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transformers


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kollektive Arbeit im Writer’s Room gefordert; seit Jahr und Tag zeigen sich Betriebsdirektoren immer unzufriedener mit den Marktmonopolisten der Theatersoftware Theasoft oder Opas. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Dennoch scheint es, als seien die Theater und Kulturbetriebe seit Jahren kaum vorangekommen, als träten sie auf der Stelle. Wie kommen wir in die Transformation? Was muss sich ändern?

      FRIEDRICH VON BORRIES: Ich mache einen utopischen Vorschlag. Jedes Theater sollte endlich seine Schizophrenie anerkennen und sich klonen und sagen: Wir doppeln uns und halbieren uns, aus einem Theater werden zwei, die sich die Räume und andere Ressourcen teilen. Das eine Haus macht ein Theater, wie wir es kennen, also die behutsame Überführung von deutschem Sprechtheater in zeitgenössisches Diskurstheater für Akademiker*innen. Die andere Hälfte probiert für fünf Jahre etwas gänzlich anderes aus. Was dieses gänzlich Andere ist, wissen wir alle und wissen wir alle nicht. Denn es ist ja gänzlich anders. Der eine mag Rewe-Supermärkte einrichten, der andere mag Theater für Haustiere machen, der Dritte mag Projekte mit migrantischen Jugendlichen machen, der Vierte mag Klassiker der türkischen Theaterkultur aufführen. What ever, I don’t know. Und dann setzt man sich nach fünf Jahren zusammen und redet mal. Und denkt und diskutiert. Weil die Transformation nur aus Erfahrung kommen wird. Sie wird nicht aus Analysen, nicht aus Beschreibungen kommen. Auch die Transformation des Theaters wird in der Transformation passieren, als Prozess, in dem man sich Freiräume schafft, ausprobiert und danach gemeinsam darüber diskutiert, und nicht im Sinne eines Vorschlags oder einer Beschreibung.

      JONAS ZIPF: Damit kommen wir zu unserem Ausgangspunkt zurück: Corona als Brennglas. Eigentlich bietet uns Corona genau die Experimental- und Reagenzglas-Situation, von der du gerade sprichst. Allerdings müssen wir wahrscheinlich jetzt schon im Konjunktiv Zwei – leider nicht im Futur Zwei – sprechen: Corona hätte uns diese Situation geboten. Wenn wir etwa auf die Digitalisierungsebene im Theater schauen, dann hat das nur sehr bedingt stattgefunden: Die meiste Aktivität war geprägt von Aktionismus, davon, irgendwie präsent zu bleiben für sein Publikum, auch von beruflicher Verzweiflung, kulturpolitischer Angst, selten aber vom gründlichen Versuch, die eigene Struktur anzufassen, die eigenen Produktionsweisen zu verändern und zu adaptieren. Eigentlich bot Corona dazu die ideale Krisensituation, gerade im Hinblick auf die staatlichen Kulturträger: Wirtschaftlich abgesichert durch Kurzarbeit, zumindest was die Festangestellten anbelangt, im Bereich der Orchester sogar mit einer Lohnfortzahlung von gewerkschaftlich durchgesetzten 100 Prozent. Während Freischaffende gleichzeitig lange darum kämpfen mussten und müssen, nicht automatisch aus der KSK raus und in Hartz IV zu fallen. Und trotzdem war diese Zeit von ganz viel Mehrbetrieb und Weiterbetriebsamkeit geprägt, vom alten Muster des „Immer noch mehr vom Selben“. Da ist noch wenig Bewusstsein für Transformation by Design. Das führt, wenn es so weitergeht, eher zu Transformation by Desaster. So zumindest unser Eindruck als Herausgeber*innen des Arbeitsbuchs. Konjunktiv Zwei: Man hätte diese Chance sehr früh definieren müssen, zu Beginn des ersten Lockdowns im März des vergangenen Jahres, diese Phase nutzen und den Theaterbetrieb neu erfinden können. So ist das aber nun mal mit der Zeitdiagnostik: Hinterher sind wir immer klüger. Das vorliegende Arbeitsbuch stellt jedenfalls den Versuch dar, diese Chance noch mal aufzugreifen und dennoch zu nutzen. Vielleicht liegt ja auch ausgangs der Pandemie noch ein Rest dieser Chance in der Luft. Immerhin befinden wir uns auch weiterhin in einer intensiven Phase des aktivistischen Protests, auch innerhalb der Theater, und stehen vor einigen bedeutsamen politischen Umwälzungen, nicht nur finanzpolitischer Natur, sondern gesamtpolitisch und gesamtgesellschaftlich.

