Aurora Rose Reynolds

Falling for Tide


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und sofort schiebt sich ein Bild von Tide vor mein geistiges Auge, der momentan die Decke im Wohnzimmer ersetzt.

      Ich sehe nur allzu deutlich vor mir, wie sich sein dunkelblaues T-Shirt eng um seine definierte Brust, seine Bauchmuskeln und seine durchtrainierten Arme spannt, während er eine Trockenbauwand festhämmert. An den letzten beiden Abenden habe ich beobachtet, wie er den Teppich rausriss und die nasse Decke entfernte. Auch wenn wir nur wenige Worte miteinander wechseln, schaue ich ihm bei der Arbeit zu, ohne dass er es bislang bemerkt hat. Ich versuche, ihm möglichst nicht in die Quere zu kommen, wenn ich aber ehrlich zu mir selbst bin, meide ich ihn.

      Als ich ein lautes Krachen und derbes Fluchen höre, springe ich auf und laufe die Treppe runter. Im Wohnzimmer bleibe ich stehen und blicke mich um. An der Wand lehnt ein Stück ramponierte Gipskartonplatte und Tide stemmt eine weitere, intakte Platte über seinen Kopf, während er sich auf die Leiter in der Mitte des Raums zubewegt.

      »Ist alles in Ordnung?«

      Bei meiner Frage dreht er sich zu mir um. »Ja«, antwortet er ächzend und erklimmt mit gekonnten Schritten die Metallstufen. Rasch eile ich zu ihm, klettere die ersten sechs Stufen hinterher und helfe ihm, die Trockenwand an Ort und Stelle zu halten, als er die Nagelpistole aus dem Gürtel um seine Hüften zieht. »Babe, was zur Hölle machst du da? Geh runter.«

      »Nein.« Ich sehe ihn nicht an, sondern steige noch eine Stufe höher, um meine Arme etwas zu entlasten, die unter dem Gewicht der Platte zu zittern beginnen.

      »Geh runter.«

      »Mach einfach«, zische ich und kämpfe gegen meine schwindenden Kräfte an. Gott, ich muss wirklich mehr trainieren.

      »Zum Teufel«, knurrt er, bevor er loslegt. Bei jedem einzelnen Schuss der Nagelpistole zucke ich zusammen. Erst als ich sicher bin, dass es hält, lasse ich los und klettere die Leiter wieder runter. Als Stille eintritt, sehe ich auf und begegne Tides Blick. Er ist wütend. Auch wenn ich ihn nicht gut kenne, entgehen mir der aufgebrachte Ausdruck in seinen Augen und die Anspannung in seinem Kiefer nicht. »Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?« Der Klang seiner Stimme hallt durch den Raum und erfüllt mich bis in den letzten Winkel.

      Ich straffe die Schultern und recke das Kinn. »Ich habe dir geholfen.«

      »Mir ist klar, dass du das meinst, Babe, aber was hättest du gemacht, wenn die Leiter unter der Last von uns zwei nachgegeben hätte?«

      Mist, das habe ich nicht bedacht.

      »Siehst du ... Und was glaubst du, wäre passiert, wenn einer der Nägel abgeprallt wäre und dich getroffen hätte?«

      Verdammt. Auf die Idee bin ich auch nicht gekommen. »Ist so was überhaupt möglich?«

      »Frag mal meinen Freund Tiny, der kürzlich einen Nagel aus seiner Schulter entfernen lassen musste.«

      Autsch.

      »Ich habe nur versucht zu helfen«, erwidere ich leise.

      »Das tust du, indem du mir nicht hilfst.«

      Ich ziehe die Nase kraus. Er hat die ganze Zeit über allein gearbeitet und trotz seiner Kraft sowie Erfahrung ist es offensichtlich nicht einfach, ohne Unterstützung eine Decke anzubringen. »Warum lässt du dir nicht von jemandem helfen?«

      »Weil ich hierbei kein weiteres Paar Hände brauche«, antwortet er, schiebt die Leiter ein Stück zur Seite und greift nach der nächsten Platte. Als er sie über seinen Kopf stemmt, beobachte ich das Spiel seiner Muskeln.

      Als er jedoch die Metallstufen erreicht, trete ich instinktiv nach vorn und halte den Gipskarton in Waage, damit Tide ihn platzieren kann.

      »Ernsthaft?«

      Mich nicht noch einmal entschuldigend, warte ich ab, ohne Tide anzusehen. Er stößt ein genervtes Brummen aus, und einen Moment später zucke ich erschrocken zusammen, als erneut das Geräusch der Nagelpistole ertönt. Anschließend klettere ich zurück nach unten. Als sich eine warme, starke Hand um meine Finger schließt, halte ich inne – einen Fuß auf dem Boden, den anderen in der Luft.

