Adharanand Finn

Ekiden


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vor Erschöpfung auf die Knie. Alle blicken sofort auf ihre Uhren. Und sie alle laufen, so schnell sie können.

      Am Ende kamen an jenem Morgen 18 Läufer in unter 63 Minuten ins Ziel. Und das in einem einzigen Rennen. Nur ein einziger britischer Läufer hatte es 2013 geschafft, einen Halbmarathon so schnell zu laufen. Nur 21 US-Athleten schafften dies in jenem Jahr.

      Der Student, der abgeschlagen als Hundertster das Ziel in Ageo erreichte, hatte noch immer eine Zeit von 64:49 Minuten. 2013 wäre er damit an der achten Stelle in ganz Großbritannien gelegen. In vielen anderen Ländern Europas wäre er damit nationaler Rekordhalter gewesen. Das ist ein Beweis für einen unglaublich großen Pool an Talenten im Laufsport.

      Also, irgendetwas geht in Japan vor sich. Meine Mission ist es, herauszufinden, was das ist. Nicht nur der Autor in mir ist neugierig, auch der Läufer. Nach meinen sechs Monaten in Kenia kam ich zurück nach England und brach alle meine persönlichen Bestzeiten, vom 5K bis hin zum Marathon. Sechs Monate lang befand ich mich auf einem langen, unterhaltsamen Höhenflug und schaffte zehn persönliche Rekorde hintereinander.

      Doch in den letzten beiden Jahren wurde ich nicht mehr schneller. Jetzt bin ich beinahe 40 und frage mich, ob es das gewesen sein soll. Habe ich meinen Zenit überschritten? Ist es nun an der Zeit, diesen Nervenkitzel, meine persönlichen Bestzeiten zu jagen, diesen Kick, meine Grenzen zu überschreiten, aufzugeben und mich stattdessen auf eine ruhigere Reise, bei der ich mich einfach nur am Laufen erfreue, zu begeben? Irgendwie freue ich mich auf diese Tage, wenn das Laufen mehr zum Hobby wird, weniger verkrampft und obsessiv, wenn es Spaß macht, mein Herz klopfen zu hören, und ich mich an der kühlen, frischen Luft in meinem Gesicht erfreuen kann, ohne mich um Trainingspläne, Tapering und Stoppuhren zu sorgen.

      Doch dieses ehrgeizige Monster in mir will noch ein letztes großes Hurra. 2:55 Stunden können doch sicher nicht meine letzte Marathonzeit sein, oder? 78 Minuten für einen Halbmarathon? Ja, das ist schon okay, doch ich bin sicher, dass ich schneller sein kann. Ich habe viel gelernt in Kenia, doch vielleicht werde ich in Japan neue Dinge lernen. Vielleicht kann ich etwas von diesem Schwarm talentierter Halbmarathonläufer aus diesem verschwommenen YouTube-Clip lernen, etwas, das mich noch diesen einen Schritt weiterbringt. Meine Reise, um dies herauszufinden, nimmt ihren Anfang hier, im Tower Hotel in London.

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      Ein Mann kommt auf mich zu. Seine weißen Zähne strahlen durch die ganze Lobby. Es ist Brendan Reilly. Alle, mit denen ich über den Laufsport in Japan gesprochen habe, erwähnten seinen Namen. Er scheint Dreh- und Angelpunkt für alles zu sein, das Tor zwischen der abgeschotteten Laufszene Japans und dem Rest der Welt. Reilly hatte ein Treffen mit mir und dem renommierten japanischen Lauftrainer, Tadasu Kawano, organisiert. Kawano trainiert das Otsuka Pharmaceutical Ekiden-Team, das in Tokushima auf der Insel Shikoku beheimatet ist. Zwei seiner Athleten würden in ein paar Tagen den London Marathon laufen.

      „Hallo! Wie geht’s?“, sagt Reilly und gibt mir einen kräftigen, amerikanischen Händedruck.

      Dann bringt er mich zu einem Tisch im Hotelcafé, und wir setzen uns. Kawano ist bereits da und wartet. Er ist schon etwas älter. Sein Oberkörper ist leicht zur Seite geneigt, und er sieht müde aus. Als ich mich setze, nickt er mir zur Begrüßung zu.

      „Hajimemashite“, sage ich in meinem besten Japanisch. Es freut mich, Sie kennenzulernen.

      „Ah, hajimemashite“, antwortet er, so als ob das Ganze ein Spiel wäre. Das war es dann aber auch schon mit meinen Japanisch-Kenntnissen, und wir wechseln wieder zu Englisch, wobei Reilly als Dolmetscher fungiert.

      „Ich würde gerne bei einem Ekiden-Team mitmachen. Können Sie mir dabei helfen?“, frage ich.

