Er hat sich da hinten in der Scheune aufgehängt, weil er die Hänselei und das üble Geschrei „Hexenjunge“ und „Hexenbrut“ nicht mehr ertragen hat und wir ihm nicht die Kraft geben konnten, diese schweren Zeiten durchzustehen. Er war immer ein ganz Stiller und hat miterlebt, wie man mich, so wie deine Mutter auch, der Zauberei beschuldigte. Das war vor bald acht Jahren, zwei Jahre, bevor unser Warneke sich das Leben nahm.“
Adelheid machte eine längere Redepause, die der Knecht Peter nutzte, ein wenig Holz in die kärgliche Glut nachzuschieben. Im Sternfeuer verbrannte das Holz langsamer, hielt die Glut lange, aber die Scheite mussten immer zur Mitte hin nachgeschoben werden.
Jeder saß ganz nah dran, ansonsten wäre von der Wärme nichts zu spüren gewesen. Doch musste höllisch aufgepasst werden, um sich dabei nicht selbst zu entzünden, denn Brandwunden heilten im Winter besonders schlecht.
Peter, der schon unter Harms Vater Warneke gedient hatte, erhob sich zwischendurch, um noch ein wenig Holz zu holen und dabei auch einmal nach dem Vieh zu schauen.
Der Bauer besaß zwei Pferde, einen Ochsen, sechs Kühe und zwanzig Schafe, wobei die Letzteren wegen des nicht auszuhaltenden Gestanks üblicherweise in einem Nebengebäude, dem Schafstall, untergebracht waren. Deswegen musste Peter ab und an doch das Haus verlassen. Er fror dabei jedes Mal trotz Winterbekleidung sehr und wollte sich durch die Bewegung ein wenig aufwärmen.
Die Immen machten im Winter keine Arbeit. Sie durften in ihren Stöcken nur nicht erfrieren. Selbst die sonst immer laut gackernden Hühner saßen heute ruhig und verdächtig still in ihrem Verschlag, ganz eng aneinander gedrängt, um sich gegenseitig zu wärmen. Da war wohl zum üblichen, unrastigen Verhalten kein Antrieb mehr vorhanden.
Während Peter, dick eingepackt, durch die winterliche Eiseskälte vom Haus zum Stall durch den verharschten Schnee stampfte, sah er im Mondschein über die Felder und zu den Nachbarhäusern, die von der winterlichen Starre und vom Wetter ebenso gefangen schienen.
Adelheid fuhr aus ihren Gedanken hoch und mit ihrer Erzählung fort.
„Ich stamme aus Bötersen und bin eine geborene Stavenhitter. Wir wohnten neben Döhrnemanns Hofstelle. Als junges Mädchen hatte der Nachbarjunge ein Auge auf mich geworfen, aber ich wollte ihn nicht und bin meinen Eltern heute noch dankbar, dass sie mich Harm haben heiraten lassen.“
Sie nestelte ein wenig an ihrer Kleidung herum und zog das Kopftuch fester, damit ihr die Ohren nicht erfroren.
„Er nahm es mir so übel, dass ich seinem Werben nicht nachgegeben hatte, dass er mich beschimpfte und als Hure bezeichnete. Dafür hat ihm der Vogt eine saftige Geldbuße von zwei Talern auferlegt, aber das hat seinen Eifer noch mehr angestachelt. Selbst nachdem er verheiratet war und eigene Kinder hatte, nahmen seine Feindseligkeiten kein Ende. Harm und ich sind nun schon 20 Jahre Mann und Frau, aber das wollte er nicht akzeptieren. Mir tat seine Frau leid, die diese Eifersüchteleien und Beschimpfungen, aber auch das Gerede mitbekommen hat. Gott habe sie selig“, sagte Adelheid und schluckte dabei bedrückt.
„Es war vor ungefähr neun Jahren. Da war ich zu Besuch bei meinen Eltern. Ich war damals die einzige Bademutter im Kirchspiel, denn die alte Jette, bei der ich gelernt hatte, war zu klapprig geworden, um weiter als Hebamme arbeiten zu können. Dann schlug das Schicksal zu. Harm Döhrnemanns Frau Beke war soweit. Der Tag ihrer Niederkunft war gekommen und es gab Probleme, denn das Kind hatte sich nicht gedreht und die Nachbarinnen waren verzweifelt, weil sie nicht helfen konnten. Beke drohte mit dem Ungeborenen zusammen einen erbärmlichen Tod zu erleiden. Ich habe das schon mehrmals erlebt und es ist jedes Mal wieder grausam. Nur Gott weiß, warum.“
Peter war inzwischen zurückgekehrt und hatte sich wieder dazu gesetzt.
„Gegen den Willen von Harm Döhrnemann ließ Beke mich rufen, ihr zu helfen. Es war ein schwerer Gang in das Haus des Mannes zu gehen, der alles erdenklich Schlechte und jede Beleidigung, die man sich nur vorstellen kann, über mich erzählt hatte. Aber ich musste der Frau und dem ungeborenen Kind helfen. So ging ich mit und meine alte Mutter begleitete mich, denn mir war bang ums Herz“, beendete sie den Satz mit einem tiefen Seufzer und kniff die Lippen schmal zusammen.
