und der Erfüllung so vieler heißer Träume, sein übriges großes Leben. Zum Beispiel beschäftigte ihn der Gedanke, die Halle im Erdgeschoß des Schlosses noch besonders auszugestalten. Die Leere der Wände oberhalb der beiden Kamine missfiel ihm. Er hatte in Wien, in der Bäckerstraße, an der Fassade eines uralten Hauses eine barocke Madonna gesehen, die ihm wie geschaffen dafür schien, in einer Nische oberhalb des einen Kamins angebracht zu werden. So beauftragte er mich, den Kunsthändler Nebehay in Wien aufzusuchen und ihn zu bitten, die Madonna zu erwerben. Wie es sich herausstellte, hatte das Haus, dessen Eingang sie zierte, einen üblen Ruf. Eine groteske Tatsache, die Reinhardt später oft seinen Gästen erzählte. Die Verhandlungen mit Nebehay zogen sich lange hin, aber schließlich gelang es ihm, die entzückende Statue für Reinhardt zu erwerben. Reinhardt entwarf selbst die Nische, in der sie oberhalb des Kamins ihren Platz finden sollte. Der bewährte alte Salzburger Stukkateur Strasser führte Reinhardts Entwurf aus. Niemand, der die »Freudenhaus-Madonna« dort sah, ahnte, dass sie nicht seit der Erbauung des Schlosses durch den Fürsterzbischof Firmian dort gestanden habe.
In diese ersten Zeiten in Salzburg fiel auch die Suche nach Steinfiguren für den Park. Es begann mit den Seepferden, die heute noch am Seeufer vor dem Schloss stehen. Reinhardt hatte sie in Seewalchen gesehen und wollte sie erwerben. Die Verhandlungen mit dem Besitzer, der sich von den Skulpturen nicht trennen wollte, waren schwierig. Der Transport nach Salzburg musste mit allen Vorsichtsmaßnahmen bewerkstelligt werden, um das Moos, das den Seepferden einen besonderen Reiz verlieh, nicht zu gefährden. Fundamente und eine Treppe zum See hinunter wurden beim Baumeister bestellt, der sie genau nach den Angaben Reinhardts ausführte. Dann begann das Aufspüren der Zwergeln. Diese grotesken barocken Sandsteinfiguren standen ursprünglich im Zwergelgarten von Schloss Mirabell. Eine Erzherzogin, die Angst hatte, sich während ihrer Schwangerschaft zu »verschauen«, veranlasste ihre Entfernung. So wurden diese Figuren in alle Winde verstreut und gingen vielfach in Privatbesitz über. Es war keine leichte Aufgabe, sie wieder ausfindig zu machen und dann die Besitzer zu bewegen, sich davon zu trennen. Meistens waren es selbst schrullenhafte ältere Menschen, die sich in die verschrobenen Figuren verliebt hatten, mit denen sie ein geheimes Band zu verknüpfen schien. Im Park von Leopoldskron entstand eine »Zwergelwiese«, auf der die lange getrennten phantastischen Gestalten sich nun wieder zusammenfanden. Manche hatten Lanzen, andere alte Laternen, und Reinhardt ruhte nicht, ehe ihnen alle diese Attribute (die von den Besitzern oft gering geachtet wurden) wiedergegeben worden waren. Da standen sie nun im Schatten der Thujen, besonders geheimnisvoll in feuchtnebligen Mondscheinnächten, als Teil eines Reinhardtschen Sommernachtstraumes.
Die Ausgestaltung des Parkes war in diesen ersten Jahren eine der Hauptsorgen Max Reinhardts. Eine Sorge, der er sich mit viel Freude und leidenschaftlicher Ungeduld hingab. Versumpftes, verwildertes Terrain umgab damals das Schloss. Zunächst musste eine Allee geschaffen werden, die zu dem Teich führte, in dem im nächsten Jahr – als point de vue – eine große barocke Herkulesstatue aufgestellt wurde. Diese stand ursprünglich vor dem Arenberg-Schloss, das damals von Hermann Bahr bewohnt wurde, und schien wie geschaffen für eine kleine Insel in einem Teich im Park von Leopoldskron. Nach langen Verhandlungen gelang es mir, sie zu erwerben. Was mir diesen Kauf erschwerte, war der Zwiespalt zwischen meiner Freundschaft mit Bahr, dem ich damit etwas raubte, was er aus seinen Fenstern sah, und der Wunsch, Reinhardts Traum zu erfüllen. Der Abtransport der Herkulesstatue hatte etwas von einem Kondukt. Die Figur wurde auf einen langen Lastwagen verladen, den »unsere« Ochsen zogen. Ich ging, einer Leidtragenden gleich, im Ochsenschritt, den ganzen Weg von Parsch nach Leopoldskron, hinter dem Wagen her. Der Herkules wurde auf der Teichinsel im Park aufgestellt. Als Bahr und Anna Bahr-Mildenburg später kamen, um sich die Statue auf ihrem neuen Standort anzusehen, waren sie entzückt und verziehen den Raub.
Bäume und Sträucher mussten gepflanzt werden, und innerhalb der folgenden Jahre wurde die Konglomeratmauer gebaut, die den ganzen Besitz umgab und heute ebenfalls nicht mehr wegzudenken wäre. In dem Obergärtner Köpl fand Reinhardt einen treuen, überaus fähigen und verständnisvollen Mitarbeiter, der alle seine Wünsche zu erfüllen trachtete. Nur eines vermochte er nicht: das Wachstum jung gepflanzter Bäume zu beschleunigen! Es wurde zu einer großen Geduldprobe für Reinhardt, dem das endgültige Bild des Geplanten vorschwebte.
