Jürgen Hoops von Scheeßel

Mettes Flucht in den Tod


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aus dem Haus, als könnte sie etwas verpassen.

      „Hibbel, bist du bald fertig? Sieh zu, dass du mit den Hühnern herkommst“, rief sie lauthals in den Hof und zog den Kopf wieder ins Haus zurück.

      ***

      Harm Hoops ging mit seinem Sohn und Nachfolger Joachim über den Hof. Sie sprachen sehr innig miteinander, denn der Vater übergab mit der Hochzeit auch die Hofführung an seinen Sohn.

      „Joachim, du kennst dich zwar auf dem Hof aus, dennoch möchte ich als dein Vater mit dir noch einmal einiges durchsprechen und abstimmen, damit ich als Altenteiler nicht mit dir über Kreuz komme und wir miteinander in Streit geraten, wie es mir mit meinem seligen Vater Warneke ergangen war“, begann er das Gespräch.

      „Mein Sohn, ich freue mich, dass du mit Gesche eine fleißige Frau gefunden hast und ich beruhigt auf mein Altenteil gehen kann. Sei gewiss, dass ich mich nicht in deine Wirtschaft einmischen werde. Der Altenteilervertrag regelt die Verhältnisse zwischen uns bis ins Detail. Ich habe dir alles beigebracht, was du wissen musst und ich bin mir sicher, dass du ein guter Bauer bist“, sagte er und legte seine Hand liebevoll und anerkennend zugleich auf die Schulter seines ältesten Sohnes.

      Sie standen vor dem Backhaus und sahen im Rundblick den Speicher und die zwei Scheunen, die halbkreisförmig um das Haupthaus standen und sich in einem guten baulichen Zustand befanden, obwohl alle Gebäude schon weit über 100 Jahre alt waren.

      Dann schauten sie sich noch so einiges an, was dem Vater wichtig war und schritten den Hof, aber auch die Äcker und Wiesen ab, ohne unnötig viele Worte zu wechseln. Sie verstanden sich auch so. Das wiederum verstand Gesche, Joachims Braut, gar nicht. Sie redete viel und gerne über alles. „Männer“, war ihr einziger Kommentar zu dieser Art des schweigenden Verstehens.

      „Du hast dir eine prächtige und ganz liebe Frau ausgesucht. Sie passt hier her und wird eine großartige Schwiegertochter abgeben, auch wenn sie gerne ein wenig viel schwätzt. Darin sind deine Mutter und ich uns einig“, sagte der Vater mit einem Lächeln, während sie auf den Feldern unterwegs waren.

      Als sie nach Hause zurückkehrten, schweifte der Blick der Männer von der Hofeinfahrt in die Hofmitte über das massive, im Jahre 1478 erbaute Vierständerhaus. „In dem auf dem Hof stehenden Häuslingshaus werde ich als Altenteiler mit Adelheid bis zu unserem Tode leben“, schweifte Harm in Gedanken.

      Dort lebte auch seine ledige Schwester Gesine seit vielen Jahren und so stand es auch im Vertrag, der die Zeit nach der Hofübergabe regelte.

      Als habe Joachim die Gedanken seines Vaters erahnt, fragte er ihn: „Gesine hat nie geheiratet. Warum eigentlich nicht?“

      „Es war nie der Richtige dabei, für den sie sich entscheiden wollte und so blieb sie bei mir als Hausmagd auf dem Hof“, antwortete sein Vater.

      „Sie genießt offensichtlich ihre gute Stellung, hat ihr Auskommen und schaut wohlgenährt aus. Sie ist immer gut gelaunt und stets freundlich, was ich sehr an ihr schätze“, schloss Harm seine Gedanken.

      „Gesine, du bist eine Seele von Mensch“, pflegte Harm seine Schwester häufig zu loben, was ihr sichtlich gut tat.

      Nun aber rief Harm über den Hof, denn er hatte seine Schwester aus dem Haus schauen sehen, neugierig, wie sie nun mal eben war.

      „Gesine! Ist alles gut vorbereitet?“, hörte sie ihren Bruder fragend rufen. Sie winkte ab, ließ sich nicht weiter ablenken und verschwand vollends im Haus.

      „Junge, deine Mutter wird als Bademutter viel unterwegs sein und ich werde sie, wenn notwendig fahren, solange ich es vermag. Du kannst den Knecht dann anders einsetzen und ich habe eine sinnvolle Aufgabe.“

      „Vadder, das kommt überraschend. Darüber freue ich mich sehr“, entgegnete Joachim strahlend.

      „So wie ich Gesche verstanden habe, wird sie von deiner Mutter als Nachfolgerin in der Kräuterkunde und als Bademutter eingewiesen werden. Pass gut auf sie auf, denn die Leute reden gerne und sehr viel, meistens aber nichts Gutes“, fügte Harm nach einer ganzen Weile an.

