Dieter Hönig

Testament eines Freimaurers


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zu verlassen schien – zumeist dann, wenn er sich an seine jährliche Schlankheitskur machte, die er mit eiserner Disziplin durchzog. War die Zeit der Selbstkasteiung vorbei, erwachten in ihm die alten Lebensgeister, und er ging hurtig ans Werk, seine während der Kur versäumten kulinarischen Freuden mit doppelter Intensität nachzuholen. Ich hatte dann stets den Eindruck, als hätte mein Freund jetzt nur mehr eines im Sinn: Nämlich die so mühsam abgerungenen Kilos in Rekordzeit wieder „aufzuarbeiten“, regelmäßig einmal pro Jahr.

      Er verfolgte die Zeit meines Aufnahmeverfahrens in den Bund mit persönlicher Anteilnahme und großem Interesse. Immer wieder gab er mir zu verstehen, dass mein Beitritt zum Bund für ihn ein echtes Bedürfnis bedeute. Er war es auch, der mir in meiner maurerischen Anfangszeit immer wieder Mut zusprach, wenn mich dieser zu verlassen drohte. Selbstverständlich gab es auch in unserer Freundschaft Höhen und Tiefen. Tiefen zumeist dann, wenn ihn meine von manchen oft kolportierte, „Besserwisserei“ nervte. Sein brüderlicher Rat war dann stets: »Nimm dich zurück, mein Freund!«

      Als ich zur Zeit meines Aufnahmeverfahrens bei den Freimaurern von den vagen Andeutungen, den unzähligen Sinnbildern und manchmal auch mir unverständlichen Allegorien über Sinn und Zweck des Bundes müde wurde, wandte ich mich vertrauensvoll an meinen Freund. Da ich in ihm einen offenen, geraden Menschen kannte und schätzte, dem Gegenteil eines Geheimniskrämers, erhoffte ich mir von ihm genauere Aufschlüsse über das Wesen des Bundes.

      »Du wirkst so abwesend, was ficht dich an«, meinte der Notar bei einer zufälligen Begegnung im Beisl. Ich, der seine Freude nicht verbergen konnte: »Es ist schön dich zu sehen. Wenn du erlaubst, so möchte ich dir heute eine Frage stellen, die ich dir schon längst stellen wollte. Ich hoffe jedoch sehr, dass du mir nicht ebenso ausweichst wie die anderen und mir gerade heraus antwortest!« »Ja, aber erst nachdem die Frage gestellt ist.«

      Ich tat meinem Freund meine Bedenken kund. »Du weißt doch, dass ich in allernächster Zeit den Anruf eines Herrn eures Bundes erwarte, der mit mir ein Informationsgespräch führen will. Ich muss jedoch gestehen, dass mir in Wahrheit immer noch nicht ganz klar ist, was genau Freimaurerei ist. Alles, was ich bisher von euch darüber erfahren konnte, waren Andeutungen, Bilder, Allegorien, jedoch nichts Konkretes, nichts Handfestes. Auch das Lesen hat mich hier nicht entscheidend weitergebracht, so fürchte ich, könnte bereits dieses Erstgespräch in einem Desaster für mich enden. Verstehst du meine Bedenken?«

      Er versuchte meine Bedenken zu zerstreuen. »Ich kann dich verstehen. Glaubst du aber, dass gerade du es sein solltest, der bei diesem Erstgespräch seinen Gesprächspartner darüber belehrt, was Freimaurerei ist? Glaubst du wirklich, dass er das von dir überhaupt hören will?«

      »Nein, aber wenn er das Gefühl bekommt, einem Ahnungslosen gegenüber zu sitzen, so muss er sich doch zu Recht fragen, was dieser überhaupt beim Bund will. Und diese peinliche Situation möchte ich eben vermeiden, wie du wohl verstehen wirst.«

      »Die Frage, was du beim Bund willst, was überhaupt du von der Freimaurerei erwartest, wird er dir ganz gewiss stellen, dessen bin ich mir sicher«, entgegnete mein Freund. »Auch hoffe ich doch, dass du dir diese Frage selbst bereits gestellt und Antworten gefunden hast. Ich bezweifle jedoch, dass dieser von dir eine geisteswissenschaftliche Abhandlung über Freimaurerei erwartet. Also, wo ist das Problem?«

      Ich erkannte resignierend, dass auch mein sonst so offener und gesprächiger Freund, der Notar, sich beim Thema Freimaurerei bedeckt hielt, und sich außer ein paar Andeutungen nichts Wesentliches entlocken ließ.

