Prolog
Ich kenn ein drollicht Volk (Freimaurer),
mit mir kennt es die Welt,
Das schon seit manchen Jahren
Die Neugier auf der Folter hält,
Und dennoch kann sie nichts erfahren.
Hör auf, leicht gläubʼge Schar,
sie forschend zu umschlingen!
Hör auf, mit Ernst in sie zu dringen!
Wer kein Geheimnis hat,
kann leicht den Mund verschließen.
Das Gift der Plauderei ist,
nichts zu plaudern wissen,
Und wissen sie auch was,
so kann mein Märchen lehren
Und man zuletzt wohl spricht:
war das der Mühe wert,
Dass ihr es mir gesagt und ichʼs von euch begehrt?
Die Verse stammen aus einem ironischen Gedicht von Gotthold Ephraim Lessing. Es handelt von einem armen Bauernjungen, der von seinem Beichtvater ins Verhör genommen wird, um seinem Geheimnis auf die Schliche zu kommen. Nach langem Drängen und Drohen des Pfarrers gibt Hans sein Geheimnis preis: ein Vogelnest!
Geh Narr, ein Vogelnest war nicht der Mühe wert,
Dass du es mir gesagt und ichʼs von dir begehrt.
Es gibt Menschen, die einzig in Heimlichkeiten das Wesen der Freimaurerei erblicken. Dies kommt offenbar daher, dass sie vom eigentlichen Wesen der Königlichen Kunst nur wenig Ahnung haben. Die Moral: Man sollte sich mit Heimlichkeiten nicht allzu wichtig machen, nicht noch mehr in sie hineingeheimnissen. Von Heimlichkeiten soll hier daher auch nur am Rande die Rede sein. Hat die Freimaurerei ein wirkliches, ernsthaftes, großes Geheimnis? Das ist, worüber ich schreiben möchte.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Sie interessieren sich für die Freimaurerei? Wahrscheinlich haben Sie schon einiges darüber gelesen. Die einschlägigen Buchläden sind voll davon. Gewiss haben Sie auch von jenem vielzitierten Geheimnis der Freimaurerei gehört. Ein Geheimnis, das nicht mitteilbar ist, wie Freimaurer gebetsmühlenartig immer wieder betonen. Mir ist es einst ähnlich ergangen. Vom übermäßigen Konsum qualitativ unterschiedlichster Freimaurerliteratur verwirrt und betäubt, gelangte ich letztendlich zur resignierenden Frage, welchem der zahlreichen, in ihrer Auffassung über Wesen und Sinn der Maurerei oft nicht konträrer sein könnenden Autoren ich denn überhaupt trauen könnte, da mir das eigene Maß noch fehlte. Antworten auf Fragen der Freimaurerei bekam ich vom Leben selbst, in jenen seltenen Augenblicken, da es sich auf geheimnisvolle Weise zu offenbaren schien.
Vom Beislphilosoph zum Suchenden
Lassen Sie mich an jenem Ort beginnen, wo alles für mich seinen Anfang nahm. Ein Lokal, das ich mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder aufsuchte, das mir so zur zweiten Wohnung wurde, und wo mein maurerischer Weg, seltsam genug, erstmals konkrete Formen annahm: ein italienisches Beisl in Wien.
Es ist nun mal so, dass eine gewisse Spezies von Männern, der auch ich angehörte, ihr Stammlokal hat. Man trifft hier Freunde und Gleichgesinnte und betreibt, je nach Stimmung mehr oder weniger tiefsinnige Konversation. Man betritt das Lokal, bestellt ein Gläschen, positioniert sich mit Blick zur Tür und, wie von unsichtbarer Hand herbeigeführt, stellen sich nach und nach die herbeigesehnten Kumpane ein: ein Notar, ein Regierungsrat, ein Architekt, ein Manager, ein Maler, ein Immobilien-Heini – und mit der Zeit werden es mehr und mehr dieser netten Leute. Zufall oder Schicksalsfügung? Mein Stammbeisl war ein von zahlreichen Freimaurern frequentiertes Lokal.
