Sabine Wolfgang

Wort für Mord


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gekocht hatte. Eigentlich meinte sie: „Kommst du zum Essen, nachdem du den Tisch gedeckt, den Wein eingeschenkt und die Musik eingelegt hast?“ Seine Ehefrau liebte Romantik, das alles diesbezüglich vorzubereiten, war jedoch letztendlich sein Job. Er wollte die Mail aber unbedingt lesen, auch wenn ihm deren Inhalt womöglich den Appetit verdarb.

      Sehr geehrter Herr Gielding,

      Ihr Exposé hat uns sehr zugesagt, und wir freuen uns aus diesem Grund, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir den Ghostwriting-Auftrag für Frau P. H. an Sie erteilen.

      Bitte verzeihen Sie, dass ich für eine Zusage nicht anrufen kann – ich befinde mich mitten in einer Besprechung, wollte Ihnen die freudige Nachricht jedoch sofort übermitteln. Ich erlaube mir, Sie morgen Vormittag telefonisch zu kontaktieren.

      Herzlichst, Peter Biber

      Tobias Gielding traute seinen Augen nicht, und auch die zweite Aufforderung seiner Frau, zum Essen zu kommen, änderte nichts an seiner versteinerten Haltung vor dem Computer. Er konnte es nicht fassen, dass er den Biber-­&-Benson-Verlag mit seiner Idee hatte überzeugen und begeistern können. Er war der neue Ghostwriter von Paula Hogitsch, und das mit seiner eigenen Geschichte.

      „Du wirkst irgendwie durcheinander. Was hast du denn?“

      Lilo merkte, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmte. Er zog den Korken heraus und blickte sie lächelnd an, während er den Wein auf der Küchenanrichte abstellte.

      „Alles in Ordnung?“

      Sie hatte sich mit seiner sonst introvertierten und stets leicht mürrischen Art in der letzten Zeit abgefunden und fragte ihn nicht länger nach den Gründen seines Unmuts. Mittlerweile wusste sie genau, dass ihn die wirtschaftliche Lage ebenso belastete wie sie selbst, und wollte nicht jedes Mal wieder von Neuem damit anfangen. Die beiden setzten sich zu Tisch, doch bevor sie das Essen anrichtete, reichte ihr Tobias ein volles Glas Rotwein. Lilo sah ihr immer noch lächelndes Gegenüber verwirrt an. Ihr erwartungsvoller Blick verlangte nach einer Erklärung.

      „Wir trinken auf die unerwarteten Momente, die einen Tag besonders machen!“

      Beide nippten am Wein, und bevor sie ihre Vermutung aussprechen konnte, fiel er ihr ins Wort.

      „Ich hab den Auftrag. Peter ruft mich morgen an, damit wir alles Weitere besprechen können.“

      „Wirklich … damit hab ich nicht gerechnet“, stammelte Lilo, während sie mechanisch und wie geistesabwesend Kartoffeln, Gemüse und Fleisch auf den Tellern verteilte. Dann riss sie sich zusammen und sagte: „Ich muss mich bei dir entschuldigen.“ Ihre Augen wichen den seinen aus und wandten sich rasch dem Essen zu. „Ich hab nicht mehr daran geglaubt, dass du es schaffst. Es tut mir leid.“ Sie meinte es ernst.

      Auch wenn Lilo wusste, dass Tobias beim Schreiben Glück empfand, hatte sie darin bis zu jenem Zeitpunkt nur ein Hobby gesehen und nicht erwartet, dass er damit tatsächlich erfolgreich wurde.

      „Schatz, das ist eine großartige Sache, und ich will, dass du dich freust. Ich verstehe dich ja. Es ist nicht leicht, an jemanden zu glauben, der so oft Absagen bekommen hat wie ich. Aber jetzt möchte ich glücklich darüber sein, dass ich diese Chance erhalten habe.“

      „Und wie geht es jetzt weiter? Ich meine, kriegst du Vorgaben, wie lange hast du Zeit, wie funktioniert das alles?“

      „Das werde ich hoffentlich morgen erfahren“, antwortete er mit hochgezogenen Augenbrauen. Obwohl ihm all die Rahmenbedingungen, die dieser Auftrag mit sich brachte, unbekannt waren, machte sich zu seiner Überraschung keine Form der Nervosität bemerkbar, sondern vielmehr eine Art Vorfreude, die er in beruflicher Hinsicht so noch nie erlebt hatte. Die Tatsache, dass Peter Biber den finanziellen Aspekt bei seiner Zusage vollkommen ausgeklammert hatte, überraschte ihn. Hieß das automatisch, dass sie sein Angebot akzeptierten? Übertrieben hoch war sein Preis nicht angesetzt. Es war durchaus realistisch, dass es so durchging. Wahrscheinlich aber war dies Thema des Telefongesprächs am nächsten Tag oder des bevorstehenden persönlichen Treffens.