      »Was ich bis jetzt über euch weiß, ist nicht viel mehr, als das ihr ein mir ganz lieber Freundeskreis seid. Männer, zu denen ich mich aus einem unbestimmten Gefühl hingezogen fühle. Aber schon beim Versuch, dieses Gefühl näher beschreiben zu wollen, hab ich so meine Probleme. Dies gelingt mir, wenn überhaupt, dann nur sehr vage. Was aber dasjenige ist, dass euch Maurer verbindet, davon hab ich nach wie vor keinen blassen Schimmer, und diese Tatsache macht mich mutlos.«

      Mein Freund vielsagend: »Aber ist denn dieses „sich zu jemandem hingezogen fühlen’, wie du es nennst, gar nichts? Könnte das zumindest nicht mit ein Grund sein, so einer Vereinigung, wie wir sie eben sind, ernsthaft nähertreten zu wollen?«

      »Ja, wenn du glaubst«, meinte ich bereits etwas entnervt, »dass das allein ausreicht, dann werde ich also bei diesem Gespräch mein Interesse an einem Nette-Leute-Club kundtun. Über die Freimaurerei weiß ich zwar nichts, aber soviel weiß ich: Nette Leute sind sie alle.«

      Mein Freund, der meinen Sarkasmus nicht überhörte: »Übereile dich nur nicht! Für einen kurzen Moment hast du mich jedoch aufhorchen lassen, hast mich sogar überrascht. Mit dem Nette-Leute-Club ganz sicher nicht, denn das ist zu albern. Übrigens, ist dir aufgefallen dass auch du soeben von etwas gesprochen hast, das du nur sehr vage beschreiben kannst und das nicht konkret mitteilbar ist?«

      Ich hatte offenbar, ohne mir aber dessen bewusst zu sein, einen wichtigen Aspekt der Maurerei angesprochen, meinem Freund gegenüber von einem unbestimmten Gefühl gesprochen, das mich zu jenen Menschen hinzieht. Es dürfte jedoch genau dieses „gemeinschaftliche Gefühl sympathisierender Geister“ gewesen sein, das ich, wenn auch unbewusst, ihm gegenüber angedeutet habe, und das offenbar die maurerische Gesinnung ausmacht. Nichts anderes wollte dieser aber von mir hören.

      Als mein Freund später seinen Wohnort wechselte, bedeutete das auch das jähe Ende unserer Lokalrunde. Nach und nach blieben sie aus, einer nach dem anderen. Erst die tragische Krankheit eines Freundes und Bruders ließ uns alle wieder regelmäßig im Stammbeisl zusammenfinden. Der Notar war es, der die Initiative setzte und dem es gelang, die Lokal-Runde wieder zu vereinen. Auch wenn es keiner aussprach, so ging es uns einzig darum, unseren schwerstkranken Freund die letzten Wochen seines Lebens zu begleiten, das Glas zu erheben, auf ihn anzustoßen und all dies in seiner gewohnten Umgebung, in seinem alten Stammbeisl.

       Die Verwirrung des Suchenden

      So sollte mein erstes offizielles Gespräch mit einem Freimaurer stattfinden. Es meldete sich eines Morgens am Telefon ein Herr mit angenehmer Stimme: »Sie haben sich um die Aufnahme in einen humanitären Bund beworben. Ich würde mich gerne an einem der nächsten Tage mit Ihnen treffen.«

      Das Treffen mit ihm, dem damaligen Stuhlmeister der Loge, der „Grünes Licht“ für mein Aufnahmeverfahren geben musste, fand in seinem Büro statt und ging über eine, wenn auch durchaus angenehme Konversation nicht hinaus. Ich hatte es mit einem kultivierten, geistreichen Mann mittleren Alters zu tun, den ich auf Anhieb in mein Herz schloss. Das Thema Freimaurerei wurde bei diesem Erstgespräch jedoch nicht einmal ansatzweise erwähnt. Die einzige Frage, die er diesbezüglich an mich hatte, war: »Weiß Ihre Frau eigentlich von Ihrem Vorhaben, Freimaurer zu werden?« Ich versicherte ihm, dass sie es wüsste und auch einverstanden sei. Das schien ihm zu genügen.

      Schon bald folgten weitere Treffen mit ihm in verschiedensten Lokalitäten. Nun ging es für mich endlich auch ans „Eingemachte“. Der Mann erschien mir als Inbegriff des sogenannten Esoterikers, aber im guten Sinne. Unsere Gespräche waren von Offenheit und Herzlichkeit geprägt, aber eine gewisse Verwirrung, wie ich sie nun schon gewohnt war, stellte sich dann und wann ein. Der Gedanke, auf dem Prüfstand zu stehen, mich gut präsentieren zu müssen, kam mir jedoch keine Sekunde in den Sinn. Also, wieder ein netter Mensch mehr, durchfuhr es mich.

      Ich wurde von meinem Gesprächspartner behutsam an Sinn und Zweck der Maurerei herangeführt: »Eine Methode der Lebensbewältigung, von Menschen für Menschen erdacht«, wie er es nannte. Das schien mir einleuchtend und machte all meinen vorherigen Spekulationen ein jähes Ende. Die Erklärung war vernünftig. Obwohl ich schon einiges an maurerischer Literatur konsumiert hatte, fehlte mir das Maß, um beurteilen zu können, welchen der Autoren ich trauen konnte. Hier war es anders: Es wurde im Gespräch unter gleichwertigen, aneinander interessierten Menschen das Wesen der Maurerei angedacht, mir der Zweck einer durchaus vernünftigen, ja notwendigen Einrichtung nahegebracht, die wohl einzigartig zu sein schien.

      Etwas in meinem Inneren geriet in Bewegung, das vieles in meinem Leben in einem anderen Licht erscheinen ließ und auch in Frage stellte. Die Überzeugung,