Sabine Wolfgang

Wort für Mord


Скачать книгу

der ihr vor Jahren mit der Kündigung der Zusammenarbeit so wehgetan hatte, hinhalten und für dumm verkaufen, spielte sie auf Zeit und wartete dessen verdutzte Reaktion ab.

      „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“ Er verstand es, seinem Ärger mit den Augen und nur wenigen Worten auf eine Art Ausdruck zu verleihen, die jeden einschüchterte. Mit Peter Biber spielte man keine Spielchen.

      „Okay, tut mir leid.“ Was rede ich, dachte Paula, ich bin diejenige, die Verständnis verdient. Dann holte sie tief Luft und blickte dem Verlagsleiter entschlossen ins Gesicht. Ihr war bewusst, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: den Roman zu schreiben und ihren kranken Körper mit dem Druck, einen Abschlussbestseller zu verfassen, zu belasten oder Peter Biber jetzt die Wahrheit zu gestehen. Ihrer Gesundheit zuliebe entschied sie sich für Letzteres.

      „Ich bin schwer krank“, sagte sie mit fester Stimme, wobei ihre Worte durch den Raum schossen wie Pingpong-Bälle.

      „Was?“ Die Miene ihres Gegenübers änderte sich schlagartig. „Was … was haben Sie da gerade gesagt?“

      Zum ersten Mal, seit sie Peter kannte, kam es ihr so vor, als interessierte er sich für Paula, den Menschen, und nicht für die Erfolgsautorin.

      „Es ist Krebs. Ich will nicht darüber reden.“

      Peter war erschüttert. Zahlreiche Charaktere hatte Paula Hogitsch in ihren Romanen mit Worten ums Leben gebracht, doch jetzt befand sie sich selbst im Angesicht des Todes. Der Verlagsleiter räusperte sich verlegen, als er bemerkte, dass er gedanklich schon die Schlagzeile ihres Nachrufs formulierte. Und dann glaubte er, etwas anderes an Paula zu bemerken: Die immer leicht spröde wirkende Schriftstellerin erkannte, dass sie sich ebenso vor dem Sterben fürchtete wie ihre Figuren, die ihrem grausamen Schicksal hilflos ausgeliefert waren. Die sie dieser Angst aussetzte.

      Paula bat ihn inständig darum, es niemandem zu erzählen und besonders den Medien gegenüber Diskretion zu wahren. Die Information, dass die große Schriftstellerin Paula Hogitsch an Krebs litt, sollte keinesfalls das Verlagshaus verlassen. Sie hatte ihn nicht eingeweiht, weil sie ihm so vertraute, sondern nur deswegen, weil sie ihm durch die schriftliche Abmachung mit dem Verlag die Wahrheit schuldete. Nie und nimmer hätte er es akzeptiert, wäre sie ohne Angabe triftiger Gründe vom Vertrag zurückgetreten.

      Es würde ein Geheimnis zwischen ihm und wenigen eingeweihten Verlagsmitarbeitern bleiben, dass das 14. Werk von Paula Hogitsch nicht von ihr selbst stammte – denn eines war sicher: Es musste erscheinen. Die Fans warteten bereits ungeduldig auf den überall angekündigten neuen Roman.

      Kapitel 3 – Die Suche

      August 2008

      Peter Biber wusste, was zu tun war. Seit nunmehr 20 Jahren im Geschäft, hatte er mehrere Ghostwriter beauftragt, Bücher im Namen anderer zu verfassen, und dabei stets die richtige Wahl beim Aussuchen der Schreiber getroffen. Doch jemanden zu finden, der es schaffte, den Stil von Paula Hogitsch zu imitieren, stellte eine seiner bis dato größten Herausforderungen dar, im Zuge derer er sich sogar seinen früheren Partner Rainer Benson herbeiwünschte. Der Stil der Krimiautorin war seiner Meinung nach schwerer zu kopieren als der anderer in seinem Verlag publizierender Schriftsteller.

      Das Programm für die Wintersaison des kommenden Jahres stand fest. Sie hatten mit dem 14. und letzten Werk von Paula Hogitsch geworben, bevor überhaupt ein Konzept existierte. Peter Biber verstand etwas von geschicktem Marketing. Er besaß das Talent, bei seinen Lesern und dem Hogitsch-Fankreis im deutschsprachigen Raum Spannung aufzubauen, bis es das Werk in den Buchhandlungen zu kaufen gab. Auch eine Lesereise war wieder geplant. Den Startschuss würden sie einmal mehr im Thalia auf der Mariahilfer Straße im 6. Wiener Gemeindebezirk abfeuern, wie bei jedem anderen der 13 Werke zuvor. Eine mittlerweile lieb gewonnene Tradition, die er ein letztes Mal so beibehielt.

