einer Jause unter den hohen Bäumen kam Reinhardt mit einem alten Bauern ins Gespräch, und der Kutscher stimmte in dessen Jammer über die schweren Zeitläufte ein. Über der Salzburger Ebene stiegen der Untersberg, der Hohe Göll und das feingestreckte Tennengebirge in den Abendhimmel Dieses Schloss Ursprung, der Ausblick über das gesegnete Land, die Stimmung dieses Spätherbstabends haben Reinhardt ebenfalls sein Leben hindurch begleitet. Es kam nicht zu dem Kauf, aber Schloss Ursprung blieb für ihn ein Begriff, an dem er im Lauf der Jahre immer wieder vieles maß.
Ein anderes Schloss noch hat Reinhardts Phantasie jahrelang beschäftigt: Kleßheim. Der unvollendete Prachtbau Fischer von Erlachs hatte etwas von einem verwunschenen Schloss. Eine Mauer umgab den ganzen Besitz; dunkel standen Baumgruppen in den moosigen Wiesen und im alten Fasangarten. Ludwig Viktor, ein Bruder des Kaisers Franz Joseph, war dort den größten Teil seines Lebens in einer Art Exil gewesen, wenn er auch offiziell immer wieder an verschiedenen Ereignissen in Salzburg teilnahm. So erinnerte sich Max. Reinhardt immer daran, dass Schauspieler bei Benefizvorstellungen goldene Dukaten vom Erzherzog erhielten. Die Einrichtung des Schlosses war eine Orgie in blau-weiß. An den Wänden der unwohnlichen Zimmer hingen zahllose Stiche und Photographien in Tannenholzrahmen. Am wertvollsten war das – ebenfalls blauweiße – Porzellan verschiedenster alter Marken. Das Ganze ein sonderbares Gemisch von Echtem und Geschmacksverirrungen, die für das Ende des 19. Jahrhunderts und besonders für habsburgische Schlösser dieser Epoche so charakteristisch sind.
Nun sollte dieser Besitz aufgelöst werden. In einem der Nebengebäude residierte der alte Baron Gautsch, in dessen Händen die Verwaltung des Schlosses lag. Auch er eines der zahlreichen Originale, mit denen gerade Salzburg so reich gesegnet war. Reinhardt, der damals nach Kleßheim fuhr, um alles zu besichtigen, interessierte diese altösterreichische Type nicht weniger als das E.-T.-A.-Hoffmann-Milieu, in dem sie wie eine unförmige Qualle herumschwamm. Er wurde niemals müde, Menschen zu beobachten, und wenn er seiner Sammlung eine neue Spezies hinzufügen konnte, war der Tag für ihn nicht verloren. Sein brennendes Interesse an Menschen war von Güte und Humor durchsetzt. Sein Gedächtnis für Physiognomien war unfehlbar. Er konnte sogar nach vielen Jahren noch rekonstruieren, wo er den Betreffenden gesehen hatte.
Reinhardt erwarb damals in Kleßheim keine Antiquitäten. Hingegen engagierte er im Lauf der nächsten Jahre einige der erzherzoglichen Angestellten für Leopoldskron. Unter ihnen war Franz, einstiger Kammerdiener und Vorleser Ludwig Viktors, vielleicht die interessanteste Erscheinung. Die Rolle, die er in Reinhardts Diensten spielte, war immer etwas chargiert. Auch er eine sonderbare Blüte in Reinhardts Menschensammlung. Sein Tod in Venedig war ein tragisches Ende dieses Kammerdieners par excellence. Was Reinhardt damals noch ganz besonders erschütterte, war das Sterben eines Menschen in dieser strahlenden Sonne, dieser unfasslich grausame Kontrast.
Im Lauf des Jahres sah Max Reinhardt Schloss Kleßheim immer wieder an, denn der Gedanke, es in das Festspielzentrum zu verwandeln oder Aufführungen dort zu veranstalten, tauchte stets aufs Neue auf. Erst dreizehn Jahre später, im August 1932, sollte sich dieser Traum, die Schönheit Kleßheims in eine Inszenierung zu verweben, verwirklichen: in einer der reizvollsten Sommernachtstraum-Aufführungen, einstudiert mit Schülern seines Wiener Schauspielseminars. Die Zuschauer wanderten von Schauplatz zu Schauplatz, Wiesen, Wald und Schloss spielten mit. Der große Prunksaal war der Rahmen für den letzten Akt, und ein unbeschreiblicher Zauber lag über dem Raum, als die letzten Worte Oberons in der Dämmerung verklangen. Schöner und würdiger hat sich Fischer von Erlachs Bau nie erfüllt als an diesem Abend.
Zu den Festspielprojekten in diesem Herbst 1919 gehörte auch der Plan, eine der Wiesenmulden auf dem Mönchsberg für den Bau eines Theaters zu benützen. Die amphitheatralische Form war gegeben und damit die Hoffnung, Baukosten zu verringern. Der Berg mit seinen sanften Wiesen, der Ausblick auf Stadt, Ebene und Berge, die herrlichen alten Bäume – alles schien dafür geschaffen, den Mönchsberg in einen Festspielberg zu verwandeln. »Es is’a freudigs Umanandschaun – « hieß es in einem alten Buch (über die Aussicht vom Mönchstein). »Begehungen« fanden statt, mit viel Kopfschütteln einschlägiger Behörden, Reden und »Anberaumen« von Sitzungen – manches schien auch Max Reinhardt, der den Mönchsberg liebte, einleuchtend, aber schließlich musste, aus vielerlei Gründen, doch von diesem Projekt abgesehen werden.
