Jürgen Hoops von Scheeßel

Mettes Flucht in den Tod


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sich Aufzeichnungen zu machen, auch wenn sie ein wenig Lesen und Schreiben gelernt hatten.

      Das gesamte Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Dass die Mönche und Nonnen in den katholischen Klöstern, die noch vor wenigen Jahrzehnten hier existierten, dieses seit alters her zu nutzen wussten und vor allem durften, war bekannt.

      Adelheid sagte immer wieder: „Sei mit dieser Gabe vorsichtig! Gehe mit dem Wissen behutsam um und wende die Mittel nur offen an, wenn es sich nicht vermeiden lässt, denn Kräuterfrauen und Hebammen leben, wie du weißt, gefährlich. Denk an die Mutter von Abelke.“

      1615

      Im folgenden Jahr suchte erneut eine Seuche ihre Opfer in den Dörfern und Gehöften des Amtes Rotenburg. Die alte Adelheid Hoops aus Höperhöfen starb nach zehntägiger Bettlägrigkeit am Nervenfieber, auch Typhus genannt.

      Harm saß tagelang an ihrem Bett und stand ihr in den letzten Stunden bei, so gut er es vermochte.

      Gesche sagte einmal zu ihm: „Sie ist ja viel in den Dörfern herumgekommen und muss sich dabei angesteckt haben.“

      „60 Jahre ist kein Alter zum Sterben“, entgegnete Harm. „Wir wollten auf unsere alten Tage doch noch so manches erleben und deine Kinder, unsere Enkelkinder, gemeinsam aufwachsen sehen“, fügte er mit einem verzweifelten Unterton in seiner sonst festen und warmen Stimme noch an.

      Die Trauerfeier wurde knapp gehalten, denn das Amt hatte erneut angeordnet, die Seuchenopfer noch am Tag ihres Todes in die Erde zu bringen.

      Als Cordt Döhrnemann in Bötersen davon erfuhr, dass seine Erzfeindin dahingerafft war, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und stieß einen lauten, markerschütternden Schrei aus, dass die Nachbarn meinten, er hätte sich beim Holzhacken, den Daumen abgeschlagen.

      Zu Maria gewandt, die ihren Onkel erschrocken ansah, sagte er mit einem teuflischen Grinsen und leuchtenden Augen: „Ich mache kein Hehl daraus, dass ich mich freue, dass die alte Hexe endlich tot ist, auch wenn sie angeblich nur an Typhus gestorben sein soll.“

      Maria verstand den Gefühlsausbruch ihres Oheims, glaubte sie doch auch an die Schuld von Adelheid am Tod ihrer Eltern.

      „Sie ist gestern auf dem Friedhof zusammen mit den drei Toten aus unserem Dorf und anderen eingekuhlt worden.“

      „Es ist unglaublich, dass man eine Zauberin in geweihte Erde legt und deinen Eltern diese Ehre verweigert hatte. Sie hätten sie auf dem Scheiterhaufen bei lebendigem Leibe verbrennen sollen. Das dazu erforderliche Holz hätte ich schon gestiftet“, wütete er und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch, dass das darauf befindliche Geschirr nur so wackelte.

      Er schnellte hoch und humpelte schnurstracks aus dem Haus. „Bleib nicht so lange fort und wüte nicht wieder“, rief Maria ihm noch flehend nach. Sie wusste nicht, ob er sie überhaupt noch gehört hatte. Immer, wenn er wütend war, verschwand er für Stunden und niemand wusste wohin.

      Einmal hatte er Maria erzählt, dass er die alten Götter um Hilfe gebeten habe, als er mal wieder verschwunden war.

      „Altvater wird helfen“, sagte er immer wieder, und dass die Pastoren, die er abwertend als „Schwattkittel“ und „Pfaffengesindel“ bezeichnete, nur ihr eigenes Seelenheil und ihre Völlerei im Sinn hätten.

      Nach dem Tod von Adelheid hatte ihre Schwiegertochter Gesche die Aufgabe als Bademutter übernommen.

      Bei ihren Besuchen in den Dörfern hörte sie hier und da immer wieder von ihr zugetanen Menschen, dass Cordt Döhrnemann nun auch über sie schlecht sprach und sie als Zauberin und Hexe denunzierte.

      Gesche, aber auch andere Kräuterfrauen, versuchten mit dem erlernten Wissen, den durch die Seuche erkrankten Menschen zu helfen. Es war eine vergebliche Mühe, die Gesche im Nachhinein betrachtet eher geschadet hatte.

