kommt es, dass du so gut Deutsch sprichst?«, fragte sie Mona.
»Ich habe mehrere Jahre hier studiert.«
»In Wien?«
Sie nickte. »An der MedUni.«
»Wie ich«, fügte Nick lächelnd an. »Da ist sie mir aufgefallen.«
»Kein Wunder«, murmelte Chris.
»Die medizinische Universität Wien ist die größte Medical School der Welt«, dozierte Jamie.
»Danke Herr Professor.«
Obwohl sie sich brennend für die Geschichte der rätselhaften Mona interessierte, konzentrierte sie sich auf Nick. Déformation professionnelle. Er war nicht zufällig Opfer einer Geiselnahme geworden. Was sollte er beichten? Sie begann das Verhör mit einer unverfänglichen Frage.
»Wie hast du Jamie überhaupt kennengelernt?«
»Jetzt wird es delikat«, antwortete Nick nach einem tiefen Blick ins Glas. Und zu Jamie gewandt: »Was denkst du?«
Jamie schüttelte den Kopf. »Das willst du nicht wissen.«
Erst nach massivem Protest, unterstützt von Mona, erfuhr sie die erschütternde Wahrheit. Beide arbeiteten damals in Cambridge am selben Forschungsprogramm, und der gute Jamie bemerkte offenbar fast zu spät, dass Nick ein Auge auf ihn geworfen hatte.
»Ich glaubte wirklich, du wärst auch schwul«, sagte Nick lachend, »habe mir große Hoffnungen gemacht.«
Mona tätschelte ihm beruhigend die Hand. »Du Ärmster.«
Chris staunte. »Und deswegen seid ihr Freunde geworden?«
Jamies Blick wanderte weit in die Vergangenheit zurück.
»Nicht deswegen …«
»Sondern?«
Nick grinste, während Jamie verlegen die Achseln zuckte.
»Lasst es raus, Jungs«, drängte Mona.
Nick seufzte. »Sagen wir es so: Ich habe aus Mitleid beide Augen zugedrückt.«
»Ich war verwirrt, verdammt«, protestierte Jamie, »hatte einfach keine Zeit, die Messreihe zu wiederholen.«
Chris fuhr auf. »Du hast Forschungsergebnisse gefälscht?«
»Richtiggestellt.«
»Man foltert die Zahlen, bis die Statistik stimmt, richtig? So einen habe ich also geheiratet!«
»Das verstehst du nicht.«
»Was gibt es denn da zu verstehen? Bist du überhaupt ein richtiger Doktor, Jamie Roberts?«
»Damals hatte ich den Titel schon.«
»Dann ist ja alles gut.«
»Ich konnte ihn einfach nicht in die Pfanne hauen, den netten Jamie«, seufzte Nick mit schmachtendem Blick.
»Ja, ja, die Liebe …«, sinnierte Mona, indem sie Chris fixierte.
Das wird heute nichts mehr, dachte sie. Sie war nicht im Dienst, konnte Nick nicht einfach vorladen, um hinter sein Geheimnis zu kommen, seine dunkle Seite, die der Geiselnehmer zweifellos gekannt hatte. Die zweitbeste Lösung war Mona, die zumindest Nicks Arbeit gut kannte. Ein Gespräch unter Frauen, getarnt als Shopping-Orgie. Was konnte schon schiefgehen?
Der Samstag verlief etwas anders, als sie sich vorgestellt hatte. Sie kehrte mit einer Einkaufstüte voll schöner und vollkommen unnützer Dinge ins Hotel zurück, ohne das Geringste über Nicks Geheimnis erfahren zu haben. Die Stimmung hellte sich etwas auf, als sie das neue Mundstück für ihr Altsaxofon aus der Tasche zog. Ganz umsonst war sie nicht kreuz und quer durch die Altstadt geirrt.
»Ein Prachtexemplar«, sagte Jamie, »aber hast du nicht schon zwei oder drei?«
Er zog sich um für den Männerabend mit seinem fast vergessenen Freund Nick.
