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      In diesem Kontext entstand der Song „Save the World With This Melody“ in Ko-Kreation von Bernadette LaHengst und Nick Nuttall, dem damaligen Pressesprecher des UN-Klimasekretariats (UNFCCC). Er war Teil eines theatralen Parcours, an dem noch andere Tandems mitwirkten. Choreograf Jochen Roller zum Beispiel schickte gemeinsam mit Dr. Aline Kühl-Stenzel, der Landtierbeauftragten des UN-Umweltprogramms (UNEP) die Zuschauer auf eine halsbrecherische Zugvögel-Reise, Patrick Wengenroth inszenierte mit Prof. Dr. Jakob Rhyner (Direktor des Instituts für Umwelt der Universität der Vereinten Nationen (UNU-EHS)) in der Hauptrolle Becketts Endspiel, und die Puppenspielerin Suse Wächter brachte niemand Geringeren als Gott und Dr. Michael Kühn von der Welthungerhilfe in einen Dialog. Dies sind nur einige Beispiele vielzähliger Projekte, die wir bis heute initiieren und kuratieren.

      Und Bernadettes Plan funktionierte tatsächlich: Als das Publikum am Ende eines erlebnisreichen, informativen und inspirierenden Abends zusammenkam und gemeinsam den Weltrettungssong schmetterte, da hatte man tatsächlich dieses erhabene Gefühl von Gemeinschaft. Die Erkenntnis, jetzt wirklich etwas tun zu wollen, eine Idee, wie das gehen könnte, und das Bewusstsein: you are not alone. Aristoteles, der alte Wirkungsästhetiker, behielt mal wieder recht: Theater entfaltet von Zeit zu Zeit eine starke, kathartische Wirkung. Und das ist ja immerhin ein guter Anfang für eine Weltrettungsmission.

      Kann Kunst also die Welt retten?

      Natürlich nicht. Aber sie kann – ganz im Sinne einer moralischen Anstalt – ein Mittel sein, das inhaltlich aufklärt und emotional betrifft. Und den Zuschauer gegebenenfalls zu einem besseren Menschen macht. Diese Schiller’sche Maxime ist in unserer Branche ja gerade ein wenig aus der Mode gekommen.

      From empathy to action

      In Bezug auf die Klimakatastrophe wissen wir, dass aktives Handeln von uns allen erforderlich ist, um eine Erderwärmung zu vermeiden. Aber wie hängen Katharsis und aktives Handeln zusammen? Wir wissen, nicht nur von Aristoteles und Schiller, sondern auch aus der Sozialforschung, dass der Mensch dann handelt, wenn er emotional involviert ist. Als Theatermacher*innen können wir beim Publikum Emotionen erzeugen: Wut, Trauer, Mitgefühl, Langeweile, Humor – die Bandbreite der künstlich herbeigeführten Reaktionen ist lang. Wieso setzen wir unsere Qualifikation nicht dafür ein, unser Publikum zum Umdenken und Handeln zu animieren? Weil die Gefahr eines moralischen Zeigefingers besteht? Weil man nicht oberlehrerhaft auftreten will?

      Wenn die Moral nicht bieder und bigott daherkommt, kann sie sehr effektiv sein. Greta Thunberg als Jeanne D’Arc der Klimakatastrophe zeigt das eindrücklich.

      Wie können wir die dramatischen Veränderungen, die auf uns zukommen, so erzählen, dass sie uns nicht von vornherein Angst machen und lähmen? Wie können wir die apokalyptischen Erzählungen der Klimawissenschaft in utopische Botschaften umdeuten?

      Obwohl das Theater seit seiner Entstehung von fast nichts anderem als von Krisen und Katastrophen handelt, tun wir uns schwer damit, die richtigen Narrative für die Klimakatastrophe zu finden. Das liegt daran, sagt die Wiener Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Eva Horn, „weil die Klimakrise ein sehr seltsamer Typ von Katastrophe ist, nämlich eine ohne großen Knall“. Unsere Umwelt ändert sich sehr langsam, fast unmerklich und trotzdem sehr tiefgreifend. Obwohl die Klimaforscher hervorragende Arbeit leisten, können wir uns die Veränderungen nicht richtig vorstellen. Die Klimakrise ist eine Krise der Vorstellungskraft.

      Künstler*innen wie Katie Mitchell, Rimini Protokoll, Kris Verdonck, Anne Dukhee Jordan, Anna Mendelssohn, Alexander Giesche, das PENG! Kollektiv, Thomas Köck, Tobias Rausch und viele andere zeigen in ihren Arbeiten, dass man diese merkwürdige Krise künstlerisch darstellen kann. Mithilfe von Dokumentation, Provokation, Identifikation entwerfen sie alternative, utopische Entwürfe, bedienen sich emanzipatorischer, kreativer und transformativer Praktiken, modellieren, konstruieren, nehmen Perspektivwechsel vor.

      Theater klimaneutral?