An den Freimaurern war ich seit geraumer Zeit zumindest interessiert. Auch deshalb, weil ich einige Herren, die in jenem Beisl regelmäßig verkehrten, zu meinen Freunden zählen durfte. Klar, dass sie sich beim Thema Freimaurerei mir gegenüber bedeckt hielten, was aber nicht verhinderte, dass ich von Zeit zu Zeit einige ihrer Gespräche am Rande mitbekam. Allein mein Wissen über diesen geheimnisumwitterten Bund reichte nur wenig über dessen Existenz hinaus. Also versuchte ich es mit Lesen. Aber auch das sollte mir keine bedeutenden Aufschlüsse bringen. Was Freimaurer bezwecken und wer sie wirklich sind, blieb für mich ein Rätsel.
Man hört zuweilen, Freimaurer strebten die Weltherrschaft an, waren die geheimen Dunkelmänner hinter Verschwörungen und Revolutionen, stellten gar einen Staat im Staate dar. Wie überall anders, dachte ich, ist der Mensch auch in diesem Fall geneigt, Horrormeldungen sein Interesse zu widmen und diesen Glauben zu schenken. Es scheint wohl in der Natur des Menschen zu liegen, dass er einer Vereinigung, die sich in ein Geheimnis hüllt, an dem sie die Öffentlichkeit nicht teilhaben lässt, mit Misstrauen begegnet. »Denn wer Gutes tut, braucht das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen«, lautet die allgemein verbreitete Volksmeinung, die auch für mich damals einer gewissen Logik nicht entbehrte. Die Gerüchte hatten der Freimaurerei zwar eine gewisse Aura verliehen, aber auch zur Folge, dass Freimaurer sich zu allen Zeiten den absurdesten Vorwürfen ausgesetzt sahen. Dass sie mit solch zweifelhaftem Ruf behaftet, über Jahrhunderte hinaus existieren konnten, schien für mich eines ihrer wirklichen Geheimnisse zu sein.
Es ergab sich, dass ich in jenem Beisl die Bekanntschaft einer Persönlichkeit machte. In ihr lernte ich einen geselligen, aber auch geistreichen und amüsanten Mann kennen, den ich in späterer Folge zum Freund gewinnen konnte. Er war einer jener Menschen, zu denen man auf Anhieb Zugang findet, Ende fünfzig, mit enormem Selbstbewusstsein und seltener Eloquenz. Obwohl ein viel beschäftigter Mann, sprach er niemals über Stress. Dennoch konnte ich an seiner Körpersprache manchmal deutliche Burnout-Symptome beobachten. Meistens dann, wenn er sich nicht beobachtet fühlte. Er hatte ein seltsames Schulterzucken, gepaart mit hektischem Kopfschütteln. Fast so, als wollte er seine Sorgen und Probleme mit einem Ruck von sich werfen.
Von Beruf Architekt, schien es ihm große Freude zu bereiten, mit anderen über seine Tätigkeit zu sprechen, bis in Details, die mich, den in diesen Dingen doch Ahnungslosen, überfordern mussten. Trotzdem war es für mich ein Vergnügen ihm zuzuhören. Ich kam auch selten in die Verlegenheit, ihm gegenüber Interesse nur zu heucheln. Dies merkte er und es schien ihm zu gefallen, hatte er in mir doch einen aufmerksamen Zuhörer gefunden. Zuhören können, war eine Tugend, die mein neuer Freund an anderen besonders schätzte. Hörte er sich etwa gern selber reden?
Dass wir beide völlig unterschiedlichen Berufen nachgingen, er als Architekt, ich als Sänger, tat unserer beginnenden Freundschaft keinen Abbruch. Auch nicht, dass mein Freund immer wieder ungefragt vorgab, zur Musik keinerlei Beziehung zu haben. Er empfinde sie als störendes Geräusch, wie er mir versicherte. Um jedwede Berührung mit Musik zu vermeiden, ging er so weit, sein Autoradio entfernen zu lassen. Schrammelmusik beim Heurigen kam in seinen Ohren einer groben Beleidigung gleich, Bar-Musik ebenso.
Auch ich war kein Kind falscher Bescheidenheit. Von Zeit zu Zeit der „Architekturvorträge“ meines Freundes etwas müde, begann ich einfach das Thema zu wechseln und beglückte meinen Freund meinerseits mit Schwänken und Schnurren aus meiner Sängerlaufbahn.
So hatte ich früher die Ehre, jährlich bei den Salzburger Osterfestspielen mitzuwirken. Einmal gab man Richard Wagners Lohengrin, am Dirigentenpult stand Herbert von Karajan, und ein weltberühmter Heldentenor sang den Lohengrin. Besser gesagt, er sollte ihn singen. Doch der Tenor war hörbar