Hansjörg Anderegg

Station 9


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war wie in einer Kuh. Die Straßenlaterne diente seit Jahren nur noch den Hunden und Besoffenen als Pissoir und Orientierungshilfe, dass es da links zum Grantler Toni ging. Tonis Wirtsstube war eine der wenigen übrig gebliebenen Beisln im Grätzl, wo es sonst nur noch Wettcafés, Handyläden und Kebabs gab, die den Namen Würstelstand nicht verdienten.

      Als er eintrat, hatte er einen Entschluss gefasst. Heute würde er eine Runde schmeißen. Es war an der Zeit, Großzügigkeit zu zeigen. Es spielte keine Rolle mehr, dass er im Grunde nur den Zlatko mochte. Seinem Bruder Mirko hingegen traute er nicht. Ohne Zlatko wäre er nie mit denen ins Geschäft gekommen. Die beiden saßen am Stammtisch. Einer fehlte noch.

      »Wo ist der Bubi?«, fragte er ohne sonderliches Interesse statt eines Grußes.

      »Beim Rennen, wo sonst«, brummte Zlatko.

      »Was hockt der dauernd im Wettcafé herum, statt sich um seine Damen zu kümmern?«

      Die Mizzi tat ihm leid. Seit das ganze Viertel Verbotszone war, gab es keine Möglichkeit mehr, legal auf der Straße anzuschaffen. Woher sollten die Freier wissen, dass über der Eisdiele so ein heißer Feger wie die Mizzi auf Kunden wartete? Sie war nicht allein mit diesem Problem. Die lieben Nachbarn wollten ihre Ruhe haben. Seither waren die Damen gezwungen, illegal anzuschaffen, immer mit den Kieberern im Nacken. Nicht, dass er sich selbst groß um die Gesetze gekümmert hätte, aber wenn der Schaas wie hier sogar durchgesetzt wurde, kamen Jobs in Gefahr. Da hörte der Spaß auf. Es war echt kein Leben mehr für die Mizzi. Bubi Vesely sollte sich viel mehr um sie und vor allem um Kundschaft bemühen. Bei solchen Zuständen konnte man direkt selbst zum Strizzi werden, dachte er. Sein Bier stand schon auf dem Tisch, als er sich setzte.

      »Danke, Toni.«

      Der Wirt blickte ihn zornig an und knurrte:

      »Dein Fassl ist jetzt lala, nur noch Luft drin, verstehst?«

      Ferdl zog grinsend Horvaths zweitletzten Hunderter aus der Tasche.

      »Und jetzt?«

      So schnell hatte er noch nie einen Geldschein verschwinden sehen.

      »He! Dafür geht heute alles auf mich. Und her mit den Stamperln. Auch eins für den Bubi.«

      Der Strizzi fiel eben mit der Tür ins Haus.

      »Burschen, das glaubt’s jetzt nicht!«, rief er aus, kaum saß er am Tisch.

      »Sag nicht, du hast gewonnen«, staunte Mirko, der manchmal zum Strizzi aufschaute, als wäre er Bubi Scholz persönlich.

      »Eh nicht, die bescheißen dich doch, wo sie können.«

      »Warum tust du‘s denn?«, wunderte sich Ferdl.

      »Schon mal was von Investitionen gehört? Ist wahrscheinlich nichts für einen wie dich. Da brauchst du langfristiges Denken, verstehst?«

      »Ehrlich gesagt nein. Ich dachte immer, verluderte Marie eigne sich nicht zum lnvestieren.«

      Bubi wischte die zwingend logische Bemerkung mit einer Handbewegung ärgerlich vom Tisch.

      »Du kapierst rein gar nix, Ferdl. Ich sage nur: Negativzins! Aber ich wollte über etwas ganz anderes reden. Hörts her.«

      Wie immer, wenn die Sitzung vertraulich wurde, hielten alle die Köpfe über dem Tisch zusammen. Es war gleichzeitig das Zeichen für Toni, mit den Schnäpsen zu warten. Bubis gedämpfte Stimme war kaum zu vernehmen im Lärm des fast vollen Beisls.