      Lilo blickte ihn an, nachdem sie das erste kleine Stück Fleisch auf ihre Gabel gespießt hatte, und hielt inne.

      „Was denkst du?“, fragte sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht.

      „Keine Ahnung. Ich bin sprachlos. Gerechnet habe ich selber nicht damit.“ Er trank einen großen Schluck Wein, als verschaffte ihm der Alkohol mehr Klarheit darüber, was soeben passiert war.

      „Na ja, du bist einfach gut“, entgegnete sie und nahm ihren ersten Bissen.

      Nie zuvor hatte sie so etwas zu ihm gesagt. Obwohl eine längst überfällige Anerkennung guttat, war er doch überrascht. Jetzt erst, nach dieser Auftragserteilung, wurde es ihr bewusst, dass in ihm Talent schlummerte? Oder war es jene Art von Kompliment, die ihrer Meinung nach nun sein musste, damit sie ihren Beitrag in Sachen Unterstützung ihres Ehemannes geleistet hatte?

      „Das ist lieb von dir“, entgegnete er. Nichts lag ihm ferner, als deswegen einen Streit zu entfachen, weil er in den vergangenen Jahren, als die gewinnbringenden Schreibjobs ausgeblieben waren, anerkennende Sätze so bitter nötig gehabt hätte. Doch mittlerweile durchschaute er ihre Art und hielt davon Abstand, solche Aussagen auf die Goldwaage zu legen, die zu ihren Ungunsten aus dem Gleichgewicht geriet.

      Tobias Gielding genoss den Abend mit seiner Gemahlin an der Seite, doch gedanklich war er woanders. Bei einer anderen Frau. Bei einer Persönlichkeit, die man kannte. Bei einer Erfolgsautorin, deren Werk er schreiben würde.

      Kapitel 5 – Das Kunstwerk

      Juli 1991

      Die Tür stand offen. Mit einem lauten „Hallo?“ betrat sie das Atelier von Roman Berger, seines Zeichens Maler und Installationskünstler. Er war ihr von ihrer Freundin empfohlen worden, da sie ihr Interesse an einem Porträt von sich bekundet hatte. „Er wird deine Seele nach außen kehren“, so Brigitta. Folglich schlich sie ins Atelier eines völlig Fremden, der trotz fix vereinbarten Termins offenbar nicht anwesend war und seine Räumlichkeiten unverschlossen hinterlassen hatte.

      „Herr Berger!?“ Paula drang zögernd weiter vor und passierte unzählige Bilder und Skulpturen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Abstrakte Malerei, Gesichter von Menschen, Zeichnungen von wilden Tieren, Gebilde aus Holz – all das befand sich in einem unverschlossenen, riesigen Raum.

      „Wer is’ denn des?“ Zwischen zwei Staffeleien tauchte ein älterer Mann mit zerzaustem Haar und Brille auf der Nase auf. Paula war zutiefst erschrocken und versuchte ohne Erfolg, eine verständliche Erklärung abzugeben.

      „Brigitta hat … Porträt von mir … Herr Berger?“

      „Die entzückende Schriftstellerin!“ Roman Berger schrie den Satz in Richtung der vor ihm an die Wand gelehnten Leinwand. Er hatte eindeutig auf den Termin mit ihr vergessen. „I hob so vü zum Tuan – entschuldigen’s, gnä Frau.“ Mit einem verlegenen Lächeln versuchte der Maler seine Verwirrtheit zu überspielen. Noch bevor er ihr einen vornehmen Handkuss mit den Worten „Küss die Hand, Gnädigste“ erteilte, nahm er sich die Brille von der Nase.

      „Herr Berger, es freut mich sehr.“ Paula lächelte, blickte dabei aber in ein erstauntes Gesicht. „Stimmt etwas nicht?“

      „Entschuldigen’s bitte. Sie san a Augenschmaus – i hob jo ka Auhnung ghobt. De liabe Brigitta hat so von Ihna gschwärmt, oba sie hod maßlos untatriebn. De Augen, der Mund … und Ihre rote Blusn passt Ihna perfekt. Afoch entzückend!“

      So wie Roman Berger die Worte mit seinem ausgeprägten Wiener Dialekt formulierte, klang es über alle Maßen ehrlich in ihren Ohren. Was hätte der in die Jahre gekommene Künstler auch davon, ihr zu schmeicheln, wenn er nicht tatsächlich so empfand? An Aufträgen mangelte es ihm nicht, wie ihr bekannt war. Paulas Gesichtsfarbe änderte sich spürbar, doch sie freute sich auf das Ergebnis und konnte es kaum erwarten, Steffen zum Geburtstag ein Porträt von sich zu überreichen.

      „Kumman’s!“ Der Künstler nahm Paulas Hand und führte sie in Form einer Erkundungstour durch sein Atelier. Immer wieder