Reinhardt war immer auf der Suche nach alten Häusern oder kleinen barocken Schlössern. Anfangs war es eher ein Spiel, denn er hatte ja Leopoldskron und in Berlin die Wohnung im Schloss Bellevue, nachdem er vom Kupfergraben ausgezogen war. Als er Bellevue 1933 aufgeben musste, wurde die Wohnungssuche in Wien wirklich akut.
In den frühen Jahren seiner Tätigkeit in Wien war es gelungen, nach endlosen Verhandlungen mit den verzopften Behörden, ihm eine Wohnung in der Hofburg zu verschaffen. Zuerst auf der Adlerstiege, später auf der Zuckerbäckerstiege.
Der Traum, in Schönbrunn zu wohnen, wo er ja später in seinem Seminar im Schönbrunner Schlosstheater unterrichtete, hat sich nie erfüllt. Verhandlungen mit einem Wiener Anwalt, Dr. Dechant, wurden geführt. Reinhardt gab mir – es muss in den Jahren 1924/25 gewesen sein – in einem langen Brief, den ich an Dr. Dechant schreiben musste, die Unterlagen für eine Eingabe, die der Anwalt an das Bautenministerium und das Unterrichtsministerium richten sollte. Es geht daraus hervor, dass Reinhardt damals neben seiner Tätigkeit am Theater ein Filmunternehmen plante, das Amerikaner finanzieren würden. Er wollte in den staatlichen Schönbrunner Ateliers Filme mit einem Ensemble künstlerischer Kräfte und der Heranziehung österreichischer Dichter und Musiker ins Leben rufen. Richard Strauss hatte sich verpflichtet, die Musik für einen Film zu komponieren. Aber alles scheiterte an dem Bürokratismus der Behörden. Reinhardts Konzept für den Brief an Dr. Dechant lautete folgendermaßen:
Für die Eingabe an das Bautenministerium und das Unterrichtsministerium empfiehlt Prof. R. den ausdrücklichen Hinweis auf folgende Punkte: Schon im vergangenen Frühjahr ist ihm (auf besondere Verwendung des damaligen Vizekanzlers und Ministers Dr. Breisky, des Ministers Dr. Grünberger, des Präsidenten der Bundestheaterverwaltung Dr. Vetter u. a.) eine von ihm besichtigte Wohnung in Schönbrunn (rechtsseit. Trakt II. St.) mündlich und brieflich von den entscheidenden Instanzen bestimmt in Aussicht gestellt worden.
Prof. M. R. hat daraufhin alle Dispositionen für eine endgültige Übersiedlung seines gesamten Haushaltes von Berlin nach Wien getroffen. Leider ist die ihm zugesicherte Wohnung in der Folge einem anderen Reflektanten zugewiesen worden, der seine Ansprüche zwar viel später geltend machte, aber trotzdem bevorzugt werden mußte.
Die damals entstandene Mißlichkeit für Prof. R. wiegt um so schwerer, als einerseits auch alle anderen damals in Betracht kommenden Wohnungen inzwischen vergeben sind, andererseits vor allem deshalb, weil er bisher in Berlin (seit mehr als zwölf Jahren) ein von Friedrich dem Großen gebautes historisches Palais in nächster Nachbarschaft des Königl. Schlosses mit einem ganz großen Garten ausschließlich allein mit seiner Familie bewohnt hat.
Dieses dem Staat gehörende Palais wurde ihm für einen Anerkennungszins von ursprünglich zehntausend Mark pro Jahr, zuletzt fünfzehntausend p.a., überlassen, trotzdem Prof. R. niemals Staatsangestellter war. Die maßgebenden Stellen gingen bei diesem Entgegenkommen von der Erkenntnis aus, daß die Wirksamkeit des Prof. R. in besonderem Maße als in öffentlichem und allgemeinem Interesse gelegen zu betrachten sei, daß seine Tätigkeit im Ausland als die fruchtbarste Propaganda, im Inland als ein Kulturfaktor hohen Ranges und eine künstlerische Attraktion von Bedeutung zu bewerten sei. Diese Stellung wurde unter dem alten Regime eingenommen, unter dem neuen aufrechterhalten und auch in der Zeit der Wohnungsnot nicht verändert.
In viel bescheidenerem Umfang glaubt nun Prof. R. erwarten zu dürfen, daß ihm auch von den entscheidenden Behörden dieses Landes jenes Entgegenkommen erwiesen wird, das er bisher überall gefunden hat. Tatsächlich haben sich auch die Herren Minister, die sich bisher mit der Frage der Wohnungszuteilung befaßten, ohne weiteres entschieden auf diesen Standpunkt gestellt. Prof. R. ist in Wien geboren und erzogen worden, er ist seit 7 Jahren Besitzer von Schloß Leopoldskron bei Salzburg, wo er die internationalen Sommerfestspiele (ohne jeglichen Entgelt für seine Person) leitet, und ist im Begriffe, seine gesamte künstlerische Tätigkeit nach Wien zu verlegen.
In Betracht zu ziehen ist ferner auch der Umstand, daß Prof. R. besonders