Dieter Hönig

Testament eines Freimaurers


Скачать книгу

verkehrten, und er sollte nicht enttäuscht werden.

      Man traf sich also beim Italiener, wählte einen Platz in der letzten Ecke des Lokals, wo man ungestört reden und essen konnte, unbehelligt von anderen Gästen, aber auch ungestört von Freimaurern. Dieses Mal war ich der Fragende und wurde von meinem Gesprächspartner nahezu über alles mir wissenswert Erscheinende geduldig und liebevoll aufgeklärt: über die Geschichte der Maurerei, über ihren Zweck und ihre Ziele, über große Freimaurer-Persönlichkeiten der Vergangenheit – über vieles also, nur nicht über jenes große, oftmals zitierte „Geheimnis“, denn diesbezüglich hielt sich mein Gegenüber bedeckt.

      Die Zeit verging wie im Flug, und ich bemerkte, dass mein Gesprächspartner unruhig wurde, er es offensichtlich kaum mehr erwarten konnte, auch den anderen Teil des Lokals kennen zu lernen. Jenen Teil nämlich, der laut meiner Aussage so zahlreich von Freimaurern frequentiert würde. Dem Manne konnte geholfen werden: Man brach auf, um die Bar aufzusuchen und bei einem Glas Rotwein wieder zu profaneren Themen zurückzukehren. Mein Informator konnte sich jedoch vor altbekannten Gesichtern, überschwänglichen Begrüßungen und Umarmungen kaum erwehren. Kaum jemand im Lokal, den er nicht schon von irgendwoher zu kennen schien: den Notar, den Architekten, den Maler, den Zahnarzt und einige der netten Leute mehr.

      Freimaurern eilt der Ruf voraus, sich mit einem Geheimnis zu umgeben. Ich hatte nun Gelegenheit, dies am eigenen Leib zu erfahren und zu erdulden. Meine Erwartungshaltung wurde bis an den Rand der Leidensfähigkeit strapaziert. Was ich in meinem Aufnahmeverfahren zu tun hatte, war getan, es blieb mir nun nichts anderes übrig, als geduldig zu warten. Dies ist jedoch leichter gesagt als getan, auch war Geduld noch nie meine Stärke. Wann immer ich den zaghaften Versuch wagte, Näheres von ihnen zu erfahren, etwa wie es denn um meine Aufnahme stünde, begegnete ich geheimnisvollen, undurchdringlichen Mienen. Niemals auch nur die versteckte Andeutung oder der leiseste Wink. Nein, hartnäckiges, eisernes Schweigen. »Wenn sie mich nicht wollen, dann sollen sie es gefälligst sagen, auch wollte ich ja eigentlich ohnehin bald nichts mehr von ihnen wissen«, tröstete ich mich mit finsteren Gedanken.

      Über die endgültige Aufnahme eines Suchenden hat die Loge in einer geheimen Abstimmung, der so genannten Ballotage (Kugelung) zu entscheiden. Drei negative Stimmen sind bereits ausreichend und verpflichten, einem Kandidaten die Aufnahme in den Bund der Freimaurer zu verwehren. All das wusste ich und sah darin für mich keine allzu rosige Aussicht: Was, wenn sich einer von denen irrt, wenn er die Kugeln vertauscht? Wenn er statt weiß, schwarz wirft? Oder wenn er sich überhaupt nicht irrt, mich aber ganz einfach nur nicht dabei haben will? Wenn er vielleicht auf meinen Bürgen nicht gut zu sprechen ist und so die einmalige Gelegenheit hätte, sich durch meine Ablehnung an ihm zu rächen? Auch Freimaurer sind Menschen und nicht immer die besten. Wie oft hatte man mich gewarnt? Auf was für eine unsichere Sache habe ich mich da nur eingelassen? Nette Leute hin und her, was habe ich denn von ihren schönen Reden? War das die Zeit und Mühe wert? Die vielen, stundenlangen, hochkonzentrierten Gespräche, um am Ende sagen zu müssen: »Alles versungen und vertan«.

      Schließlich war es so weit, der Tag der Kugelung gekommen. Man gab mir den Wink, mich spät abends im Beisl einzufinden. Ich kam der Aufforderung nur äußerst ungern nach, auch sollte das meine Stimmung in keinster Weise heben. In Gedanken versunken, mit Blick zur Tür, harrte ich der Dinge, die jetzt auf mich zukommen sollten. Dann endlich: Die Tür öffnete sich und nach und nach tröpfelten sie herein, einer nach dem anderen, mit ernster und geheimnisvoller Miene. Wie ich dessen schon überdrüssig war! Sie kamen, mich gerade eines flüchtigen Blickes würdigend, und stellten sich weit abseits an die Theke. Dunkel gekleidete Männer mit besorgten Mienen. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in mir breit und mir wurde jäh bewusst, zu welch kindlicher Erwartungshaltung ich mich die letzte Zeit hatte hinreißen lassen. Diese Geheimnistuerei, dieses Spielen mit meinen Hoffnungen, Ängsten und Gefühlen, dieses ewige Frage-und-Antwort-Spiel, um letztlich die Antwort stets schuldig zu bleiben. Was sollte das alles? Ich hatte bis jetzt gut gelebt, ohne Freimaurer zu sein, und werde das auch in Zukunft tun. Mein Freund, der Notar, schien meine Gedanken erraten zu haben. Unbemerkt von den anderen hob er, mir zulächelnd, seinen rechten Daumen, als Zeichen des OK, um sich sogleich mit ernster Miene seinen Logenbrüdern zuzuwenden.

