Bakterien dazu, bestimmte Chemikalien aus Biomasse zu erzeugen. Bauer Webers Stroh eignet sich hervorragend als Futter. Unsere Bakterien ersetzen also eine ganze chemische Fabrik.«
»Das hört sich so einfach an.«
»Ganz so einfach ist es schon nicht. Immerhin tüfteln wir schon fünf Jahre daran, und während meiner Doktorarbeit habe ich auch nichts anderes getan. Anfangs wollten die Viecher partout nur in teurem Traubenzucker gedeihen.«
Die Bemerkung rang dem Prior ein Schmunzeln ab.
»Riesling-Sylvaner, vermute ich.«
»So ungefähr.«
»Und jetzt habt ihr die Einzeller umerzogen?«
»Genau das haben wir getan. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald eine stabile Population gezüchtet haben, Pater. Vielleicht sieht man es mir nicht an, aber ich bin richtig glücklich.«
»Man sieht es«, beruhigte er lächelnd, »andererseits hattest du schon immer ein sonniges Gemüt. Dafür beneide ich dich.«
Sie ließ den Blick durchs Arbeitszimmer des Priors gleiten. Wie oft hatte sie schon hier gesessen, das große, schwere Kruzifix vor Augen, das zu ihm gehörte wie die Kutte und die Brille mit dickem, schwarzem Rand? Auch dieser Raum veränderte sich nie. Pater Raphael besaß empfindliche Antennen. Ihm entging nicht, dass sie noch etwas loswerden wollte. Lächelnd forderte er sie auf, zu sprechen.
»Ich habe von Bauer Weber erfahren, dass die NAPHTAG Land vom Kloster kaufen will. Er ist sehr beunruhigt.«
Der Prior nickte nachdenklich. »Das kann ich verstehen. Er hängt am Klostergut wie wir alle.«
»Ehrlich gesagt, mache ich mir auch große Sorgen«, fügte sie hinzu.
»Du? Warum solltest du dir Sorgen machen?«
Sie wiederholte die Argumente, die sie schon beim Gutsverwalter vorgebracht hatte. Ähnliches musste Pater Raphael auch durch den Kopf gegangen sein. Er zeigte sich nicht überrascht, dachte aber lange nach, bevor er antwortete:
»Noch ist nichts entschieden.« Nach einer weiteren Pause ergänzte er: »Manchmal lässt einem der Herr nur die Wahl zwischen zwei Übeln.«
»Tun Sie es nicht. Verkaufen Sie nicht an die NAPHTAG, Pater. Ich weiß, es hört sich kindisch an, aber ich kann es nicht anders ausdrücken: Dieser Konzern ist böse. Die NAPHTAG kann sich die besten Anwälte leisten, dass Sie am Ende mit allen Konsequenzen leben müssen, selbst wenn das Fracking Unternehmen Ihr ganzes Grundwasser verseucht.«
»Übertreibst du jetzt nicht ein wenig, Maria?«
Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Wir haben mit unserer Firma erlebt, wozu die NAPHTAG fähig ist. Wir haben bei verschiedenen Banken wegen des geplanten Börsengangs angefragt. Anfänglich erhielten wir attraktive Angebote, doch nach kurzer Zeit verabschiedete sich eine Bank nach der andern. Aus technischen Gründen, wie sie behaupteten. Ein paar ehrliche Banker haben uns den wahren Grund genannt. Die NAPHTAG hat gedroht, ihre Bankbeziehung zu beenden, falls sie weiterhin mit uns zusammenarbeiten.«
Der Pater starrte sie ungläubig an. »Warum sollten die so etwas Verwerfliches tun?«
»Weil sie sich bedroht fühlen, noch bevor wir unsere Forschungsergebnisse veröffentlichen. Der NAPHTAG Konzern will jede Konkurrenz im Keim ersticken. Eines Tages wird unsere ›grüne‹ Chemie große Teile der petrochemischen Industrie ersetzen. Davor haben sie panische Angst. Darum treiben sie dieses Fracking Projekt mit allen Mitteln voran, um Fakten zu schaffen und nachhaltige Alternativen wie unsere gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ich fürchte, dazu ist dem Konzern jedes Mittel recht.«
Sie war verstimmt, zornig. Pater Raphael kannte seine Maria so nicht. Jedenfalls ließ sie einen ziemlich verwirrten Prior im Kloster zurück, als sie sich auf den Heimweg machte.
KONSTANZ
Die Studentin sah die chemische Formel, die wie ein fettes Logo auf Felix Buchmachers Arbeitsmappe prangte.
»C4H6O4 – was ist an diesem Molekül so spannend?«, fragte sie provozierend.
»Was wissen Sie über Plattformchemikalien?«, fragte Felix zurück.