      Japan ist das einzige Land, das Langstreckenläufern einen Gehalt bietet, wenn sie bei einem Team sind. Große Firmen wie Honda, Konica, Minolta und Toyota unterhalten Teams mit professionellen Straßenläufern, die miteinander leben und trainieren und gemeinsam Ekiden-Rennen bestreiten. Mein Plan ist es, bei einem solchen Team einzusteigen. Natürlich nicht als Läufer für Wettkämpfe, dafür wäre ich zu langsam, nein, ich will mich in so ein Team einleben, wie ein Kriegsberichterstatter, der mit der Truppe lebt und mit ihr unterwegs ist. Das scheint mir ein guter Weg zu sein, um nahe genug an die Athleten heranzukommen, zu verstehen, wie alles abläuft, und den Geheimnissen des japanischen Laufsports auf die Schliche zu kommen. Doch ein Team zu finden, das mich aufnimmt, entpuppt sich als schwieriger, als ich gedacht hatte.

      Ich hatte gelesen, dass diese Konzernläufer umjubelte Sportstars in Japan sind. Tatsächlich erkannte ich das erste Mal, welchen Stellenwert das Laufen in Japan hat, nachdem ich in den USA einen Artikel Reillys im Running Times Magazine gelesen hatte.

      Dort schrieb er: „Wenn Sie in den meisten Städten Japans mit einem Taxifahrer oder einem Sushikoch plaudern, werden Sie bemerken, dass Yuko Arimori, Naoko Takahashi und Mizuki Noguchi nationale Ikonen sind, selbst für diejenigen, die mit Laufen nicht viel am Hut haben. Und die Angestellten der Firmensponsoren von Langstreckenteams sind genauso leidenschaftlich wie Fußballanhänger. Die Zuschauerränge bei den landesweiten Ekiden-Meisterschaften sind ein bunter Regenbogen aus Konzernlogos und -farben, wobei die Angestellten – in den Farben ihres jeweiligen Unternehmens – ihre Läufer lautstark unterstützen.“

      Dann fährt er fort: „Die Einschaltquoten bei Liveübertragungen von Ekiden-Events in Japan, die mit genauso vielen Expertenanalysen und technischen Mitteln wie bei der NFL in den USA ausgestrahlt werden, erreichen schwindelerregende Höhen. Während die Quoten für Übertragungen von Marathonrennen in den USA selten einmal die Ein-Prozent-Marke überschreiten, wäre eine TV-Quote von zehn Prozent in Japan für einen Ekiden oder einen Marathon eine herbe Enttäuschung; einige Athleten und Events bringen es sogar auf Super-Bowl-ähnliche Marktanteile von 40 Prozent und mehr.“

      Eines dieser Ekiden-Werkteams ist Otsuka Pharmaceuticals, und ich sitze gerade dem Trainer persönlich gegenüber. Ich hege die Hoffnung, dass er mich einlädt, nach Japan zu kommen, und mich in sein Team aufnimmt. Er nickt, als ich ihn danach frage, doch es ist kein Kopfnicken, das mich dazu veranlassen würde, seine Hand zu schütteln und meine Ankunft in Japan mit ihm zu besprechen. Es ist mehr ein Nicken, bei dem man sich nicht festlegt, ein Nicken, das sagt, lass uns erst einmal sehen, wie es aussieht. Er sagt, er kenne Leute, die mir bei meinen Recherchen helfen können. Auch Reilly kennt einige Leute. Ich stehe schon seit Monaten deswegen in E-Mail-Kontakt mit ihm. Er sagt immer wieder, dass es kein Problem sei, etwas zu arrangieren, und es nur davon abhänge, das richtige Team auszusuchen. Doch die Ekiden-Saison ist nicht mehr weit, und bis jetzt hat sich noch nichts Konkretes ergeben.

      Schließlich verlasse ich Reilly und Kawano mit kaum mehr als zwei weiteren Visitenkarten in meiner Sammlung. Anstatt nach Hause zu fahren, entscheide ich mich, noch ein wenig Zeit in der Hotellobby zu verbringen, um die Atmosphäre vor dem Rennen zu schnuppern. Auf einer niedrigen Wand, neben mehreren Pflanzentöpfen, sitzt still ein anderer Japaner. Er checkt gerade sein Handy, doch ich bemerke, wie er mir gelegentlich einen Blick zuwirft. Also gehe ich hinüber und spreche ihn an.

      „Hallo“, sagt er, als er aufsteht. „Ich habe gesehen, wie Sie mit Herrn Kawano gesprochen haben.“

      Zu meiner Überraschung spricht er gut Englisch. Ich erzähle ihm von meinem Plan, für sechs Monate nach Japan zu reisen und eine Ekiden-Saison mitzuerleben. Er nickt verständnisvoll, als ich ihm sage, dass ich mit einem professionellen Team leben wolle. Als ich dann meine, dass ich auch mit ihnen trainieren will, beginnt er laut aufzulachen.

      „Nein, keine Chance“, sagt er beinahe herablassend, so, als ob das eine ganz dumme Idee wäre.

      Also erkläre ich ihm, dass ich schon mit den berühmten kenianischen Läufern aus dem Rift Valley gelaufen bin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es mit japanischen Läufern aufnehmen könnte. Doch er lächelt nur.

      „Nein, nein“, sagt er.

      Obwohl er darauf beharrt, dass ein wichtiger Teil meines Vorhabens nicht durchführbar wäre, bietet er mir seine Hilfe an. Er erzählt mir, dass er gute Verbindungen in der japanischen Laufszene habe und ich ihn anrufen könne,