Gusti Adler

Max Reinhardt in Leopoldskron


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er sich vertiefte.

      Die Aufführung von Goethes Urfaust im Herbst 1920 im Deutschen Theater mag von seinem damaligen Aufenthalt in Salzburg beeinflusst worden sein. In Helene Thimig hatte er ein Gretchen, das sich in den gotischen Rahmen dieser Inszenierung besonders gut fügte. Der Berliner Kritik aber war dieser Rahmen zu eng, die Einfachheit zu groß.

      Es wurde Ende September. Dem Plan der weihnachtlichen Aufführungen stellten sich neue Schwierigkeiten entgegen. Reinhardt hatte damit gerechnet, dass Hugo von Hofmannsthal das Halleiner Weihnachtsspiel bearbeiten würde. Doch dieser befürchtete offenbar, dass das Salzburger Grosse Welttheater, an dem er arbeitete und dessen Aufführung ursprünglich bereits für den ersten Festspielsommer vorgesehen war, dadurch beeinträchtigt werden könnte. In einem Brief an den Dichter – einem der ersten, die ich aus Leopoldskron schrieb – ließ Reinhardt durch mich mitteilen:

      Von seiner letzten Unterredung mit Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, hatte [Reinhardt] den Eindruck mitgenommen, daß Sie einverstanden seien, das Spiel zu bearbeiten. Ohne daß natürlich etwas Bindendes darüber gesagt worden wäre. Deshalb hatte er damals gleich mit den Herren von der Festspielhausgemeinde über das Projekt gesprochen, die es mit solcher Begeisterung aufnahmen, daß es schwer wäre, die Sache jetzt direkt abzusagen. Mißtrauen gegen die späteren Unternehmungen könnte daraus allzu leicht entstehen. Aber Herr Professor Reinhardt ist überzeugt davon, daß die Sache nicht mehr zustande kommt, wenn er sie von nun an nicht mehr mit starker Energie betreibt. Von der Lyrik des Weihnachtsspiels wäre das großangelegte Welttheater wohl nicht geschädigt worden, denn die Verschiedenheiten sind doch in jeder Hinsicht so groß, daß die Gefahr einer Kollision wohl nicht zu befürchten gewesen wäre … Durch die Aufführung dieses schönen Weihnachtsspiels hätten viele Körperschaften der Stadt herangezogen, interessiert werden können. Der Festspielsache wäre – vorläufig nur in Salzburg selbst – guter Boden bereitet worden, was unter den augenblicklichen Verhältnissen gewiß nicht unrichtig ist.

      Schließlich betraute Reinhardt den österreichischen Dichter Max Mell mit der Aufgabe, das Spiel zu bearbeiten, und Hofmannsthal schrieb mir:

      … kurz und gut, wenn die Wintersache zustande kommt, so werde ich ihr auch alle Teilnahme schenken und meinen Freund Max Mell so beraten, als ob ich selbst die Verantwortung dafür hätte. Bitte, verehrtes Fräulein, sagen Sie das noch Max Reinhardt.

      Alfred Roller sollte die Dekorationen entwerfen, und Bernhard Paumgartner, ein besonderer Kenner bodenständiger, geistlicher Musik, übernahm die musikalische Ausgestaltung. Im Oktober fand sogar eine Probe in der Franziskanerkirche statt. Im Laufe späterer Verhandlungen war auch eine Aufführung im Salzburger Dom erwogen worden. Die Zeit drängte, und die Arbeit schritt zu langsam vorwärts. Als Mells Manuskript endlich nach Berlin an Max Reinhardt gesandt werden sollte, hatten sich die Verhältnisse in Österreich und Deutschland verhängnisvoll zugespitzt. Eine Verkehrs- und Postsperre wegen Kohlenmangels wirkte lähmend. Nur Entente-Züge durften noch verkehren. Das Weihnachtsspiel musste schließlich vom österreichischen Gesandten, Ludo Hartmann, persönlich nach Berlin mitgenommen werden, um überhaupt in Reinhardts Hände zu gelangen. Die Unmöglichkeit, Festspielgäste zu Weihnachten nach Salzburg zu befördern, in geheizten Zimmern unterzubringen, geschweige denn dort zu verköstigen (obwohl das ursprünglich sichergestellt erschien), brachte schließlich den schönen Plan zum Scheitern.

      In den ersten Salzburger Herbstwochen hatte Max Reinhardt nicht nur das Weihnachtsspiel vorbereitet. Die Verhandlungen mit der Salzburger Festspielhausgemeinde griffen in die Zukunft. Reinhardt wusste, dass der Bau eines Festspielhauses eine Lebensnotwendigkeit sei. Nicht zuletzt wegen der Unbeständigkeit des Salzburger Klimas, denn Salzburg gehört zu den regenreichsten Städten der Welt. Die Erfahrung späterer Jahre hat das immer wieder bestätigt, und die Festspielhausgemeinde musste für den Jedermann alljährlich eine Regenversicherung abschließen. Zunächst wurde Reinhardts ursprüngliches Projekt im Hellbrunner Park erwogen, und dort wurde dann auch tatsächlich ein Grundstein gelegt. Helene Thimig beschreibt in ihrem Beitrag zu dem Buch »Hugo von Hofmannsthal, Die Gestalt des Dichters im Spiegel seiner Freunde«, wie Reinhardt beim Weggehen von der Grundsteinlegung zu ihr und Hofmannsthal gesagt habe: »So. Das kommt niemals zustande –« und dann erklärte, dass alles Bleibende aus einem Provisorium wachse, mit einem Wort, dass es nur ein Weiterbauen, Anbauen oder Umbauen gäbe. Wie er dann gleich von der großen Winterreitschule in Salzburg gesprochen und sie in das »provisorische« Festspielhaus umzugestalten begann. Der Umbau der Reitschule sollte es ermöglichen, die Aufführung des Jedermann auch bei Regen abzuhalten. In diesem Gespräch mit Hofmannsthal lag die Keimzelle alles Künftigen, wie es sich dann tatsächlich verwirklicht hat.