»So nennt man Basischemikalien, aus denen viele andere, komplexere Stoffe synthetisiert werden.«
»Das haben Sie schön auswendig gelernt«, sagte er lachend.
Er schob die Probe aus dem Labor in Wollmatingen ins NMR-Impulsspektrometer und schaltete das Gerät ein. Die Start-up Firma war zu klein und sparsam, um sich ein solches Instrument leisten zu können. Deshalb verbrachte er manche Stunde unter Studenten im Chemiegebäude der Uni – und in der Cafeteria. Er deutete auf die Formel und ergänzte:
»Bernsteinsäure ist so eine Basischemikalie. Man verwendet sie zum Beispiel zur Herstellung von Polyester. Lösungsmittel und Weichmacher für Kunststoffe werden daraus produziert. Sogar die Parfümindustrie braucht dieses Molekül.«
Die Studentin zeigte sich unbeeindruckt.
»Und jetzt wollen Sie die Struktur dieses einfachen Moleküls bestimmen?«, fragte sie mit einem ironischen Blick aufs Spektrometer.
Er schüttelte lachend den Kopf. »Die könnte ich im ›Beyer‹ nachschlagen. Nein, junge Dame, was das Instrument gerade analysiert, bleibt mein Geheimnis.«
»Na dann viel Erfolg.«
»Danke, werde ich haben«, murmelte er, während sie zur Tür hinaus rauschte.
Von hinten erinnerte sie entfernt an die Süße mit den Fransen, die ihm in der Cafeteria verstohlene Blicke zugeworfen hatte, wie er glaubte. Er wandte sich mit einem leisen Seufzer wieder dem Computerbildschirm zu, auf dem er den Fortschritt der Analyse kontrollieren konnte. Die Probe im Spektrometer gehörte tatsächlich zum bestgehüteten Betriebsgeheimnis der ›Herzog Green Chemicals‹. An der Struktur dieses Enzyms entschied sich, ob ihre junge Firma eine Zukunft hatte oder nicht. Das Molekül mit dem komplexen räumlichen Aufbau wirkte als Katalysator bei der Herstellung von Bernsteinsäure aus Stroh und anderen Zelluloseabfällen durch die eigens zu diesem Zweck programmierten Bakterien. Ohne Katalysator würde der Traum einer ›weißen Biotechnologie‹ nicht in Erfüllung gehen. Trotz unsicherer Rohstoffversorgung und schwankender Preise bliebe die klassische Herstellung von Basischemikalien und Kunststoffen durch petrochemische Verfahren attraktiver. Nachwachsende Rohstoffe statt Erdöl und Erdgas würden auf absehbare Zeit eine unbedeutende Randerscheinung bleiben. Das Molekül in diesem Spektrometer war die Zukunft – sofern die räumliche Struktur bis in alle Einzelheiten stimmte.
Er blickte auf die Uhr: halb eins. Die Analyse würde eine weitere Stunde in Anspruch nehmen. Er schaltete die Bildschirmanzeige aus und klebte Zettel an Computer und Spektrometer: Besetzt bis 15:00 Uhr, Dr. F. Buchmacher, dann verließ er das Labor. Der Zeitpunkt war günstig. Er schätzte die Chance auf über fünfzig Prozent, die blonden Fransen in der Cafeteria anzutreffen.
Er knabberte unruhig an einem Käsesandwich, dessen Semmel von letzter Woche stammte. Hin und wieder schlürfte er kalten Kaffee aus einem Pappbecher, um nicht zu ersticken. Er benutzte die traurigen Relikte nur als Tarnung, damit er nicht auffiel, während er das Uni Volk beobachtete. Sie ließ sich Zeit. Eine halbe Stunde verstrich ohne Fransen. Er nippte am leeren Kaffeebecher, unschlüssig, ob er diskret nach ihr fragen sollte. Erst als dieser verwegene Gedanke zwischen all den gefalteten Eiweißen in seinem Gehirn auftauchte, stellte er fest, dass er nichts über sie wusste, gar nichts. Außer dem liebenswürdigen Gesicht mit den Fransen gab es nichts, womit er sie hätte beschreiben können. War sie eine Studentin? Arbeitete sie in der Verwaltung? Wie hieß sie? Wie alt war sie? War sie schon vergeben? Fragen über Fragen und keine Antworten. Er kaute weiter an seinem Pappbecher und wartete.
Eine kleine Gruppe Studenten, zwei Männer, zwei Frauen, setzte sich eifrig diskutierend an einen Tisch am Fenster. Einer sprach ein Dezibel lauter als die andern. Felix verstand nur das Wort »Demo«, passend zu dem Typen im grünen T-Shirt, das lose an ihm flatterte, als wäre er nach dem Kauf vor Jahren in Hungerstreik getreten. Der Vortrag des