Max Reisch

Im Auto um die Erde


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Festung überhaupt notwendig sei.

      »Es sind häufig Überfälle vorgekommen auf die Ölleitung«, werde ich aufgeklärt. »Bei Unruhen kann sich die ganze europäische und eingeborene Besatzung der Station in das Fort zurückziehen, wo Wasser und Lebensmittel für drei Monate aufgespeichert sind.«

      So gemütlich, wie Mr. MacPherson in seinem sicheren Büro in Jerusalem die Wüste geschildert hat, scheint sie also doch nicht zu sein.

      Ibn Saud, der Beherrscher fast ganz Arabiens, wird immer anspruchsvoller. Man erzählt uns, dass erst kürzlich zwei englische Flugzeuge durch einen Sturm in sein Gebiet abgetrieben wurden. Sie wurden abgeschossen und Ibn Saud sandte die beiden Leichen dem High Commissioner von Palästina.

      Die Weltmacht I.P.C. aber lässt sich nicht abschrecken. Ihre Zehn-Millionen-Pfund-Ölleitung schützt sie mit allen Mitteln. Panzerwagen und mit Maschinengewehren bewaffnete Lastwagen versehen den Sicherheitsdienst. Von all dem ist freilich nichts zu merken, als wir abends mit den Ingenieuren beim Essen sitzen. Würde draußen nicht ein Sturm rasen und feiner Sand an den Fensterscheiben herunterrieseln, so könnte man glauben, sich im Speisesaal des »King David« in Jerusalem aufzuhalten. Genauso geborgen fühlt man sich. Die Aufmachung lässt noch viel weniger vermuten, dass wir uns mitten in der Wüste befinden. Lautlos serviert ein in tadelloses Weiß gekleideter Araberboy. Eine in der Druckerei der Station hergestellte Speisekarte verkündet Genüsse, die zum Teil per Flugzeug frisch herangeschafft worden waren.

      Trotz solcher Genüsse und eines hohen Monatsgehaltes möchte ich doch kein Ingenieur der I.P.C. sein. Die Langeweile frisst die Seele bei lebendigem Leibe auf. Drei Jahre in der Wüste sind keine Kleinigkeit. In der nächsten Station ist alles so wie in H.5. Das Bad ist gleich erfrischend, das Essen gleich gut, der Boy gleich sauber, die Ingenieure gleich freudlos. So ist es auch im H.3; Zimmer Nummer 2 und 3, das Bad gleich erfrischend und so weiter. Er ist schon fast langweilig, dieser Komfort der Wüste. So undankbar ist der Mensch.

      Mr. Taylor, der Manager der Pumpstation H.2, überreichte uns eine gedruckte Einladung zu seiner Wüsten-Party: »Es sind die geselligen Zusammenkünfte, die alle zwei Monate abwechselnd in einer der fünf Pumpstationen stattfinden; sie sind die einzige Erholung von dem nerventötenden Dienst auf den weltvergessenen Stationen.«

      »Siehst du, wie gut, dass wir unseren Smoking mithaben«, sagte Helmuth. Es war rührend, wie er mich tröstete über den unsinnigen Haufen Gepäck, der wie ein Alptraum auf meinem Gewissen lag.

      Das Wüstenfest überstieg die kühnsten Erwartungen. Von den anderen Pumpstationen kamen die Ingenieure viele hunderte Kilometer mit geländegängigen Autos angefahren und noch am späten Abend landete ein Flugzeug, das den Generaldirektor und sechs Damen aus Haifa brachte.

      Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus. Die Damen waren in Abendkleidern und festlich gekleidete arabische Diener servierten ein erlesenes Essen. Auch an Getränken wurde nicht gespart. Wäre nicht das Surren der Ventilatoren gewesen und die engen Fliegengitter vor den Fenstern, man hätte völlig vergessen, mitten in der Wüste zu sein. Dann wurde getanzt. Es waren allerdings vierzehn Herren, die sechs Damen gegenüberstanden. In später Stunde holten wir unsere Platten und die Wiener Walzer fanden großen Beifall.

      »Siehst du…«, sagte Helmuth.

      »Ja, ich weiß schon«, unterbrach ich ihn. »Es ist nett von dir, dass du mich immer trösten willst; trotzdem, es bleibt dabei.«

      Zum Abschied übergaben wir Mr. Taylor all unsere Walzerplatten als kleinen Dank für die große Gastfreundschaft.

      Wieder ein paar Kilo weniger. Das Koffergrammophon getrauten wir uns nicht zu verschenken, weil die Ingenieure alle so schöne elektrische Plattenspieler hatten. Aber in Bagdad wollten wir uns des Grammophons entledigen. Auch die Smokings, die wir in der Wüste einmal in Ehren getragen hatten, mussten nun über Bord. Klugerweise hatten wir beim Fest auf H.2 Photos machen lassen. Wir, smokingbekleidet, mit den smokingbekleideten Ingenieuren in Arabien. Bei nächster Gelegenheit konnten wir sagen: »Bitte sehr: Wir hatten Smoking mit, hier ist der bildliche Beweis, aber leider sind diese (für englische Begriffe) unentbehrlichen Kleidungsstücke den Strapazen der Expedition zum Opfer gefallen.« Mit diesen Photos hofften wir, auch ohne Smoking in der englischen Kolonialwelt salonfähig zu bleiben. In der Brieftasche wohlverwahrt und doch stets griffbereit trugen wir unsere Smoking-Photos stets bei uns. Lächerlich mag dies erscheinen, aber es ist englisch.