      Der Tag der Hochzeit war nun für das Brautpaar gekom-men und die Zeit der Verlobung damit zu Ende.

      Es war eine für die Zeit und die Umstände angemessen ausgestattete Feier, die sich für einen Außenstehenden aber durchaus als bescheiden darstellte.

      Adelheid hatte darauf bestanden und gesagt: „Die Leute sollten keinen Grund haben, um Gerüchte und üble Reden über die Ausgestaltung der Feier zu verbreiten. Sie reden sowieso, aber wir müssen vorsichtig sein, denn das Geschwätz von Döhrnemann bedroht die Familie noch immer unterschwellig.“

      Es war eine wunderschöne Feier bei herrlich trockenem Wetter an einem sonnigen Oktobertag.

      „Wir können sehr zufrieden sein“, sagte Harm stolz zu Adelheid. „Die Ernte war gut, die Vorratskammern sind aufgefüllt, der Hof befindet sich in einem guten Zustand, der Junge ist gesund und er hat eine gute Frau gefunden. Hinzu kommt, dass wir noch bei guter Gesundheit sind, woran auch deine Kräuter und Tees nicht ganz unbeteiligt sind“, meinte er mit Schalk in den Augen und Adelheid stimmte ihm wortlos lächelnd zu, aber nicht ohne dabei auch ein Glänzen in die Augen zu bekommen.

      Ein Jahr später verließ Hibbel den Hof. Adelheid hatte ihr alles beigebracht, was sie wissen musste und war sehr stolz auf sie. Sie hatte Hibbel ins Herz geschlossen und sie ließ sie ungerne ziehen, aber drei Bademütter auf einem Hof waren einfach zu viel des Guten.

      1613

      Als in den Dörfern des Kirchspiels Sottrum und darüber hinaus wieder einmal die Blattern wüteten, wodurch zwei Dutzend Kinder und viele Erwachsene innerhalb kürzester Zeit dahingerafft wurden und unter den Opfern sogar der Pastor Johann Baptista Schmied war, kannten die Angstmacher und Gerüchtestreuer keine Anstandsgrenzen mehr.

      Cordt Döhrnemanns Nichte verlor innerhalb weniger Tage drei ihrer Kinder.

      Das war die Gelegenheit, auf die er seit Jahren sehnsüchtig gewartet hatte. Er fachte erneut das schwelende Feuer der Verleumdungen und üblen Gerüchte gegen Adelheid Hoops in Höperhöfen an.

      Viele glaubten, dass es nur die mit dem Teufel im Bunde stehenden Wesen und Hexen gewesen sein konnten, die dafür verantwortlich waren. Dass er damit Adelheid meinte, wusste jeder, ohne dass der Name ausgesprochen werden musste.

      Eine Anklage wurde trotz seiner Anzeige nicht erhoben, verlor sie doch selbst zwei Kinder durch die Seuche.

      1614

      Gesche wurde nach Hibbels Weggang von ihrer Schwiegermutter als Hebamme sowie in der Kräuter- und Heilkunde ausgebildet. Sie musste mehrfach erfahren, welche harten Prüfungen das Leben dabei für sie bereit-hielt.

      Schmerzen konnte Adelheid mit selbst gebrauten Kräutertees lindern. Auf ihren gemeinsamen Wegen zu den besonderen Stellen, an denen die Pflanzen in den Wäldern, auf den Wiesen und in den Mooren wuchsen, kamen sich die beiden Frauen auch menschlich immer näher.

      Adelheid hatte einst selbst gelernt, die richtigen Pflanzen am rechten Platz und zu bestimmten Zeiten zu finden. Für die Ernte und die richtige Verarbeitung war ein sehr umfassendes Wissen notwendig, aber auch die Gabe, das richtige Mittel zielgerichtet zur Anwendung zu bringen.

      Einen Medikus konnte sich kaum jemand leisten und deswegen suchten viele die Kräuterfrauen auf, wobei die Meisten die Hausrezepte „für alle Fälle“ selbst kannten, die von den Müttern an die Töchter weitergegeben wurden.

      Häufig nahm man die Salben und den gebrauten Sud auch, um die wertvollen Haus- und Hoftiere zu behandeln. Für manchen Zeitgenossen war diese Kunst des Heilens aber Hexenkunst und Teufelswerk.

      Gesche lernte sehr schnell, denn Adelheid war eine sehr erfahrene Kräuterfrau und liebte ihre Schwiegertochter. Sie zeigte ihr jedes Kraut und jedes Blatt, beschrieb es genau und erklärte dessen Wirkung sehr eingehend und geduldig.