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zentralen Frage der Inklusion, nämlich inwiefern klassische Positionen der Inklusion, der Diversität, sich eigentlich für eine Klassenperspektive und für die damit verbundenen Ausschlüsse eignen. Parallel zu den aktuellen Debatten des Rassismus und Sexismus lässt sich eine anhaltende Form von Klassismus konstatieren. Daher würde ich ganz anders fragen als ihr beide: Nicht danach, ob sich neben bildungsbürgerlichen auch Leute aus einem subproletarischen Kontext ins Theater bewegen, sondern danach, wie ihr Zugang zu materiellen und vor allem auch kulturellen Ressourcen grundsätzlich geregelt ist. Es sollte nicht darum gehen, wie wir Arme ins Theater bringen oder Prekäre zu Engagement und Buchlektüre motivieren, sondern wie wir Ausbeutungs-, Diskriminierungs- und Ungleichheitsverhältnisse gemeinsam überwinden – nur so werden Theater- und Kunsträume zu offenen Räumen und nicht zu Räumen, in die die künstlerisch ambitionierten und interessierten Akademiker*innen mit großem Gestus die weniger Privilegierten einladen. Es müssen Räume werden, die wirklich von unterschiedlichen Seiten und Gruppen erschlossen werden können! Soziologisch betrachtet führen viele dieser Zugangsangebote und Aktionen wie in Wiesbaden die nicht klassische Kultur- oder Engagementklientel letztlich vor. Zugespitzt formuliert wird da so ein bisschen ein kleines Treppchen ausgebaut, um sagen zu können: Guck mal, da kannst du jetzt ganz leicht hochgehen und musst auch gar keine Angst haben, und da ist auch ein Geländer und so. Aber die Frage, warum die Person eigentlich normalerweise an der Treppe gar nicht vorbeikommt, tritt in den Hintergrund. Wir müssen stattdessen fragen: Wie können wir Klassenverhältnisse, Ungleichheitsverhältnisse als Inklusionsoder Identitäts- oder Antidiskriminierungskontext thematisieren, ohne dass wir die dahinterstehenden Ausbeutungszusammenhänge de-thematisieren?

      FRIEDRICH VON BORRIES: Ich möchte die Frage provokativ wenden und auf das bestehende Theaterpublikum beziehen. Gerade in Wiesbaden wäre es doch maximal inklusiv, wenn man ganz normal die Meistersinger gespielt hätte, aber pro Karte die 1.000 Euro genommen hätte, die sie nun mal kosten, statt sie mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren – das Große Haus wäre natürlich trotzdem voll gewesen, denn es gibt genug reiche Wiesbadener*innen –, und sich dann überlegen würde, welche Kultur man mit den gesparten Geldern bzw. den neu vereinnahmten Geldern finanzieren kann. Die ehrliche Frage lautet doch: Wer spricht in diesem Land eigentlich wann und aus welchem Grund von einer Inklusionsperspektive?!

      SILKE VAN DYK: Genau. Und: Was wird öffentlich gefördert?

      FRIEDRICH VON BORRIES: Ja. Was würde dann öffentlich gefördert? Für mich klingt Inklusion sonst nur nach der Legitimationskrise einer bürgerlichen Kultur. Eine Krise, die vielleicht dazu führt, neue Formate zu finden, um neue Zielgruppen zu öffnen, die aber nicht kommen, anstatt einfach zu sagen: Lasst uns in Ehre sterben; lasst die Oper das werden, was die chinesische Oper in China ist; da gehen Touristen hin, da zahlt man viel Geld, und das gibt es irgendwie an ein, zwei Orten in China; das reicht. Warum muss jede Großstadt in Deutschland eine Oper haben, mit einem klassischen Opernprogramm, zu dem ein Publikum mit einer Altersstruktur von 60+ und einer Einkommensstruktur von 60.000+ hingeht, höchstens ergänzt um ein paar Jugendliche mit bildungsbürgerlichem Hintergrund oder mit Aufstiegsphantasmen, die denken, dass sie über kulturelles Kapital zustande kommen. Warum denkt man die Sache nicht so? Aber das traut sich keiner! Das Gleiche gilt für die Museen, die zwar ebenfalls Bildungsprogramme machen und sich zu öffnen versuchen, im Grunde aber auf Tonnen von Sachen sitzen, die keiner mehr sehen will, die auch völlig irrelevant geworden sind. Zumindest braucht man diese Sachen nicht in jeder zweiten Stadt. Wenn ich griechische Antike sehen will, geh ich doch nicht ins städtische Museum, wo ein paar Vasen und Scherben rumstehen, sondern fahre nach Athen, das reicht mir ein Mal im Leben, ich brauche das nicht ein Mal in der Woche. Lasst uns doch mit dem Geld, mit dem Raum, mit den Werten was anderes machen.

