Viele von ihnen sind vor ein paar Jahren noch mit Karawanen gezogen und haben sich nun umgestellt. Nicht wenig verlangen die Lastautobesitzer von ihren Fahrern. Bis zu sechzehn Stunden sitzen sie täglich am Lenkrad der schweren Lastwagen und nicht selten muss ihnen Essopium über die Anfälle schwerster Müdigkeit hinweghelfen. Dafür schlafen sie dann in den Karawansereien wie die Toten, meist neben ihren Wagen. Nie aber vergessen sie, die Federn des Autos zu entlasten. Es wird hochgebockt, sodass die Federn frei und unbeschwert sind und sich von des Tages harter Mühe auf persischen Straßen erholen können. Natürlich ist diese Arbeit höchst umständlich, aber man musste früher ja auch allmorgendlich die Kamele von ihren Lasten befreien, nachdem sie einen langen Marsch durch die nächtliche Wüste hinter sich hatten. Genauso sorgt man heute für das Auto. Es wäre freilich nicht notwendig, wenn die Wagen nicht so sinnlos überlastet würden. Zweitonner schleppen das Doppelte! Dadurch biegen sich die Federn derart durch, dass die Räder oft an den Kotblechen anstreifen. Kein Wunder, dass die gemarterten Federn nach Entlastung schreien.
Persischer Empfehlungsbrief, ausgestellt von der iranischen Gesandtschaft in Bagdad, geschrieben mit persischer Schreibmaschine
Dichterworte und dichter Staub
Das Grabmal des Dichters • Ein Kleinod hinter Lehmmauern •
Nächtlicher Sandsturm und eine Reifenpanne • Gastmahl in Nischapur •
Persischer Knigge
»Viele gingen schon den letzten Gang, den schweren,
zurück kam keiner, Wahrheit uns zu lehren.
Hüt dich in dieser Herberg Welt vor dem Begehren,
lass nichts zurück, nie wirst du wiederkehren.«
Aus weiter Ferne schon sahen wir im Dunst der Wüste die Kuppel jenes Bauwerks bläulich schimmern, das dem Besucher diesen Spruch mahnend entgegenhält. Es ist das Grabmal Omar Chajjams, das für mich am schönsten und vollkommensten alles verkörpert, was man sich unter »orientalischem Zauber« nur irgend vorstellen kann. Chaj-jam heißt »Zeltmacher«. Dieser Beiname muss sich auf ein sehr frühes Stadium seines Lebens beziehen, denn später wurde Omar Astrologe, Weiser und vor allem Schöpfer einer blühenden Fülle lyrischer Strophen, die immer noch im persischen Volk lebendig sind und nicht nur für dieses Volk, sondern für alle Menschen eine verständliche, zu Herzen gehende Sprache sprechen.
Seinem großen Sohn hat Persien im 14. Jahrhundert, etwa dreihundert Jahre nach seinem Tod, eine unvergleichliche Gedenkstätte geschaffen. Wir fahren an einer unscheinbaren, aus Lehmziegeln bestehenden Mauer entlang und niemand würde vermuten, welches Kleinod sich dahinter verbirgt. Aber schon das geschmiedete Gittertor, das den ersten Blick in das Innere eines lieblichen Gartens freigibt, ist ein vollendetes Kunstwerk. Es öffnet sich, fünfzig Meter trennen uns von der Hauptfassade des Grabmals und dieser fünfzig Meter lange Weg ist umrahmt von Blumenbeeten in den leuchtendsten Farben, Rosen, Narzissen, Zyklamen, tief goldgelben Dotterblumen, Stiefmütterchen und viele andere Arten, deren Namen mir so fremd sind wie die Blumen selbst. Die Beete formen Ornamente, arabische Schriftzeichen, den Baum des Lebens und in ihrer Mitte spielen Goldfische in einem blau glasierten Wasserbecken. Dieses einzigartige Blau wiederholt sich hundertfach am Bauwerk selbst, das Portal ist ganz aus blau glasierten Kacheln mit Arabesken, Blüten und Blumenmustern, blaue Säulchen teilen die Doppelfenster der beiden Fensterreihen oben und unten und über dem Bau schwebt zierlich und elegant geschwungen die Kuppel, ebenfalls aus glasierten Kacheln. Sie überdacht den großen Hauptraum, dessen Mauern mit Verzierungen aller Art übersät sind, Einlegearbeiten aus zugeschliffenen Steinen in allen Farben. Der Boden ist mit den herrlichsten weichen Teppichen belegt und durch bemalte Fensterscheiben fällt gedämpftes, farbiges Licht gerade auf den mächtigen Sarkophag aus rötlichem Gestein, auf dem in arabischen Lettern die Lebensgeschichte des großen Dichters verzeichnet ist. Andächtige Stille herrscht in diesem Raum, der trotz aller Buntheit, trotz überreicher Verzierung nicht unruhig wirkt und nicht überladen.