      »Was habe ich gesagt?«

      Vorsichtig linse ich zu ihm hoch und oh Gott. Er wirkte vorhin schon sauer, was aber nichts gegen jetzt ist.

      »Ich versuche nur, dir zur Hand zu gehen.«

      »Was unnötig ist. Wenn ich Unterstützung bräuchte, würde ich einen meiner Jungs anrufen.«

      »Also schön.« Ich werfe meine Arme in die Luft. »Aber lauf nicht heulend zu mir, wenn dir eine dieser Trockenbauwände auf den Kopf kracht und dich ausknockt.«

      »Das wird nicht passieren«, meint er und greift nach der nächsten Deckenplatte. Als er wieder bei der Leiter ist, wirft er mir einen Blick zu, um sicherzustellen, dass ich nicht noch einmal Anstalten mache, ihm hinterherzuklettern.

      »Ich rühre mich keinen Zentimeter.«

      »Ja, und ich wette, es bringt dich förmlich um«, grummelt er, und ich schaue ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Er hat recht; es juckt mir in den Fingern, mich in Bewegung zu setzen und ihm zu helfen, aber wenn er ein chauvinistischer Alpha-Mann sein will, bitte sehr ...

      »Machen Sie weiter, Sir.« Ich salutiere und entdecke, wie seine Mundwinkel zucken, als er die Stufen hinaufsteigt. Dann beobachte ich voller Ehrfurcht, wie er die Platte mühelos an der Decke festnagelt. Er scheint das wirklich im Alleingang bewerkstelligen zu können.

      »Sieh mal einer an, jetzt herrscht plötzlich Ruhe auf den billigen Plätzen.« Grinsend stützt er seine Ellenbogen auf die Leiter. Himmel, er sieht viel zu gut aus.

      »Angeben ist kein feiner Charakterzug.«

      »Also möchtest du lieber, dass ich bewusstlos auf deinem Wohnzimmerboden ende, ohne Rettung in Sicht, weil du dich weigerst, mir zu helfen?«, neckt er und zieht eine Braue hoch.

      »Geh mir nicht auf den Keks.« Ich drehe mich um und höre ihn hinter mir lachen, als ich in die Küche stürme. Ich öffne den Kühlschrank und hole die Zutaten für eines meiner Lieblingsgerichte heraus: ein einfaches Pfannengericht mit Reisnudeln, Hühnchen und Pad Thai-Sauce.

      Nachdem das Fleisch, die Nudeln und das Gemüse fertig sind, gebe ich alles in einen Topf und füge die Sauce hinzu. Ich rühre mehrmals kräftig um, bis alles gleichmäßig damit bedeckt ist. Anschließend schnappe ich mir einen Pappteller und spähe hinüber zum Wohnzimmer. Mir ist klar, dass ich mich zurückhalten sollte, was mich aber nicht daran hindert, die halbhohe Wand zu umrunden.

      »Ähm«, beginne ich, und als Tide mich ansieht, muss ich mir meine plötzlich schweißnassen Hände an der Vorderseite meiner Shorts abwischen. »Keine Ahnung, ob du schon gegessen hast, aber ich habe gekocht und du kannst gern etwas davon abhaben. Es ist genug da.«

      »Ich dachte schon, ich müsste mir selbst zu einer Portion verhelfen, nachdem du nach oben verschwunden bist«, sagt er und kommt auf mich zu. »Es riecht gut.«

      »Danke.« Am Saum meines Oberteils herumfummelnd, mache ich auf dem Absatz kehrt, um in die Küche zurückzukehren. »Magst du Thailändisch?«

      »Ich habe es noch nie probiert«, entgegnet er, als ich einen weiteren Pappteller aus dem Schrank nehme und ihm in die Hand drücke.

      »Sorry, das ist alles, was ich dahabe. Ich kriege meine Sachen erst in ein paar Tagen.«

      »Willst du, dass ich mich schlecht fühle?«, fragt er, und ich halte inne – mit einem Pfannenwender voller Nudeln, Gemüse und Hühnchen im Griff. Tide zuckt mit den Schultern. »Ich lebe schon einige Jahre in meinem Haus und benutze immer noch Pappgeschirr. Vermutlich, weil ich ungern abspüle.«

      »Du bist ein Mann. Ich bin mir sicher, es ist in deiner DNA verankert, jegliche Art von Putzen zu umgehen.«

      »Touché.« Er grinst, und ich lade lachend eine riesige Portion auf seinen Teller, denn in Anbetracht seiner Statur scheint er nicht wenig zu essen. Anschließend reiche ich ihm eine Plastikgabel und eine Wasserflasche, die ich zuvor aus dem Kühlschrank geholt