      JONAS ZIPF: Diese Provokation trifft. Sie markiert genau den Punkt, warum ich das Theater vor einigen Jahren verlassen habe und eine breitere Verantwortung gesucht habe. Heute bin ich nicht mehr Teil einer Künstlerischen Theaterleitung, sondern Kulturverantwortlicher einer Stadt. Und zwar einer Stadt, die keine Oper hat, auch kein wirklich großes hochkulturelles Behältnis – einer Stadt, die für sich ziemlich dezidiert entschieden hat, dass 40 Prozent des kommunalen Kulturetats in kulturelle Bildung fließt. Denn letztlich wird die Forderung, die du aufmachst seit der sogenannten Neuen Kulturpolitik der 1970er-Jahre, seit Konzepten wie Hilmar Hoffmanns „Kultur für alle“ diskutiert. Im Kulturinfarkt steht diese Forderung vor zehn Jahren eins zu eins genauso drin. In den Jahrzehnten dazwischen wurde die kulturelle Bildung, die Kunst- und Theaterpädagogik, Programme der Education, des Outreach etc. additiv aufgebaut. Jetzt haben wir hier in Jena 40 Prozent Mittel für kulturelle Bildung und erreichen mit diesen Mitteln im Großen und Ganzen trotz fortgesetzter Anstrengungen an allen möglichen Ecken und Enden trotzdem wieder mehr Spitze als Breite. Teilweise ist die kulturelle Bildung dann eine verkappte Elitenförderung. Das Plus an Geld beispielsweise in einer Musikschule geht eben nicht nur in die aufsuchende Arbeit, in Schulkooperationen in Problemvierteln, sondern an die Professorentöchter, die Klavier lernen und Wettbewerbe gewinnen – beispielsweise in einer Volkshochschule nicht nur in Sprachkurse zur Integration von Geflüchteten, sondern auch in Kochkurse für Oberstudienräte. Und leider zahlen die Leute für beide Angebote dieselbe demokratisch vom Stadtrat legitimierte Gebühr. Unter dem Strich lautet die kulturpolitische Aufgabe im Sinne der Inklusion doch aber immer: Wie können wir die Bedürfnisse der gesamten Stadtbevölkerung in einer gerechten Art und Weise abbilden? Von daher trifft die Provokation ins Ziel: Alle Bedürfnisse und Angebote sind legitim, es stellt sich aber die Frage der Zugänge – da gehört die Preispolitik zentral dazu – und der Quantität.

       Von daher möchte ich in einer Schlusskurve den Appell von Friedrich mit der Postwachstums- und Degrowth-Thematik verbinden und euch beide fragen, was ihr den Theatermacher*innen empfehlt. Transformation heißt Verwandlung: Das Neue entsteht nicht, ohne etwas Altes zu lassen, sonst würde es weiteres Wachstum bedeuten. Davon können Theatermacher*innen ein leidvolles Lied singen. Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Inklusion gehen nicht einfach zusätzlich, oben drauf, oder an der Peripherie eines fortbestehenden Kernbetriebs. Diese überragenden Themen lassen sich nicht einfach im Rahmen einer zusätzlichen Arbeitsgruppe oder Klausurtagung weiter vor sich herschieben. Wie schaffen die Theatermacher*innen diesen fundamentalen Switch ihres Mindsets? Was empfehlt ihr ihnen?

      SILKE VAN DYK: Wir diskutieren tatsächlich auf unterschiedlichen Ebenen. Eine Empfehlung an den Kulturbetrieb geht eben weiterhin vom bestehenden Kulturbetrieb aus und nicht von der Klassenperspektive, die ich aufgemacht habe. Solche Empfehlungen führen zwangsläufig zu symbolischen Angeboten an „die da unten“: Dann sind „wir da oben“ bereit, „die“ an unserer bürgerlichen Kultur zu beteiligen und machen manchmal unser Theater zu einem Rewe-Markt oder so, damit wir beweisen können, dass unser Angebot auch gelingen kann. Dabei bleibt aber die eigentlich substanzielle Frage an bürgerliche Kultur nach Qualitätsmaßstäben und auch nach Angebotsquantitäten trotzdem genauso bestehen: Warum werden Boulevardtheater oder Musicals nicht subventioniert, die Oper aber schon? Oder umgekehrt: Kann man diese Bereiche – die Meistersinger, das MKG – ohne eine radikal andere Klassenpolitik inkludieren? Ohne dass die Zugänge einfach nur regressive, symbolische Handreichungen sind, die letztlich sogar die zugleich weiter bestehenden Klassenverhältnisse noch verfestigen?!

      JONAS ZIPF: Danke für die Spiegelung. Lässt sich diese systemische Betriebsblindheit auch auf die anderen beiden Transformationen der Nachhaltigkeit und der Digitalisierung übertragen? Ist es auch da so, dass wir Kultur- und Theaterschaffenden im Grunde wie der beleidigte Thomas Gottschalk dasitzen und uns wundern, dass wir immer noch das samstäglich wärmende Lagerfeuer der Wetten-Dass-Sendung ausstrahlen, aber immer weniger Menschen kommen? Dass es eben nicht reicht, die Saalwette und den Wettkönig zu reformieren, sondern sich die ganze Senderstruktur transformieren muss? Im Kontext der Nachhaltigkeit gibt es ja erste Gedanken in die radikale Richtung, die Friedrich vorhin in den Raum gestellt hat: Frank Raddatz, Bruno Latour oder Thomas Oberender fordern ein neues Theater des Anthropozäns, ein Theater, das sich die Natur zurückerobert. Im Kontext der Digitalisierung sprechen wir nicht nur über neue Theater-Digitalformate, die in diesem Jahr beispielsweise schon einen substanziellen Teil des Berliner Theatertreffens ausmachen, sondern über eine Neu-Formatierung der