Gusti Adler

Max Reinhardt in Leopoldskron


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ersten Mal Moissis erschütterndes Vaterunser.

      Reinhardt saß in der Nähe des Fürsterzbischofs, dem in andächtigem Zuhören stille Tränen über die Wangen rollten. Als er Reinhardt nach der Vorstellung die Hand drückte, sagte er, dass diese Aufführung besser sei als eine Predigt.

      So wurde am 22. August 1920 der Grundstein für ein wahres Festspiel gelegt, das, nach achtzehn triumphalen Jahren, die Okkupation Österreichs, Krieg und Nachkriegsnot überdauern sollte, um selbst heute noch weiterzubestehen.

      Januskopf Salzburg

      Die Stadt, in der ein Mozart geboren wurde und wirkte –

      Die Stadt, deren Fürsterzbischof ein göttliches Genie, eben diesen Mozart, wie einen Dienstboten behandelte –

      Die Stadt, über deren Bürger Mozart an seinen Vater 1779 den bitteren Satz schrieb: »Ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, daß ich Salzburg und seine Einwohner – ich rede von geborenen Salzburgern – nicht leiden kann. Mir ist ihre Sprache, ihre Lebensart ganz unerträglich.«

      Die Stadt, in der ein Kirchenfürst wie Fürsterzbischof Dr. lgnatius Rieder, ein reiner Mensch von überragendem Menschentum, das Genie Max Reinhardts erkannte und die Aufführung des Jedermann auf dem Domplatz ermöglichte.

      Die Stadt, in der ein verbrecherischer Bombenanschlag auf eben dieses Genie in Schloss Leopoldskron den Auftakt bildete zur Vertreibung von Max Reinhardt und Arturo Toscanini.

      Die Stadt, die unter der Ägide eben dieser beiden Genies viele Jahre hindurch während der Sommerwochen die herrlichsten Festspiele veranstaltet hatte, zu denen Menschen aus aller Herren Ländern pilgerten.

      Die Stadt, die alljährlich am Tage nach Festspielschluss – eben dieser Festspiele, von deren Ertrag sie dann das Jahr über lebte – Künstler, Veranstalter und Publikum beschimpfte. Der ewige Kleinstadtkampf der »Dasigen« gegen die »Zug’roasten«.

      Max Reinhardt kannte den Januskopf dieser Stadt, er gab sich keinen Illusionen hin. Ungetrübt davon bestand daneben, was er an Salzburg liebte: das Ewige, Unverwüstliche, das Österreichische. Die Landschaft, die uralte Kultur, die sich in den Gebäuden so herrlich offenbart. Er hat darüber geschrieben:

      Hier wuchs nichts wie sonst zufällig. Ein mächtiger Baumeister hat die ganze Stadt gebaut. Wenig oder nichts verändert. Freudige prunkvolle Ekstase der Gebäude – die barocken Linien der Kirchen, Paläste und Häuser gegen die Höhen der Berge, die in den Himmel ragten – ist Musik.

      Max Reinhardt verbrachte einen großen Teil des Sommers und Herbstes 1919 in Leopoldskron. Alles war damals im Werden: Haus, Garten, Landwirtschaft, vor allem aber die Festspiele. Max Reinhardts Plan, in Salzburg Festspiele zu veranstalten, reichte Jahre zurück. Unmittelbar vor dem Krieg war er durch das Obersthofmeister-Amt an den alten Kaiser mit dem Vorschlag herangetreten, Hellbrunn zu einem internationalen Festspiel-Zentrum zu machen. Der Erlös sollte den Invaliden zugute kommen. Der Ausbruch des Weltkrieges und der Tod des Kaisers erstickte dieses Projekt im Keim.

      Eine Welt lag in Trümmern, aber den »Heimkehrer« Max Reinhardt umfing in dieser Landschaft, in dieser kulturumwitterten Stadt der alte Zauber mit erneuter Kraft. In Hofmannsthal zog er einen Mitarbeiter heran, einen Dichter, dessen Wissen und Weltklugheit den Plan förderten, schwerflüssige Verhandlungen ins Rollen brachten und der Reinhardts Begeisterung teilte. Klarer denn je hoben sich Ewigkeitswerte von dem düsteren Hintergrund dieser Jahre ab. Ein Kaiserreich war untergegangen, aber die unsterbliche Seele des Landes Österreich brannte wie eine Flamme in den Berufenen. In Weihnachtsspielen, in Calderons Welttheater, im alten Mysterienspiel des Jedermann sollte, was aus der Seele des Volkes geboren war, auferstehen und dem Volke wiedergegeben werden. Nicht einigen wenigen Bevorzugten, sondern Menschen aller Stände, aller Länder, in denen die Freude am Theater, an der Erhebung durch ein Schauspiel ruhte und der Erweckung harrte.

      Im Herbst 1919 war es vor allem ein Weihnachtsspiel, das Max Reinhardt zu verwirklichen hoffte. Eine der ersten Aufgaben in dieser Zeit war es damals, die Erlaubnis zu erwirken, dieses Weihnachtsspiel in der Franziskanerkirche aufzuführen. Im geheimnisvollen Dunkel dieser frühen gotischen Kirche, umrahmt von den hohen Säulen, vor uralten Gittern, die Einfachheit des Halleiner Weihnachtsspieles – draußen die schneeklare Winternacht! Es sollte ein Auftakt zu den sommerlichen Festspielen sein. Die Verhandlungen waren überaus schwierig, aber schließlich gelang es, die Hindernisse zu überwinden, was Reinhardt ungemein beglückte.

