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Zusammenhang mit der ökologischen Frage, dann müssen wir doch auch beim Hochhalten der ästhetischen Form fragen: Setzt sich hier ein bürgerliches Kunstverständnis gegenüber den Künstler*innen und Gestalter*innen durch, das einen anderen Anspruch oder eine andere Idee von Kunst verfolgt als diese selbst? Und wessen Kunst grenzt das aus?

      FRIEDRICH VON BORRIES: Diesen Punkt finde ich sehr wichtig, da in der Nachhaltigkeitsdebatte immer wieder die Frage aufkommt, ob Kunst und Kultur nicht die vierte Säule der Nachhaltigkeit sein müssten. Es stimmt ja: Um die Große Transformation zu ermöglichen, brauchen wir auch Kunst und Kultur. Deshalb ist genau diese Frage nach Qualitätskriterien wichtig. Es ist unheimlich schwierig, über Qualitätskriterien von Kunst zu reden. Und dabei fällt mir auf, wie die Kräfteverhältnisse zwischen den Themen der Transformation und der rein fachlandschaftlichen Brille verteilt sind: Einerseits gibt es die Kulturstiftung des Bundes, die Kunstförderprogramme aufsetzt, bei denen man Summen ab 60.000 Euro beantragen darf; andererseits gibt es den Fonds für Nachhaltigkeit, der ebenfalls künstlerische Projekte fördert, da darf man bis 60.000 beantragen. Natürlich geht mit den Geldsummen so etwas wie Durchdringungstiefe einher. Bösartig gesprochen scheint genau da die Grenze zu verlaufen, an der die richtige Kunst erst anfängt.

      SILKE VAN DYK: Wir sollten bei der Diskussion über die Qualität oder Durchdringungstiefe noch mal auf die Seite des Publikums und der Zielgruppen schauen. Wir sprachen angesichts des Transformationspotenzials von Kultur vorhin von der Anschaulichkeit und notwendigen Personalisierung von Geschichten. Daraufhin hatte Friedrich von Borries geantwortet, dass die Schwelle dadurch umgangen werden kann, dass nicht nur Geschichten erzählt werden, die die Leute passiv als reine Rezipient*innen hören, sondern dass Erfahrungsräume erzeugt werden. Da möchte ich widersprechen und darauf hinweisen, dass die Leute ja auch mit selbst gemachten Erfahrungen in Möglichkeitsfiktionen verharren können. So lässt sich bei den Occupy-Bewegungen vor zehn Jahren beobachten, dass äußerst reale Erfahrungen der Partizipation und Gemeinschaft, des Teilens und Konsens-Findens auf den besetzten Plätzen zu einer radikalen gesellschaftlichen Transformationsperspektive hochskaliert wurden, ohne die komplexen Rahmenbedingungen jenseits der Plätze in diese Perspektiven einzubeziehen. Auch die Erzeugung von Erfahrungsräumen schützt so nicht ganz vor Möglichkeitsfiktionen, weil sie dazu einladen können, Praktiken vorschnell zu verallgemeinern.

      FRIEDRICH VON BORRIES: Also, wenn ich mich mit meinen Studierenden, zu denen ich mich in einem hierarchischen Verhältnis befinde, weil ich sie bewerte und sie mich nicht – wenn ich mich mit denen vor einem Seminar zusammensetze und ihnen sage: Ich bin auch ein Lernender, und ich lerne von euch, und wir sind ganz offen, und wir duzen uns miteinander, und es ist alles ganz supipupi, dann ist das die eine Angelegenheit. Wenn ich mit denen am Anfang des Semesters eine Yogastunde mache, wo ich selber Schüler bin, und die sehen: Dieser von Borries kriegt es nicht so gut hin wie ich, aber er bemüht sich auch, und er hat auch Schmerzen, und manches kann er – das hätte ich ja gar nicht gedacht –, und anderes kann er nicht, dann haben sie eine Erfahrung gemacht, die eine andere Angelegenheit ist als das reine Gespräch, in dem ich die flache Hierarchie in einer Kunsthochschule beteuere. Auch wenn es eine Fiktion bleibt und ich am Ende so eine Note geben muss und wir ein Wissensgefälle und einen Hierarchieunterschied behalten, so ist es trotzdem etwas anderes, wenn wir eine physische, sinnliche Erfahrung geteilt haben.

      JONAS ZIPF: Mir als Theatermann fällt es dennoch schwer, das Eine vom Anderen zu unterscheiden. Das Beispiel mit dem Kind und den Krokodilen zeigt doch, dass auch das, was Silke van Dyk Möglichkeitsfiktionen nennt, einen realen Unterschied machen kann. Friedrichs Geschichte ist zunächst nur eine Geschichte und findet innerhalb der Imagination statt, aber dennoch erlebt das Kind mit sich und seiner Angst eine Erfahrung der Veränderung. Zwar keine physische, ko-präsente, immersive Erfahrung, aber eine Selbstwirksamkeitserfahrung. Das ist auch eine Erfahrung. Für mich liegt der Unterschied an einer anderen Stelle, und zwar genau an der eben beschriebenen Schwelle der Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes. Was kommt denn mit der Frage nach dem oberhalb und unterhalb der 60.000 zum Ausdruck? Da gibt es ein elitäres Kunstverständnis auf der einen Ebene und alles das, was es sonst noch so gibt, auf einer anderen. Es gibt den Spielplan und die großen Positionen, und die kosten viel Geld, insbesondere das Musiktheater. Die Transformationsthemen finden im Theater allerdings bislang größtenteils innerhalb einer anderen Kategorie statt. Sie bilden die Peripherie des Spielplans, sind oft abhängig von externen Finanzierungen durch Dritte, dürfen auch gerne mal von einer Freien Gruppe irgendwo im Stadtraum beackert werden. Beliebt ist dabei auch die transdisziplinäre Zusammenarbeit mit Soziolog*innen oder Architekt*innen, aber das Abo-Publikum darf dann weiter Meistersinger auf der großen Bühne sehen, dafür wird das Zehnfache an Ressourcen aufgewandt. Das ganze Feld dazwischen ist doch aber das interessante im Sinne der Transformation. Das ist da, wo auch Publikumstransfer und Erfahrungsaustausch, um den Begriff aufzugreifen, entstehen.