Nicht allein die Erfüllung eines Wunsches war bei Reinhardt ausschlaggebend, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der dies geschah. Ob es sich um die Erlaubnis von Behörden handelte, irgendeinen sonst unzugänglichen Raum, eine Straße zu benützen, die abgesperrt werden musste, eine bestimmte Antiquität zu erwerben, ein Konzert in Leopoldskron in letzter Stunde zustande zu bringen oder – an einem Weihnachtsabend – Lämmer für seine damals noch kleinen Söhne zu kaufen und nach Leopoldskron zu bringen … Dieser Gedanke kam ihm spät am Nachmittag im Café Tomaselli, wo jede Expedition in Salzburg endete. Sein Vertrauen, dass es an diesem Weihnachtsabend noch gelingen müsse, war unwiderstehlich. Und es gelang: der »Petererhof«, dem Stift St. Peter gehörig, lag etwas außerhalb der Stadt. Der »Moar« war überrascht, als so spät am Nachmittag ein Einspänner über Schnee und vereiste Straßen durch die Winterdämmerung geholpert kam und bei ihm vorfuhr. Kopfschüttelnd ging er aber trotzdem in den warmen Stall und verkaufte mir zwei seiner Lämmer. Diese unruhige Last wurde unter dem Spritzleder des halboffenen Wagens zu meinen Füßen verstaut und nach Leopoldskron verfrachtet. Reinhardt freute sich, fand es aber vollkommen selbstverständlich, dass das scheinbar Unmögliche in dieser kurzen Zeit gelungen war – und die Kinder bekamen ihre Lämmer …
Reinhardt liebte Tiere. Er wurde nicht müde, sie zu beobachten, mit ihnen zu spielen. Eine besondere Freude waren für ihn exotische Vögel. » … aber vergessen Sie nicht die chinesischen Nachtigallen!«, das war sein Stoßseufzer bei einem Telefongespräch, in dem ich mich von Reinhardt verabschiedete, als er mich nach Cuxhaven schickte, um Lillian Gish abzuholen. Vorher sollte ich zu Hagenbeck in Stellingen bei Hamburg gehen, um Vögel für seinen Tierpark in Leopoldskron zu kaufen. Die chinesischen Nachtigallen waren ihm in diesem Augenblick zum mindesten ebenso wichtig wie die Ankunft des amerikanischen Filmstars.
Viele Tiere wurden im Laufe der Jahre nach Leopoldskron gebracht. Da waren in einem barocken Pavillon drei Pelikane, über deren gravitätischen Ernst er immer wieder lachen konnte. Befrackte Herren einer Varieténummer, in einem langsamen Pas de trois, vollkommen aufeinander abgestimmt. Kraniche und Kronenreiher führten ein bewegteres Leben. Sie tanzten! Reinhardt konnte einen von ihnen, der besonders an ihm hing, durch Armschwenken und Zurufen zu einer Leidenschaft der Bewegungen steigern, die an afrikanische Tänzer erinnerte. Und dann die Flamingos: eine rosige Wolke, zartgetönt, feingliedrig, immer in Gruppen, zurückhaltend und von einer eigenartigen Schönheit.
Der Herkulesteich gehörte den weißen und den schwarzen Schwänen, während Mandarinenten und andere kleinere Enten auf sumpfigen Kanälen schwammen. In Volieren wurden Wellensittiche gezüchtet. Sie teilten ihre Käfige mit Reisvögeln, chinesischen Nachtigallen und vielen kleinen bunten Vögeln. Raimund von Hofmannsthal hatte von einer Weltreise zwei Affen mitgebracht und sie Reinhardt für seinen Tiergarten geschenkt. Sie bewohnten ein Glashaus, wo Reinhardt sie oft besuchte und fütterte.
Ein Morgenspaziergang durch den Park, zu den Tieren, bis zur barocken Nepomukstatue am äußersten Ende seines Besitzes, war die einzige Erholung, die sich Reinhardt während der Festspiele gönnte. Aber nur selten vermochte er mit Helene Thimig diese kurze Stunde ungestört zu genießen: Ferngespräche, Telegramme, dringende Anfragen zwangen ihn nur allzuoft, halb laufend zum Schloss zurückzukehren. Von diesem Augenblick an war er dann hoffnungslos an den neuen Tag verloren, im Netz der Festspiele eingefangen. Doch der Garten klang nach, das Haus klang nach.
In späteren Jahren hatte er sich allerdings noch eine Zuflucht geschaffen: das Sonnenbad auf dem Dach des Schlosses. Ein Lift war eingebaut worden, der ihn aus seiner Wohnung hinauftrug. Da die Arbeitsleistung, die ihm während der Festspiele auferlegt war, alljährlich immer größere Dimensionen annahm, konnte sie nur noch in angestrengter Nachtarbeit bewältigt werden. So gönnte sich Reinhardt, wenn Zeit für einen Spaziergang fehlte, dann wenigstens eine kurze Atempause im Sonnenbad, wo er frühstücken, lesen und wieder arbeiten konnte.
Leopoldskron war für ihn wie ein Instrument, aus dem er die vielfältigsten Tonschwingungen hervorzaubern konnte. Die großen festlichen Abende rauschten vorbei, bis ins letzte wie Schauspiele inszeniert,