      Er war davon überzeugt, dass noch viele unbekannte Volksschauspiele in den Salzburger Bibliotheken zu entdecken sein müssten. Beim Zusammenstellen einer Bibliographie fand sich die Comedi vom Jüngsten Gericht in der weißkühlen staubduftenden Studienbibliothek. Der Gedanke an eine Bearbeitung und Inszenierung dieses Werkes beschäftigte ihn lange. 1755 zum ersten Mal in Altenmarkt bei Radstadt aufgeführt, hatte es in seiner Bitterkeit sehr viel Zeitgemäßes, das an das bestehende Nachkriegselend anknüpfte.

      Reinhardt hörte um diese Zeit auch von einem sogenannten Herbergspiel, das in Oberndorf aufgeführt worden war. Man sagte ihm, dass Grundinger, ein Briefträger in Oberndorf, der im Nebenberuf Dichter und Direktor des Oberndorfer Heimattheaters war, den Text kenne, der nur in mündlicher Überlieferung existierte. Leider wusste Grundinger nur noch das Mittelstück … Da sein Beruf es ihm nicht gestattete, ein Gespräch in seinem Hause zu führen, musste man ihn beim Austragen der Briefe begleiten, während er rezitierte, was ihm noch im Gedächtnis war. Er hatte viel gelesen, geriet aber manchmal mit schwierigen Worten in Konflikt, wie etwa Wallensteins »Trikolore«. Verzweifelt versuchte ich, etwas von dem alten Herbergspiel festzuhalten, aber ich brachte nur die Erinnerung an eines der vielen Originale, die im Salzburgischen leben und noch etwas von der uralten Kultur überliefern, mit.

      Reinhardt wollte alle bodenständigen Quellen ausschöpfen, denn es war ihm bewusst, wie tief verwurzelt das Theater in diesen bajuwarischen Ländern war. Da waren Paradeisspiele, die Spiele der Laufener Schiffer, das Fischerstechen, die Küfertänze, die schönen und die wilden Perchten, der Salzburger Hanswurst in den Hanswurstspielen, die durch alle Länder gingen. Im Stein­theater von Hellbrunn waren ab 1615 Opern aufgeführt worden. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde im Park des Mirabellschlosses ein Heckentheater errichtet. Hieronymus Colloredo ließ 1775 aus dem alten Ballhaus ein Theater für siebenhundert Personen bauen, wo Shakespeare, Schiller, Goethe, Lessing und auch Opern aufgeführt wurden, und schließlich zog 1780 noch Schikaneder mit einer Truppe dort ein. Das Aulatheater in der Universität war schon seit 1623 der Mittelpunkt für die Barock-Theaterwelt Süddeutschlands. Reinhardt war tief ergriffen von der Tragödie der Passionsspiele und der Marienklagen. Immer wieder hatte er gehofft, vielleicht durch einen einheimischen Dichter, eine würdige bühnenmäßige Gestaltung dafür zu finden. Der gotischen Einfachheit Helene Thimigs wollte er damals den Monolog einer der erschütternden Marienklagen anvertrauen. Seine Liebe zu den Schöpfungen mittelalterlicher Kunst stand seiner Freude an Werken des Barock nicht nach. Frühe Musik, Dichtung, Bildhauerei, vor allem aber Gemälde, hatten für ihn eine magische Anziehungskraft. Im damaligen Herbst sah er zum ersten Mal die Bilder des Meisters von Großgmain, die in der kleinen Kirche von Großgmain, fast versteckt vor der Außenwelt, Jahrhunderte überdauert haben. Immer wieder fuhr er in dieses Dorf, um sie zu sehen. Bis an das Ende seines Lebens zog er sie als Beispiel heran, wenn er eine bestimmte Absicht im Zusammenhang mit einer frühen Dichtung dieser Epoche klarmachen wollte. Ein Bild von Bartholomäus Zeitblom, der Heilige Petrus, das er ein Jahr vorher erworben hatte, war für ihn eine dauernde Quelle der Freude. Es war ein Tafelgemälde, »– auf goldenem Grunde gemalt –«, in leuchtenden Farben. Im Arbeitszimmer Max Reinhardts hat es in den langen Stunden seiner nächtlichen Arbeit auf ihn herabgeschaut, und, wenn es so etwas gäbe, müsste dieses Bild geladen sein mit der Intensität seiner andächtigen Betrachtung. Als er später die Bibliothek in das Schloss einbaute, machte er dieses Bild zum Mittelpunkt des Raumes. Es wurde dem Kamin gegenüber mit seinem dunklen Rahmen in das warme Goldbraun der Holztäfelung eingefügt. Zu den ersten Erwerbungen dieser Jahre gehörte auch noch eine geschnitzte Holzfigur: König David.

      Mittelalterliche Mystik, Kirchenmusik, die gregorianischen Gesänge der Nonnen im Stift Nonnberg haben Reinhardt stets aufs Neue angezogen.