      Aber müssen wir – um glaubwürdig zu sein – nicht noch einen Schritt weitergehen? Die ästhetische und inhaltliche Auseinandersetzung auf der Bühne ist wichtig, aber auch die Haltung und der gesamte Prozess dahinter gehören mit in das Paket, und zwar unter sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekten.

      Klar ist, dass unsere Gesellschaft in Gänze klimaneutral werden muss, und das möglichst bis 2035. Diese Messlatte kann kein Sektor unterlaufen, auch nicht die Kultur. Allein der jährliche CO2-Ausstoß der Stiftung Preußischer Kulturbesitz entspricht mit 30.000 Tonnen etwa sechs Prozent des Jahresverbrauchs von Osttimor oder Burundi.

      „Practice what you Preach“ ist daher die Losung der Stunde. Denn gemessen werden wir nicht nur an dem, was wir auf der Bühne predigen, sondern auch an dem, wie wir uns hinter den Kulissen verhalten.

      Das Bewusstsein und die Sensibilität dafür nehmen stark zu. Die Theater befinden sich erst am Anfang eines Transformationsprozesses, der neben einer Strukturreform auch zu neuen Formensprachen und Ästhetiken führen wird. Kunst muss Grenzen überschreiten dürfen. Aber Kunst muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob es z. B. notwendig und sinnvoll ist, mit einem Bühnenbild aus riesigen, transparenten und extra gefertigten Plastikobjekten auf die Vermüllung der Meere anzuspielen. So geschehen bei den Salzburger Festspielen. Vor allem dann, wenn der Regisseur Peter Sellars anlässlich seiner Idomeneo-Inszenierung in der Eröffnungsrede explizit die Klimakatastrophe anspricht. Auch wir von SAVE THE WORLD haben erst spät angefangen, unsere eigenen Produktionsprozesse zu hinterfragen.

      Das Regiekollektiv Rimini Protokoll musste sich ebenfalls der Frage stellen, ob seine CO2-Bilanz bei der herausragenden Inszenierung Welt-Klimakonferenz am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg dem Thema angemessen war. In ihrem Planspiel von 2015 schicken die drei Theatermacher*innen das Publikum als Delegierte in den Dialog. Die Zuschauer wurden zu Abgeordneten eines Landes erklärt und konnten in dieser fiktiven Rolle an der Weltklimakonferenz teilnehmen und deren Ergebnis aktiv mitgestalten. Als afrikanische Delegation bekam man z. B. sehr eindringlich vermittelt, wie die zunehmende Hitze und der Wassermangel das Leben auf dem Kontinent erschweren. Man lag unter einer riesigen, der Sonne nachempfundenen Scheinwerfer-Konstruktion, und der Schweiß lief einem buchstäblich den Rücken hinunter. Das Dilemma des globalen Südens, als Opfer der Klimaerwärmung massiv betroffen und gleichzeitig als geringer CO2-Immitent nicht schuld an der Misere zu sein, hatte man nie deutlicher vor Augen. Und trotzdem bleibt die Frage, ob der Stromverbrauch dieser Sonne zur Verdeutlichung des Themas angemessen war.

      Vielleicht muss manchmal künstlerisch etwas, nicht dem Ideal Entsprechendes getan werden, um speziell darauf hinzuweisen? Vielleicht muss aber auch genau darauf verzichtet werden. Wie lösen wir dieses Dilemma? Die künstlerische Leiterin des weltweit ersten klimaneutralen Arcola Theaters in London, Feimatta Conteh, rät uns: „Don’t let perfect get in the way of good“.

      Es ist notwendig, nicht vor den gestellten Aufgaben zu kapitulieren, sondern frisch und energetisch unsere Produktionsprozesse zu überdenken. Das ist ein anstrengender, komplexer Vorgang. Aber: Wir stehen nicht allein vor dieser Herausforderung. Die gesamte Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und auch unser Privatleben sind davon betroffen. Und da ich davon ausgehe, dass wir als kreative Menschen besonders gute Lösungen erarbeiten werden, nützt kein Jammern, nur das Ärmel-Hochkrempeln.

      Was brauchen wir für die Transformationsprozesse? Art meets Science!

      Wir müssen uns den Raum für Reflexion nehmen und unsere Arbeitsprozesse entschleunigen. Wir brauchen wissenschaftliche Begleitung bei diesem Prozess. Vielfach fehlt es an Zahlen, Daten, Fakten. Eine Möglichkeit wäre die Implementierung von Forschungsprojekten in den Theatern, wie es Sabina Dhein, Rektorin der Hochschule für Musik und Theater Hamburg bei der Konferenz „Burning Issues Meets Kampnagel“ 2020 vorgeschlagen hat. Wenn wir neue Fragen stellen wollen, statt Lösungen für alte Probleme zu finden, müssen wir die begonnenen Prozesse analysieren, dokumentieren und evaluieren. Das kann kein System alleine leisten. Dafür braucht es Austausch, Dialog, künstlerische Forschung und widerständige Praxis.