herzöge noch lange nicht bereit waren, den Verlust der Habsburg, der dynastischen Grablege im Kloster Königsfelden oder des Archivs im Verwaltungszentrum Baden anzuerkennen. Erst jetzt wurden sie, für mehr als ein halbes Jahrhundert, zu «Erbfeinden» der Eidgenossen, was diese umgekehrt im Bestreben zusammenschweisste, die Kriegsbeute gegen einen an sich übermächtigen Gegner zu behaupten.
Das Mittelland zwischen Saane und Limmat stellte nun ein von Bern und den übrigen Eidgenossen dominiertes, einigermassen geschlossenes Untertanengebiet dar. Damit entstand aus einem Netzwerk von zerstreuten Herrschaftsträgern – was ja viele Städtebünde gewesen waren – ein eigenständiger, kollektiver Herrscher in einem Raum, der durchaus fürstliche Ausmasse besass und sich im Spannungsfeld der herzoglichen Territorialbildung von Savoyen, Mailand und Habsburg behaupten konnte. Mit den Gemeinen Herrschaften hatten die Eidgenossen auch erstmals eine gemeinsame politische Aufgabe. Die jährliche Rechnungsablage der Landvögte, die jeweils um Pfingsten in Baden stattfand, wurde zum Kerngeschäft der eidgenössischen Tage, der zukünftigen Tagsatzungen, die anfangs allerdings noch an verschiedenen Orten und meistens in Luzern abgehalten wurden.
Vor der Eroberung des Aargaus 1415 hatte es nur sporadisch und an unterschiedlichen Orten Treffen der Verbündeten gegeben. Beschlüsse hatten Einstimmigkeit erfordert; jetzt wurden für die Gemeinen Herrschaften Mehrheitsentscheidungen möglich. Die Eidgenossen zeigten damit, dass sie Strukturen schaffen konnten, die eine fürstliche Schiedsgewalt überflüssig machten. Dazu musste der Informationsaustausch unter den Standeshäuptern verdichtet werden, wozu nicht nur die regelmässigen und formalisierten Treffen beitrugen, sondern auch deren Verschriftlichung in den «Abschieden», den Beschlussprotokollen. Dafür blieben die Kanzleien der einzelnen Orte zuständig. Diese Kanzleien bildeten zugleich den Grundstein einer eigentlichen Verwaltung, mit spezialisierten und gut bezahlten Schreibern, mit Urkundenbüchern, Stadt- und Landsatzungen, Listen von Rechtstiteln, Bürger- und Steuerverzeichnissen und schriftlichen Verordnungen (Mandaten), die das Verhalten von Bürgern und Untertanen regelten.
Zenden und Landsgemeinden
Mit der räumlichen Nähe nahmen auch die Reibungsflächen zwischen den Orten zu, zumal wenn ihre Interessen jenseits der eigenen Grenzen aufeinanderstiessen, wie das, zeitgleich mit der Eroberung des Aargaus, im Walliser Raron-Handel der Fall war. Bern unterstützte den Freiherren von Raron, der die Landeshoheit des Fürstbischofs von Sitten in eine erbliche seiner Familie umwandeln wollte. Luzern, Uri und Unterwalden standen dagegen den Oberwalliser Gemeinden bei. Diese sieben weitgehend autonomen Zenden (Talschaften) mit einem jeweils jährlich gewählten Meier oder Kastlan (Vogt) an der Spitze verteidigten 1420 erfolgreich die Mitspracherechte des Landrats, gleichsam die Walliser Form einer regelmässigen Tagsatzung. Anders als in der Eidgenossenschaft hatte der Landrat aber einerseits im Fürstbischof einen monarchischen Gegenpart und wählte andererseits selbst auch alle zwei Jahre einen Exekutivbeamten, den Landeshauptmann. Mit ihm und der Mitsprache bei Ämtervergaben und politischen Entscheidungen hielten die Zenden nicht nur den Fürstbischof in Schach, sondern bildeten auch einen dichteren politischen Verband als die Eidgenossenschaft.