»Dieses Teil ist speziell für einsame Stunden gedacht, melancholische Molltöne und die Bluestonleiter, wenn du verstehst, was ich meine.«
Er nahm sie in die Arme. »Ich verstehe dich sehr gut, Liebes. Noch diesen einen Abend, dann gibt es nur noch uns zwei.«
»Versprochen?«
»Bei all meinen Pfannen.«
Er würde sich noch wundern. Jedes Wort aus Nicks Mund würde sie aus ihm herausholen. Jahrelange Übung im BKA half ihr bei solchen Aktionen. Er ging. Sie stand allein im fremden Hotelzimmer vor einem leeren Abend. So durfte der Tag nicht enden. Nach kurzem Zögern rief sie Mona an.
»Lust auf einen Kaffee?«
»Langweilst du dich ohne Jamie?«
»Nein, ich will es ihm heimzahlen.«
Die Antwort sorgte für Heiterkeit am andern Ende der Leitung.
»Gut so, was die Männer können, schaffen wir auch. Ich weiß genau das Richtige für uns.«
Eine Stunde später stieg sie an der Grinzinger Schleife aus dem 38er, fast zwanzig Minuten vor der vereinbarten Zeit. Sie mischte sich unters Volk, das zum Heurigen in die Gassen strömte. Ohne Absicht schlenderte sie in eine ruhigere Gegend. Sie wollte schon umkehren, da schnellte ihr Puls schlagartig in die Höhe beim Blick in eine Nebenstraße. Mona? Die Figur stimmte, die Art, wie sie sich bewegte, nur das Kopftuch wirkte fremd. Sie glaubte, Monas Parfüm riechen zu können.
Neugierig folgte sie der Frau bis zum Friedhof. An einer Wegkreuzung unweit Gustav Mahlers Grab verlor sie sie.
»Das gibt‘s nicht«, murmelte sie verblüfft.
Der Grinzinger Friedhof war nicht gerade der Zentralfriedhof. Wahrscheinlich hatte sie sich sowieso geirrt. Auf dem Rückweg tauchte die Frau plötzlich wieder auf, als hätte sie sich hinter dem pompösen Grabmal versteckt, das einem kleinen Mausoleum glich. Chris konnte sich im letzten Moment ins Gebüsch retten. Es war Mona, die an ihr vorbei zum Ausgang eilte, kein Zweifel.
Die Inschrift auf dem weißen Marmor sagte ihr nichts. Kopfschüttelnd wandte sie sich ab, als ihr ein bescheidenes Grab unmittelbar neben dem Marmortempel auffiel. Es schien zum Ensemble zu gehören, als dürfte hier der Stalljunge bei der Herrschaft ruhen. Frische Rosen schmückten dieses beinahe unsichtbare Grab. Neugierig versuchte sie, die Zeichen auf dem Grabstein zu entziffern. Sie konnte nur die Jahreszahl des Todesdatums lesen. Die Schrift mutete Arabisch an. Ein Mitglied aus Monas iranischer Familie? Nach ihrer Bemerkung zum Islam war es durchaus möglich, dass so jemand auf diesem Friedhof lag. Seltsam fand sie es trotzdem.
Fast zehn Minuten zu spät kehrte sie zum Treffpunkt zurück. Mona schloss sie freudig in die Arme und küsste sie, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen.
»Ich machte mir schon große Sorgen, Chris.«
»Entschuldige, Pünktlichkeit ist nicht so mein Ding«, log sie.
Das Kopftuch war verschwunden. Die aufgekratzte, unternehmungslustige Mona vom Vorabend stand vor ihr.
»Ready? Los geht‘s! Fünf Minuten zu Fuß.«
Keine Frage, sie kannte sich aus in Grinzing. Die ›Feuerwehr‹ war ein Heuriger wie viele andere hier, nur vielleicht noch etwas populärer. Die Gäste standen jedenfalls schon am frühen Abend Schlange am Büfett. Der neue Muskateller erinnerte entfernt an den Sauvignon Blanc vom Vorabend, floss aber um einiges schneller durch die Kehle, vor allem durch Monas Kehle. Chris versuchte, mit Konversation gegenzusteuern und sie wenigstens zum Verzehr eines Weinbeißers anzuregen.
»Ihr führt also eine lukrative Klinik in Luzern«, begann sie. »Busen, Po, nehme ich an?«
Mona stellte das Glas ab. »Sehe ich aus, als hätte ich das nötig?«
»Du nicht, aber deine Patientinnen.«
Dabei betrachtete sie sich selbst mit prüfendem Blick. Mona spielte mit.
»Darf