      Reinhardt hatte der Festspielhausgemeinde Hans Poelzig als Architekten, der die ersten Entwürfe machen sollte, vorgeschlagen. Er kannte ihn als einen genialen Schöpfer, der sich in den barocken Geist der Stadt einfühlen würde. Neben ihm wurde dann noch der berühmte österreichische Architekt Josef Hoffmann zu dem Wettbewerb herangezogen. Ein Salzburger Architekt, den die Festspielhausgemeinde vorschlug, Wunibald Deininger, durfte ebenfalls einen Entwurf einreichen. Poelzig fuhr nach Salzburg, um sich zu orientieren. Seine Pläne und ein Modell wurden 1920, eine etwas vereinfachte Fassung dann 1921 unterbreitet, aber niemals ausgeführt. Sie werden vor der Nachwelt immer als eine grandiose Lösung eines Plans für ein barock-manieristisch anmutendes Festspielhaus bestehen.

      Was Max Reinhardt prophezeit hatte, erfüllte sich: durch den Umbau des ehemaligen erzbischöflichen Hofmarstalles, den Wolf Dietrich 1607 erbaut hatte, wurde ein Provisorium geschaffen. Aus diesem Provisorium hat sich dann, in Jahren vielfacher Umbauten, Anbauten und Ausgestaltungen, das Festspielzentrum, wie es 1937 bestand – der letzte Festspielsommer, den Max Reinhardt in Salzburg verbrachte –, entwickelt. Die einzelnen Phasen dieser Entwicklung waren ungemein schwierig. Geldmangel, Inflation, politische Wirren, Kurzsichtigkeit und Neid lokaler Kreise, Bürokratismus und nicht zuletzt der langsame Trott des alten österreichischen Amtsschimmels mussten überwunden werden. Es war ein dorniger Weg, der ungezählte, meist fruchtlose Begehungen einschloss, die dann zumeist in ebenso fruchtlosen Sitzungen endeten. Dem Verständnis und dem Glauben einiger weniger Einsichtsvoller, vor allem aber auch dem Kunstrat (Max Reinhardt, Richard Strauss, Franz Schalk, Hugo von Hofmannsthal und Alfred Roller) ist es zu danken, dass Reinhardts Pläne verwirklicht werden konnten. Der Umbau des Hofmarstalles, zuerst dem Architekten Eduard Hütter anvertraut, von Bürgermeister Ing. Hildmann bis an die Grenzen der Aufopferung weitergeführt, wurde schließlich unter Landeshauptmann Dr. Franz Rehrl, den Reinhardt ungemein verehrte, vollendet. Durch die teilweise Überdachung wurde die unvergessliche Faust-Aufführung Max Reinhardts ermöglicht, nachdem die »Fauststadt« genau nach seinen Angaben und Entwürfen erbaut worden war. Ein bleibendes Zeugnis für das Allumfassende seines Genies, das nicht nur den Schauspieler, sondern auch Dichter, Musiker, Maler und nicht zuletzt Baumeister befruchtete.

      In Erzbischof Dr. Ignatius Rieder hatte Reinhardt einen begeisterten, verständnisvollen Förderer, der zum Zustandekommen des Jedermann auf dem Domplatz entscheidend beitrug. In einer Zeit, in der engstirnigster Rassenhass sich bereits bedenklich verdichtete, erklärte er: »Ein guter Jude wie Reinhardt ist mir lieber als ein schlechter Christ.« Max Reinhardt sagte von ihm immer wieder: »Das ist ein Heiliger.«

      Schlösser – Häuser – Wohnungen

      In diese ersten längeren Aufenthalte in Salzburg fielen aber auch noch andere Pläne, die Reinhardt verfolgte. Er wollte seinen Bruder Edmund, von dem er sich nie lange trennte, in seiner Nähe haben. So suchte er für ihn einen kleinen Besitz, der Edmunds Lebensweise mehr entsprach als die Weitläufigkeit von Leopoldskron. Man erzählte ihm von einem kleinen Schloss Ursprung, auf einer Art Hochebene, oberhalb von Hallwang. An einem schwülen Tag fuhr er hinaus. Er wunderte sich über den merkwürdig grauen, bedeckten Himmel. »Schneeblüat«, sagte der Kutscher, während der Wagen auf der sanft ansteigenden Straße hinaufknarrte. Zwischen uralten Bäumen stand ein kleiner Bau, der Reinhardt entzückte. Einfaches, heiteres Barock. Innen watteauartige Sopraporten, alte Öfen und schöne Parkettböden, die Reinhardt später für die Ausgestaltung der Bibliothek in Leopoldskron erwerben konnte. Unter den mächtigen Bäumen stand ein barocker Steintisch, in den sich Reinhardt ebenfalls sofort verliebte. Erst viele Monate später, nach allerhand fruchtlosen Versuchen, gelang es,