      Ein paar Tage später kam ein „blauer Brief“ des Logenmeisters, um mich von meiner bevorstehenden Rezeption zu informieren und mich zu bitten, mir dafür nach Möglichkeit den ganzen Tag freizuhalten. Na also, warum nicht gleich, wozu die wochenlange Geheimniskrämerei? Selbstverständlich löste der Brief in mir Erleichterung aus. Es fiel mir der sprichwörtliche Stein vom Herzen und nach menschlichem Ermessen konnte jetzt nichts mehr passieren – oder doch? Was ist, wenn ich plötzlich erkranken sollte? Würde man wegen mir die Rezeption verschieben?

      Am Vorabend meiner Aufnahme traf ich nochmals meinen Bürgen im Stammlokal, um letzte Formalitäten bezüglich der Rezeption zu besprechen. Er war in Begleitung eines netten, aber mir unbekannten Herrn. Wie soll ich im Beisein eines Unbeteiligten Details bezüglich meiner Aufnahme besprechen, durchfuhr es mich. Was hatte sich mein Bürge dabei gedacht? Ich richtete schließlich an meinen Bürgen, die wie mir schien, unverfängliche Frage: »Um wie viel Uhr soll ich im ersten Bezirk sein?« »So etwa um 16 Uhr!« Die Antwort kam von dem unbekannten Herrn.

       Die Einweihung

       Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben …

      Hermann Hesse

      Die Aufnahme in den Bund ist das wohl unvergesslichste und berührendste Erlebnis im Leben des Freimaurers. Jeder Suchende wird sie auf seine ganz individuelle Weise erleben. Persönliche Erlebnisfähigkeit und Sensibilität entscheiden letztlich, wie tief und nachhaltig der Eindruck auf das weitere Maurerleben bestimmend bleibt!

      Der Tag begann mit einem vormittägigen Friedhofsbesuch. Gemeinsam mit meinem Bürgen und dem Notar, dessen ausdrücklicher Wunsch es war, mich zu begleiten, besuchte man das Grab eines Freimaurers. Es war ein später Vormittag im Februar, die Gräber zum Teil noch verschneit und die Wege vereist. Wir legten schweigend drei größere Rundgänge auf dem Friedhof zurück und hielten dreimal am Grab des verstorbenen Bruders inne. Mittelpunkt der drei „Wanderungen“ waren die großen Fragen unseres Lebens, die mich auch in Zukunft nicht loslassen sollten: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?

      Fragen, die nicht nur den Maurer, sondern die gesamte Menschheit seit Jahrtausenden schon bewegten. Viel Kluges und Überzeugendes ist darüber geschrieben, Dogmen sind errichtet und Millionen Menschen im Streit um diese Fragen verfolgt und getötet worden. Das große Geheimnis vom Leben: Religionen und Wissenschaften, alles menschliche Denken schlechthin, musste letztlich vor diesem Geheimnis kapitulieren. Wehe dem, der in Selbstüberschätzung seines Intellekts glaubt, die Antworten zu kennen, das Geheimnis etwa durchdringen, es gar entschleiern und darauf Glaubenssätze errichten zu wollen. Er würde durch die Macht des Geheimnisses im Kreis herumgeführt, wäre ein Narr, wenn er glaubte, jemals Wissender des Geheimnisses zu sein. Dazu Worte eines verstorbenen Freimaurers: »Licht, ich habe dich gesucht, habe dich geahnt, finden werde ich dich erst am Ende meiner Tage.«

      Hat der verstorbene Bruder wohl jemals die Antwort gefunden? Am Grab eines Freimaurers wurde ich so mit dem Geheimnis des Lebens konfrontiert, das weder erkennbar, in Worte fassbar, aber vielleicht eines Tages für mich erahnbar sein wird. Auf alles war ich zwar gefasst, nur nicht, dass jener Neuanfang, die symbolische Neugeburt, mit Gedanken an meine Vergänglichkeit beginnen sollte.

      Der Friedhofsbesuch, der mich in unsagbarer Weise bewegte, sollte dann bestimmend für meinen weiteren Tagesverlauf werden. Ich war innerlich berührt, betäubt und verwirrt und nahm alle nachfolgenden Ereignisse gleichsam durch einen Schleier wahr. Es geschah mit mir und ich ließ es geschehen, so meine damalige Empfindung: sich hinzugeben, zu öffnen und das Neue auf sich einwirken zu lassen.

      16 Uhr desselben Tages, erster Wiener Gemeindebezirk: Überraschend traf ich am vorher vereinbarten Platz, unweit des Logenhauses, auf einen zweiten Herrn im Smoking. Man musterte sich etwas verlegen, ohne sich jedoch anzusprechen. Dies konnte kein Zufall sein, schloss ich scharfsinnig. Wir beide hatten uns hier einzufinden, um von einem Bruder der Loge