      In der letzten Station H. 1, in El Hadithe am Euphrat, trennten wir uns von der Ölleitung und all ihrem Komfort.

      Mit einer gewissen Wehmut nahmen wir das letzte englische Frühstück ein und waren dann wieder allein. So sicher und bequem war diese Wüstendurchquerung, dass ich mich ihrer fast schäme.

      Weidmannsheil – ein Wüstenwaran

      Bagdad und allerlei Versuchungen • Radikale Verjüngungskur •

      Versteckenspiel unter dem Auto • Er ist erlegt • In einem Wadi festgefahren •

      Die rettende Karawane • Schwierige Verständigung

      Ja, mir ist es nichts Neues mehr, dass Bagdad zunächst eine Enttäuschung bedeutet, wenn man mit Träumen von Orientzauber und Kalifenpracht hierherkommt. Ich weiß, dass nicht die Silhouetten von kuppelgekrönten Moscheen und schlanken Minaretten am Horizont auftauchen, wenn man gespannt über die Weite der Wüste blickt, sondern ein hoher Mast mit einer Windfahne, Hangars und ein moderner Betonturm – die Wahrzeichen einer Welt, in der man von Bagdad aus in zwei Tagen in London und in drei Tagen in Kalkutta sein kann. Ist es nicht lächerlich, in dieser Welt noch mit dem Auto herumzufahren? Aber was hätten wir in drei Tagen schon von dem Land gesehen, das jetzt weit und verlockend vor uns liegt?

      Auch Helmuth hat den Schock über die unromantische Einfahrt nach Bagdad schon überwunden, freut sich über die üppigen Palmengärten, die all die modernen Villen umgeben, an denen wir vorbeirollen, hält sich aber dann die Ohren zu, als wir in die New Street einbiegen. Limonadenverkäufer schreien, Autos hupen, die vielen Pferdedroschken vollführen ein wahres Klingelkonzert und eine ganz besondere Note erhält das bewegliche Leben in der »Neuen Straße« durch die Bagdader Omnibusse. Es sind Personenwagen mit einer Art großer Badewanne als Karosserie, in der knapp sieben Leute Platz finden. Für ein paar Groschen kann man in diesen Klapperkästen länger fahren, als ein Europäer auf den winzigen Holzbänken überhaupt zu sitzen vermag.

      Rücksichtslos haben die Türken diese große, moderne Geschäftsstraße mitten durch das alte, winklige Bagdad gesprengt, aber auch als ihre Absicht längst bekannt war, wurden, so erzählt man, die Häuser, die der Aktion zum Opfer fallen sollten, noch in großen Mengen aufgekauft. Die Käufer spekulierten mit der altbekannten Tatsache, dass die Leute im Orient nicht selten Geld und Kostbarkeiten in den Wänden, Zimmerdecken und Böden ihrer Häuser verstecken und in ihrem üblichen Misstrauen erst in allerletzter Minute ihren Angehörigen davon Mitteilung machen. Kommt jene allerletzte Minute unerwartet, dann ruhen eben die Schätze weiter in ihrem sicheren Versteck und es bleibt einem findigen Spekulanten überlassen, beim Abbruch des Hauses vorsichtig zu Werke zu gehen. Solche Mühe soll sich schon häufig gelohnt haben.

      Wie überall in Bagdad schläft man auch im Tigris Palace Hotel, sobald die heiße Jahreszeit angebrochen ist, auf einfachen eisernen Bettgestellen draußen im Freien. Nach europäischen Begriffen gleicht das Hotel in diesen Nächten mehr einer Heil- als einer Gaststätte. Eins neben dem anderen stehen die Betten auf den großen Terrassen, nur hin und wieder durch eine »Mauer« aus Topfpflanzen getrennt, und man kann seine Zimmernachbarn ungehindert in ihren Pyjamas bewundern. »Nachbarinnen« gibt es keine – europäische Frauen vertragen die Hitze in Bagdad sehr schlecht und fliehen aus der Stadt, sobald der Sommer beginnt.

      Gern lassen wir uns so oft wie möglich in das kühlste Haus Bagdads einladen: das deutsche Konsulat. Schon der Anblick eines gewaltigen Gemäldes der eisbedeckten Zugspitze in der Eingangshalle wirkt erfrischend, mehr noch das deutsche Tropenbier, das aus Hamburg hierhergeschickt wird. Wenn eine frische Ladung eintrifft, erfährt das gesellige Leben auf dem Konsulat jedes Mal eine beachtliche Steigerung und wenn dort auch nicht so rauschende Feste gefeiert werden wie bei der I.P.C. in der Wüste,