„Dort angekommen, versicherte mir die Magd, dass der Bauer nicht im Hause sei“, fuhr sie fort.
„Als ich an Bekes Bett trat, blieb mir fast das Herz stehen, denn die Frauen hatte mich viel zu spät geholt. Beke litt bereits an einer schweren Vergiftung, denn das Kind war schon tot. Ihr Mann hatte sich zu lange geweigert, viel zu lange, als dass ich beiden das Leben hätte noch retten können. Ich holte das tote Kind mit einigen Mühen aus der sterbenskranken Mutter. Dann blieb ich drei Tage und drei Nächte bei ihr am Bett, kochte einen Sud nach dem anderen und der Herrgott hatte mit der Frau ein Erbarmen und ließ sie leben. Kinder konnte sie danach aber nicht mehr bekommen.“
Abelke hörte gespannt zu, denn sie musste Adelheid auch einmal bei einem solch tragischen Geschehen zur Hand gehen, wobei die Mutter und das ungeborene Kind einen qualvollen Tod starben. Sie hatte sich damals mehrmals übergeben müssen, aber auch viel dabei gelernt. Adelheid erinnerte Abelke während des Erzählens an ihre selige Mutter, die ihr sehr fehlte.
Als Harms Frau mit der Geschichte fortfuhr, wurde Abelke wieder aus ihren Gedanken gerissen.
„Für den Tod des Kindes und der Tatsache, dass seine Frau niemals mehr Kindern das Leben würde schenken können, machte mich dieser Mann, der die alleinige Schuld daran trug, verantwortlich. Dass er damit von seinen Fehlern ablenken wollte, entschuldigt nichts. Er zeigte mich beim Amtmann an, eine Zauberin und Hexe zu sein, die Schuld am Tod des Kindes und allerlei anderer Miss-geschehen und Unglücke sei, die er selbst zu verantworten hatte, aber nun einen Sündenbock in mir gefunden zu haben glaubte. Mit meinem Tod als Hexe auf dem Scheiterhaufen wollte er sich an mir, aber auch an Harm rächen, der ihm in seinen Augen, die Frau, seine Frau weggenommen hatte.“
Sie schaute Abelke prüfend an, ob sie den Rest der Geschichte auch noch verkraften würde, denn der Prozess gegen ihre Mutter hatte ein halbes Jahr gedauert und sie hatten sie bei lebendigem Leib im Nachbaramt Ottersberg verbrannt. Die Schreie der Sterbenden hatte Adelheid nicht aus den Ohren bekommen und Abelke musste als Kind mit ansehen, wie man die Mutter in den Flammen förmlich geröstet hatte. Danach nahm sie das Mädchen in ihre Obhut, schließlich waren sie über viele Ecken miteinander verwandt. Sicherlich, sie war auch mit Döhrnemanns verwandt, aber das hatte alles nichts geholfen, es eher noch verschlimmert. Adelheid war in ihre Gedanken versunken und bemerkte gar nicht, dass die anderen auf die Fortsetzung der Erzählung warteten, bis Harm seine Hand sanft auf die ihre legte und sie mit einem Stirnrunzeln erwartungs- und liebevoll anschaute.
„Entschuldigung“, sagte Adelheid leise und fuhr fort.
„Harm Döhrnemann hatte nicht nur mich beschuldigt, sondern auch noch meine Familie in Bötersen und in Höperhöfen als „Zaubersche“ und „Hexen“ beschimpft. Hinzu kam sicherlich noch, dass er seinen Hof nicht so ertragreich wie mein Harm bewirtschaftete und dem Brandwein sehr zugetan war. Ich wurde verhaftet und mehrmals verhört, wie auch meine ganze Verwandtschaft. Da Döhrnemann aber keinen Beweis für seine Anschuldigungen vorlegen konnte, die Nachbarin, die mich zur Geburtshilfe in sein Haus geholt hatte, unter Eid aussagte, was wahr war, wurde er vor vier Jahren, nach vier ganzen Jahren Prozessdauer, des Landes verwiesen.
Diese Anschuldigungen und Anfeindungen hat unser Warneke nicht verkraftet, dazu kam, dass er in einem Alter war, ein Mann zu werden. Die schiere Verzweiflung trieb ihn zu diesem Selbstmord. Er hatte wenigstens einen schnellen Tod, da er sich das Genick dabei brach. Mein ist die Rache, sprach der Herr, predigt unser Schwattkittel immer von der Kanzel und da hatte er recht behalten.“
„Wieso?“, fragte Abelke erstaunt dreinblickend.
Harm übernahm nun die Fortsetzung der Geschichte, denn er bemerkte, dass das Erzählen seiner Adelheid immer schwerer fiel und sie den Tränen näher war als alle zusam-men dem Sommer.
„Nach vier Jahren Prozess, vielen Vernehmungen und Prozesstagen, wurde dieser gemeine Denunziant verdientermaßen des Landes verwiesen. Sie haben ihn damals an die Grenze zum Amt Rethem geführt. Er musste die „Urfehde“ schwören und versprechen,