      SILKE VAN DYK: Da verläuft tatsächlich die eindeutige Trennlinie: Zwischen Transformation by Design und by Desaster. Ich glaube ja, eine ganz fatale Situation entstand gleich zu Beginn der Pandemie. Ich kann das anhand der sozial- und kulturwissenschaftlichen Textproduktion beschreiben. Nicht wenige Autor*innen sind sofort davon ausgegangen, dass die Pandemie durch eine Transformation by Desaster den Einstieg in eine neue Welt ebnen könnte. Ich weiß nicht, wie viele Texte ich aus dem Nachhaltigkeits-, Postwachstums-, Degrowth-Spektrum gelesen habe, die a) den radikalen Kategorienfehler gemacht haben, die akute Bedrohung durch die Pandemie mit dem langsamen Klimawandel gleichzusetzen, der noch dazu räumlich und personell externalisiert, nämlich genau dort zuerst seine negativen und desaströsen Folgen zeigt, wo die Menschen am wenigsten zu diesem Wandel beitragen – und b) auf die Idee verfallen sind, die auch vor Corona schon anliegenden Transformationsprozesse so stark mit einem Hoffnungsdiskurs zu verknüpfen, dass das Wünschbare, nämlich der Übergang in eine Postwachstumsgesellschaft, plötzlich als wahrscheinlicher imaginiert wurde. Immer wieder war in unterschiedlichen Varianten zu lesen, dass jetzt ja alle auf Flug- und Urlaubsreisen verzichtet haben und damit bestimmt ganz viele erkennen werden, dass sie das gar nicht brauchen. Jetzt, ein Jahr später, sehen wir: Genau das ist nicht eingetreten, weil nämlich ziemlich viele Menschen ziemlich viel vermisst haben. Es ist ein fundamentales Problem, wenn Zeitdiagnosen das Wünschenswerte zum Wahrscheinlichen ausrufen und dabei die Macht- und Kräfteverhältnisse einfach ausblenden, die dem entgegenstehen. Das ist auch extrem ahistorisch: Wir wissen aus Extremsituationen in der Vergangenheit, zum Beispiel aus Kriegen oder anlässlich großer Naturkatastrophen, dass plötzlich ganz viel geht, was vorher undenkbar war. Nur ist es damit dann auch schnell wieder vorbei, das sind radikale Ausnahmesituationen, die eben nicht organisch und automatisch in Transformation by Design münden. Das muss ich leider nüchtern feststellen. Und es ist im Moment erstaunlich leise in der Debatte. Ich lese nicht mehr so viele Texte von denjenigen, die mir vor einem Jahr erzählt haben, was jetzt alles besser werden kann, warum dieses und jenes nun vielleicht eintritt oder doch nicht eintritt. Diese Schwäche der sozial- und kulturwissenschaftlichen Zeitdiagnose gab es auch nach Occupy, als man sich im Nachgang immer mal gewünscht hätte, von den so vielen euphorischen Stimmen in Wissenschaft und Zivilgesellschaft auch mal was darüber zu lesen, warum so vieles nicht geklappt hat und welche Verheißungen nicht eingetreten sind. Das im Blick zu behalten, heißt natürlich nicht, dass wir nicht nach emanzipatorischen Ansatzpunkten in der Krise suchen sollten, dass wir nicht nach historischen Beispielen schauen und nicht auch im Kultursektor die Frage nach der Transformation stellen sollten: Wie kann eine Situation by Desaster etwas anstoßen, das darüber hinausweist, das Räume öffnet? Wenn wir noch mal an die Pendelbewegungen von Polanyi denken: Führt uns die Pandemie vielleicht doch schneller als gedacht in ein post-neoliberales Zeitalter? Was wird die Rolle des Staates nach der Pandemie sein? Werden Privatisierungen im Gesundheitswesen oder die Ausbeutung von Pflegekräften in Zukunft vielleicht nicht mehr ganz so geräuschlos vonstattengehen? Wie können wir aus der Ausnahmesituation der Pandemie lernen und dazu kommen, die Transformation selbst in die Hand zu nehmen?

      wann, wenn nicht jetzt?

      ein zwischenruf von adrienne goehler

      Nachhaltigkeit braucht Entschleunigung braucht Grund ein aus kommen ermöglicht Entschleunigung ermöglicht Nachhaltigkeit1

      Wir befinden uns gegenwärtig nicht in einer ökologischen Krise, im Sinne eines temporären Ausnahmezustands, sondern erleben eine irreversible Mutation des globalen Klimas und der Bewohnbarkeit des Planeten Erde.

      Bruno Latour2

      Into the Great Wide Transformation

      Es hat eine verdammt lange Zeit gebraucht und die immer insistierendere Haltung solch unumstößlicher Autoritäten wie Bruno Latour oder Donna Haraway, bis auch in der Kunst angekommen ist, dass sie ebenfalls auf dem Fundament kolonialer, patriarchaler und ressourcenzerstörender Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise steht und dass es kein Wegducken mehr vor der Schärfe des Klimawandels geben kann. Es muss gehandelt werden. Von allen. Jetzt. Punkt.

      Wir brauchen die Vorstellungskraft der Künste für diese Transformation, ihre „Verweltlichungen“, ein schönes Bild von Donna Haraway, um die menschlichen Beziehungen, Zeit, Arbeits- und Denkweisen als Ressourcen zu sehen, als Modelle für die Zukunft, die schon längst begonnen hat, jenseits der noch eher hermetischen Räume der Selbstvergewisserung der Künste wie Museen und Theater. Die Kunst wird sich auf vielfältige Weise neu sortieren müssen. Sich des großen Koordinatensystems bewusst werden, in dem sie steht, zwischen