      Harm zog Gesche einmal zur Seite und sagte: „Kind, gib acht, denn in der Trauer geben dir am Ende die Leute noch die Schuld am unabwendbaren Tod ihrer Lieben und sie bezeichnen dich als Kräuterhexe und Todesbotin. Döhrnemann wird keine Ruhe geben, solange er lebt.“

      Kapitel 2

      Die Jahre 1624 - 1643

      1624

      Harm sollte recht behalten, denn die Gerüchte gegen seine selige Frau und seine Schwiegertochter ebbten nie ab. Es schmerzte ihn sehr, dass man seine Adelheid noch immer als „die alte Zaubersche aus Höperhöfen“ bezeichnete. Am liebsten hätte er Döhrnemann mit der Forke gepiesackt, bis dieser vor aller Welt seine Lügengeschichten zurücknahm. Er hatte dazu nie eine Gelegenheit bekommen und fürchtete, dass er damit seinen Kindern und Enkeln noch mehr Schaden als Nutzen zufügen würde.

      Gesche hatte nun schon zwei gesunden Knaben das Leben geschenkt und jedes Mal hatte Hibbel ihr dabei geholfen. Die Verbindung zu ihr war nie abgerissen, auch nicht, nachdem sie Jacob Röhrs aus Westerholz das Jawort gegeben hatte.

      Heute sollte sie ihr wieder helfen und Gesche hatte ein gutes Gefühl. Schon früh am Morgen bemerkte sie, dass es soweit war.

      „Joachim, schicke einen der Knechte aus, Hibbel zu holen. Du wirst heute wieder Vater werden“, sagte sie zu ihrem Mann mit Stolz in der Stimme.

      „Ja, das werde ich sofort tun“, versprach er freudestrahlend und eilte aus dem Haus. Nach einer Weile kehrte er zurück, setzte sich zu Gesche, nahm ihre Hand und legte sie in die Seine. Dann drückte er die Hand seiner Frau und sprach: „Hibbel wird geholt. Sie hat es nicht leicht, oder? Alle ihre eigenen Kinder sind bisher tot zur Welt gekommen, sagt man, als läge ein Fluch auf ihr.“

      „Sie ist mir immer eine liebe Freundin, mehr wie eine Schwester und hat mir all das, was ich bei deiner seligen Mutter nicht mehr lernen konnte, beigebracht. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.“

      Plötzlich schlug die kleine Seitentür auf und ihre zwei Kinder rannten in das Haus, tobten in der Diele herum, als sei der Hahn hinter ihnen her.

      „Spielt ihr schon wieder Kriegen?“, wollte die Mutter aus der Kammer rufend wissen und lachte dabei liebenswürdig.

      Der ältere der beiden Kinder hielt inne und ging zu seiner Mutter in die Kammer.

      „Modder, Harm hat schon wieder die Hühner geärgert und das soll er ja nicht“, log Cordt. Dabei schaute er frech zu seinem kleinen Bruder und streckte ihm die Zunge her-aus.

      „Seid beide friedlich!“ mahnte der Vater seine Söhne mit erhobener Stimme. „Eure Mutter braucht Ruhe! Heute werdet ihr ein Brüderchen oder ein Schwesterchen bekommen. Geht zur Magd, sie soll sich um euch kümmern oder geht zum Großvater“, forderte er seine Söhne mit Nachdruck auf.

      Cordt drehte sich folgsam um und nahm den kleinen Harm an die Hand. Dann rannten beide Lausbuben aus der offen stehenden Groot Döör in den Hof, als sei der Blitz hinter ihnen eingeschlagen.

      „Lass sie“, sagte Gesche mit einem Schmunzeln sanftmütig und sah Joachim dabei in die Augen.

      Gegen Mittag trat Hibbel in das Haus der Freundin ein. Sie ging unaufgefordert und mit sicheren Schritten über die Diele in die kleine Kammer, in der Gesche lag und sie bereits freudestrahlend erwartete.

      „Es ist wieder einmal soweit“, entgegnete Hibbel ihr als Begrüßung und Gesche nickte.

      „Wie geht es dir und deiner Familie?“, wollte Hibbel von ihr wissen.

      Gesche atmete tief durch, richtete sich im Bett ein wenig auf, so, dass sie halb sitzend im Bett thronte, als wollte sie eine amtliche Bekanntmachung von sich geben.

      „Du weißt ja selbst, was die Leute so reden und hältst ja auch Ohren und Augen stets offen“, sagte sie zu ihr mit ruhiger Stimme, die ein wenig von Traurigkeit getragen war.

      „Heute ist kein Tag für Wehmut“, entgegnete Hibbel ihr. „Dein Kind soll spüren, dass wir es hier mit Liebe empfangen und die