      »Ich habe da einen ganz großen Fisch am Haken. Der bringt mindestens das Zehnfache vom Baumarkt.«

      »Ja klar, und du kassierst endlich den Fünfer Häfn, wenn was schiefläuft«, warf Ferdl ein. »Bubi Vesely ist auf Bewährung, vergiss das nicht.«

      »Was soll schiefgehen? Hör doch einfach zu, statt zu raunzen.«

      Bubis Plan war erstaunlich O. K., musste er zugeben. Die ganze Lieferung Spielkonsolen und Computer der neusten Generation einfach umleiten – eigentlich genial. Aber bei so viel Geld musste es einen Haken geben, darum schüttelte er entschieden den Kopf.

      »Ohne mich. Das ist mir zu heiß und überhaupt – ich muss jetzt Prioritäten setzen.«

      »Prioritäten!«, brauste der Strizzi auf, »was für ein Schaas ist das jetzt wieder?«

      »Ich glaube, der Ferdl beginnt gerade ein neues Leben«, spottete Zlatko und winkte endlich die Schnäpse herbei.

      »Wisst ihr, ich werde jetzt meine Verantwortung wahrnehmen. Der Kleine hat eine ganz große Zukunft vor sich, müsst ihr wissen.«

      »Dein Lorenz ist von der Schule geflogen«, brummte Bubi.

      »Wie du, aber im Gegensatz zu dir kann er was und zwar verdammt gut. Darum muss ich mich jetzt kümmern. Burschen, ich glaube, ihr müsst einen andern Fahrer suchen.«

      Bubi durchbohrte ihn lange mit seinen Blicken, bis er sich an die Brüder wandte.

      »Glaubt der Herr Gruber, er sei der Einzige am Tisch mit Verantwortung? Bin ich etwa nicht verantwortlich für die Mizzi und die Svenja und die Petra?«

      »Genau«, stimmte Mirko zu, heftig in Richtung Ferdl nickend.

      Bubi erinnerte sich, dass er mit am Tisch saß, und fragte ihn direkt:

      »Was glaubst, warum ich so scharf bin auf diesen Deal?«

      »Geld?«

      »Genau, jetzt hat er verstanden, der Herr Gruber. Ich habe nämlich Großes vor mit meinen Strichkatzerln, weil ich eben auch eine Verantwortung wahrnehme, Herr Gruber.«

      Damit hatte er nicht gerechnet. Der Strizzi schmiedete Pläne für seine Damen, ganz was Neues. Auf seine verblüffte Frage antwortete Bubi mit einem Rätsel:

      »Soschel Meedia, verstehst?«

      Er brauchte eine Sekunde oder zwei, um zu begreifen, so ungewohnt waren Wörter wie diese aus seinem Mund.

      »Du meinst das moderne Internet Zeug? Was hat das mit der Mizzi zu tun?«

      »Frag sie doch selbst.« Er zeigte seine fünfzig Zähne, das Zeichen, dass jetzt ein ganz cooler Spruch fällig war. »Aber nur gegen Barzahlung«, fügte er zu Mirkos großer Freude an.

      Allmählich ermüdete ihn die Unterhaltung.

      »Ich habe noch immer bezahlt«, murmelte er eingeschnappt.

      »Also, was ist jetzt? Du kannst uns nicht hängen lassen«, drängte Zlatko.

      »Wie viel liegt drin?«

      Bubis Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

      »Zehn Riesen für jeden – mindestens.«

      Die Brüder stießen einen kollektiven Fluch aus, und er musste zugeben: Die runde Zehn hatte schon etwas für sich. Vielleicht konnte man ja das eine tun, ohne das andere zu lassen. Alle Augen richteten sich auf ihn.

      »O. K., ich überleg‘s mir«, sagte er, um die Spannung zu lösen, »aber jetzt stoßen wir erst einmal auf die Zukunft des kleinen Lorenz an.«

      Zwei Bier und zwei Schnäpse später betrat er Mizzis Wohnung.

      »Was darf‘s denn heute sein?«, fragte sie schnippisch.

      »Nicht, was du denkst. Ich brauche deinen Rat.«

      »Du willst labern? Mir soll‘s recht sein.«

      Sie streckte die Hand aus. Er gab ihr den Schein. Ordnung musste sein, vor allem jetzt, da das Geschäft harzte.

      »Sag mal, habe ich den Bubi richtig verstanden? Der will was auf dem Internet aufziehen?«

      Sie lachte laut heraus. »Hat er das behauptet?«

      Er nickte. »Im vollen Ernst. Social Media hat er erwähnt.«

      »Der Bubi weiß doch nicht einmal, wie man das ausspricht. Abgesehen davon könnte ich gute Werbung schon brauchen. Lorenz