Wie in Appenzell und Zug zeigte sich im Wallis, dass bei den innereidgenössischen Spannungen neben geografischen Einflusszonen auch politische Ordnungsmodelle umstritten waren. Den stark durch Patrizier geprägten Städten standen in Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Appenzell, auch im Amt Zug sowie in Graubünden und im Wallis ländliche Kommunen gegenüber, deren Bürger ab ihrem 14. oder 16. Altersjahr an der Landsgemeinde vergleichsweise demokratische Mitsprache ausübten, auch wenn sie in Clans mit familiären oder wirtschaftlichen Abhängigkeiten eingebunden blieben und die Vorstellung individueller Bürgerrechte fehlte. Die Landsgemeinden waren ursprünglich Gerichtstage, an denen aber seit dem 14. Jahrhundert anstelle eines obrigkeitlichen Vogts die Vertreter der Täler unter einem Landammann zu Gericht sassen. Das konnte später an eigene Zivil- und Strafgerichte delegiert werden, doch übte etwa im Kanton Nidwalden die Landsgemeinde bis 1850 die hohe Gerichtsbarkeit aus: Die Bürger entschieden also gemeinsam über schwere Verbrechen, gegebenenfalls verhängten sie auch die Todesstrafe. Bei fehlender Gewaltentrennung kamen der Landsgemeinde auch alle anderen politischen Kompetenzen zu: wichtige Wahlen (Landesämter, oberste Gerichte, Gesandte, zahlreiche Beamte), der Erlass neuer Gesetze, die Genehmigung von Entscheiden der eidgenössischen Tagsatzungen. Dazu kamen zahlreiche Verwaltungsgeschäfte: Aussenbeziehungen, Reisläuferei, Steuern und Finanzen, Landrechtserteilungen, die Nutzung der Allmend.
Die Landsgemeinden wurden mit strengem Zeremoniell vollzogen und brachten zum Ausdruck, wem in den Landorten «der höchste Gewalt» zukam: den waffenfähigen, vollberechtigten Landleuten. Diese folgten aber in der Regel den zeitlich und ökonomisch abkömmlichen Häuptern aus den einflussreichen und verdienten Geschlechtern. Doch anders als ein Stadtpatrizier und erst recht ein Fürst wussten die Potentaten nicht nur um die Gefahr, sondern auch um die Legitimität einer Revolte oder eines Strafgerichts (der Bündner «Fähnlilupf», die Walliser «Mazze»), wenn sie den Bogen überspannen sollten: Die Klienten, die von ihren Patronen nicht durch Standesschranken geschieden waren, wollten nicht Steuern bezahlen und feste Entscheidungshierarchien errichten, sondern an Privilegien und Pensionen teilhaben. Insofern ist es kein Zufall, dass «Bauern» – oder vielmehr nichtadlige Landleute – sich sonst nirgends in Europa auf Dauer als Herrschaftsträger etablieren konnten: Wer Entscheidungen immer wieder relativ aufwendig aushandeln musste, konnte nur mühsam staatliche, also auf Gehorsam ausgerichtete Strukturen aufbauen und kaum länger Krieg führen und das Territorium ausweiten.
Reichsfreiheit als Herrschaftskern
Für eine Ausdehnung des Territoriums hatten im eidgenössischen Raum die Städte günstigere Voraussetzungen, zumal sie dank dem Aufschwung des Gewerbes in den Jahrzehnten um 1400 wirtschaftlich prosperierten. Anders als in Deutschland endeten ihre Herrschaftsrechte nicht zumeist, wie selbst in der grössten Reichsstadt Köln, an der Stadtmauer; anders als in Italien wurde aber auch nicht das ganze Land der städtischen Kommune unterworfen, wie etwa der contado von Florenz. Die eidgenössischen Städte blieben auf Partner und damit Kompromisse mit den Landorten angewiesen,