       Ich mach dafür ein Beispiel: In den letzten Jahren habe ich ein einziges Mal so etwas wie Inklusion mit und rund um Theater erlebt. Und das ausgerechnet in Wiesbaden, bei der Wiesbaden Biennale, also leider auch im Rahmen des Ausnahmezustands eines Festivals. Da wurde das Foyer des Theaters in einen realen Rewe-Markt verwandelt, man konnte über eine historisch für die Kutsche von Kaiser Wilhelm gebaute Rampe ein Autokino auf der großen Bühne befahren, in einer anderen Spielstätte des Theaters wurde ein Boxring eingebaut, und umgekehrt sind die künstlerischen Interventionen samt und sonders in den städtischen Raum rausgegangen. Das Theater war inside-out, offen für einen anderen Teil von Menschen. Und die sind auch dagewesen, alle: sowohl die Teile der Bevölkerung, die vorher kaum im Theater gesichtet wurden, als auch die dort üblicherweise anwesenden Zuschauer*innen. Ansonsten erlebe ich im Theater oft den rein verbalisierten Anspruch an genau diesen Austausch. Alle im Theater reden davon, dass sie die bisher nicht zuschauenden Zielgruppen erreichen wollen, aber sie erreichen sie nicht.

      FRIEDRICH VON BORRIES: Total konstruiert. Muss ich jetzt erst mal so als Arbeitshypothese in den Raum stellen. Auch als in Wiesbaden Aufgewachsener sage ich: total konstruiert. Ich glaube ja, dass man mit diesen Widersprüchen leben muss, dass das ein Teil der Transformation ist, von der wir hier sprechen, im Gegensatz zu den Vorgängen einer Revolution oder auch einer Reform. Dass man mit der Gleichzeitigkeit von Unterschiedlichem leben muss und auch, dass das Theater, überhaupt jeder Kunstraum, den Anspruch haben kann, soll, muss, sozial wirksam zu werden. Dabei aber eben einfach trotzdem elitär ist, und bleibt. Diesen Widerspruch muss es, glaube ich, einfach aushalten. Man kann versuchen, zwischendurch mal ein Kinderbuch zu schreiben, und man kann versuchen, zwischendurch mal eine Aktion zu machen, mit der man ganz viele Leute erreicht, die normalerweise nicht ins Theater gehen. Aber worin besteht denn dann eigentlich der Erfolg? Wäre es tatsächlich ein Erfolg, wenn die Meistersinger nicht mehr gespielt werden, oder wäre es erfolgreicher, wenn die Leute, die sonst Deutschland sucht den Superstar gucken, jetzt in die Meistersinger gehen? Erzielt es eine langfristige Wirkung, dass ich jetzt einmal mit meinem Auto die Rampe hochfahren durfte und im Theater ja gar nicht Theater gespielt wurde, sondern, wie du sagtest, sich ein Autokino befand? Wie gesagt: Ich glaube, dass man die beschriebenen Widersprüche nicht auflösen kann. Diese Aktionen werden nicht nachhaltig das Besucherprofil des Wiesbadener Staatstheaters geändert haben; die Maifestspiele werden elitär wie immer bleiben. Diese Gleichzeitigkeit bleibt bestehen: Man muss beharrlich daran arbeiten, dass immer mehr Sachen von der Off-Bühne auch mal ins Große Haus kommen, und diesen Mut weiterhin immer wieder aufbringen, auch wenn sich dadurch das Publikum nicht verändert. So viel zur Inklusion der Stadtgesellschaft im Stadttheater. Was ist aber mit der Inklusion von anderen Wesen? Mein nächstes Seminar nenne ich Postanthropozentrisches Design und stelle darin die Frage, wie z. B. das Theater aussehen soll, das für die Tiere da ist. Und für Steine und für Pflanzen. Ich weiß: Das klingt jetzt erst mal absurd. Aber wenn wir das Mensch-Natur-Verhältnis im Zuge der Großen Transformation wirklich überdenken wollen, wenn wir die bürgerlichen Konventionsherkünfte des Theaters wirklich sprengen wollen, dann müssen wir an diese ganze Anthropozentrik unseres Tuns und Denkens und Handelns ran.

      SILKE VAN DYK: Als Soziologin würde ich auf die Inklusionsfrage gänzlich anders antworten. Vielleicht bin ich noch zu sehr mit der Ungleichheit zwischen Menschen befasst, um bei den Fragen des Anthropozäns anzukommen. Aber beim