Nebenan kann man in kleineren Gemächern prachtvoll in Leder und Metall gebundene Bücher und Schriften bewundern, Sammlungen von Miniaturen, Schmuck und Specksteinschnitzereien.
Ganz benommen noch von dem Gesehenen, lassen wir uns draußen unter einem Aprikosenbaum nieder, dessen Zweige sich unter der Last der Früchte tief herunterbiegen. Der Perser, der uns begleitet, lädt mit einer Handbewegung zum Essen ein. Und sicher war es ganz im Sinn des Dichters, wenn wir angesichts seines zauberhaften Grabmals ein wenig von des Lebens Köstlichkeiten genossen. Er war sich der Vergänglichkeit aller Dinge sehr bewusst, aber gerade darum trachtete er, sie in vollen Zügen auszukosten, und seiner Liebe zum Wein danken die östlichen Sänger so reizende Verse wie diese:
»Ihr wisst, o Freunde, lange schon bedacht,
ward neu ein Hochzeitsfest bei mir gemacht:
Vernunft, die dürre, bannt’ ich aus dem Bett
und hab’ des Weinstocks Tochter hingebracht!«
Die Oase blühender Schönheit bleibt hinter uns und wieder umfängt uns die Wüste in ihrer einzigartigen Öde. Schon seit Tagen ist der Himmel bleiern grau und eine dicke, schwere Nebelschicht scheint sich beklemmend auf die Lungen zu legen. Ist es überhaupt Nebel? Nicht an die Sprüche der Dichter, wohl aber an die Worte der Bibel müssen wir jetzt denken: »Und die Sonne verdunkelte sich …« Genauso geschieht es, als der Nebel sich nun als aufgewirbelter Sand entpuppt, der pfeifend und singend über die Steppe jagt. Urplötzlich ist der Sturm gekommen, wir haben kaum noch Zeit, das Dach überzuziehen und die Seitenteile einzuhängen.
In unregelmäßigen, wirbelnden Stößen umheult der Sturm das einsame Fahrzeug in der weiten Wüste. Böen packen es an und wollen es zur Seite schleudern. Fest müssen die Hände das Lenkrad umklammern. Langsam füllt sich unsere Kabine mit Staub, der durch alle Ritzen dringt. Es gibt keinen Schutz gegen den feinen Wüstensand. Wir sind um die Film- und Photoapparate besorgt. Was wird das wieder für Überraschungen geben! Dem Vergaser wird es zu dumm, er beginnt trotz der Filter zu streiken. Mit viel Gas und gleichzeitigem Auskuppeln versuche ich immer wieder, ihm Leben einzuhauchen. Armer Motor, wie viel Staub bekommst du zu schlucken! Aber wir können die Nacht nicht hier in dieser Einöde verbringen und setzen trotz der tobenden Naturgewalten die Fahrt langsam fort. Noch immer zeigt sich kein Dorf, keine Karawanserei. Nur verlassene Ruinen ehemaliger Unterkünfte, die durch den Autoverkehr überflüssig geworden sind.
An ein Übernachten im Freien ist nicht zu denken. Wir müssen so bald als möglich ein schützendes Dach erreichen, um uns und den Wagen vor dem peitschenden, beißenden Sand zu sichern. Also weiter!
Welche Windstärke unserem Sturm zukommt, kann ich nicht sagen, aber die Windsbraut fasst den Wagen und wirft ihn oft mehrere Meter zur Seite, ohne dass die Hände am Steuer auch nur die leiseste Drehung gemacht hätten.
Sand und Salzstaub prasseln gegen die Scheiben. Im Lichtkegel der Scheinwerfer funkeln Tausende von Salzkristallen, die der wütende Sturm uns entgegenpeitscht. Heftiges Jucken wird durch Salz und Staub hervorgerufen – aber sonst ist es im Wagen ganz gemütlich. Der Rauch süßer persischer Zigaretten erfüllt die Kabine und erzeugt sogar ein gewisses Behagen. Soll doch der Sturm rasen, uns kann kaum etwas geschehen. So schlimm wird es auch mit dem Versanden der Kameras nicht sein. Gelesen hat man ja allerhand über solche Dinge, aber – na ja.
Der Wagen bahnt sich seinen Weg durch Wind und Nacht. Die Gedanken aber eilen zurück: Ich entdecke mich dabei, wie ich eine Hand löse und das Steuerrad tätschle: guter, treuer Weggefährte! Fünftausend Kilometer waren seine Reifen schon über spitzes Geröll und heißen Sand in Asien gelaufen und nicht einmal einen »Plattfuß« verzeichnet das genau geführte Bordbuch.
»Erstaunlich, welches Glück wir haben!«, sage ich zu Helmuth.
Das hätte ich nicht tun sollen. Kaum ist der Satz zu Ende, poltert und stößt es, der Wagen rollt auf der Felge.
»Das ist ja lustig«, meint Helmuth. Wir rauchen die Zigarette noch ruhig zu Ende, auf ein paar Minuten kommt es nicht an. Dann aber heraus! Der