      Mit dem Hinweis „Es eilt!“ befahl Biber seiner Sekretärin Lucia Winter, Termine mit allen Ghostwritern zu vereinbaren, die seiner Meinung nach für „Zwischen den Zeilen“ infrage kamen. Die Schreiber wurden zu einem kurzen Gespräch geladen, in welchem die Verlagskommission deren spontane Einfälle zur Vorgabe testete. Nach einem Kurzbriefing waren die Schriftsteller angehalten, sich in den eigenen vier Wänden ein Konzept zu überlegen, wofür sie sieben Tage Zeit bekamen. Alle Exposés wurden dann zuerst von drei Lektoren gelesen und in einer Sitzung mit einem Kernteam besprochen. Die Entscheidung für einen Ghostwriter fiel direkt im Anschluss.

      Lucia hatte es geschafft, das Briefing in den letzten Tagen völlig ohne seine Hilfe zu verfassen und sämtliche Schriftsteller vorzuladen, mit welchen er im Begriff war, sich auszutauschen. Nach mittlerweile eineinhalb Jahren an seiner Seite entwickelte sie sich langsam zu der Art von Assistentin, die Peter behagte. Er würde sich bei ihr demnächst mit einer Einladung zu einem Mittagessen für ihren unermüdlichen Einsatz bedanken.

      „Ich grüße Sie. Mein Name ist …“ Noch bevor er ihn nennen konnte, war Peter Biber mit seinen Gedanken woanders. Den aktuellen Bewerber kannte der Verlagsleiter. Jedes seiner Werke aus dem Genre Regionalkrimi, erschienen in einem Konkurrenzverlag, war ein Erfolg gewesen.

      Er hatte insgesamt vier Autoren begutachtet, die ihre Konzepte abgegeben hatten. Garantiert gute Qualität lieferte zwar jeder von ihnen, doch keiner schien die Werke von Paula Hogitsch ausreichend zu kennen, um ihren Stil perfekt zu kopieren – eine Grundvoraussetzung, um in ihrem Namen zu publizieren.

      „Und, ist was dabei gewesen?“ Christopher Rose war einer der Lektoren, die sich um die Betreuung der Verlagsautoren, insbesondere von Paula Hogitsch, kümmerten.

      „Bin nicht überzeugt“, murmelte Peter, während er einmal mehr die Lebensläufe der Ghostwriter begutachtete und die Verschwiegenheitsvereinbarungen auf einen Stapel legte, die jeder einzelne zu unterzeichnen hatte. „Wer kein einziges von Paulas Werken kennt, wird es in den nächsten Monaten nicht schaffen, diese Wissenslücke schnellstmöglich zu schließen. Dafür fehlt uns die Zeit.“

      Peter legte die Latte Christophers Meinung nach – wie immer – hoch, doch jetzt die falsche Entscheidung zu treffen, könnte fatale Folgen für den Verlag haben. Im schlimmsten aller Fälle müssten sie die Ankündigung des Werks für den Herbst nächsten Jahres wieder zurückziehen, doch das wäre das erste Mal in der gesamten Verlagsgeschichte und eine höchst blamable Angelegenheit. Ihm war bewusst, dass so manch prominenter Schriftsteller, der in ihrem Verlag publizierte, eigene Haus- und Hofghostwriter anheuerte. Das Publikum kaufte es ihnen immer wieder ab, dass die Werke allesamt aus der Feder ihres Lieblingsautors stammten. Zumindest waren noch nie gegenteilige Meinungen oder Beschwerden durchgedrungen. Autor und Ghostwriter mussten zusammenpassen, und dieses Matching gleich einer Begegnung auf einer Dating-Plattform zu kreieren, stellte nicht die leichteste aller Aufgaben dar.

      Während Peter immer und immer wieder dieselben Exposés durchsah, als erhoffte er sich eine erst spät auftauchende Erleuchtung, holte ihn das Klingeln des Telefons aus seinen Überlegungen.

      „Jetzt nicht!“, fauchte er das Gerät an, als könnte er es mit seiner gereizten Aussage zum Verstummen bringen. Nach dem vierten Läuten nahm er dennoch ab. Seine Assistentin war am Apparat.

      „Lucia, Sie wissen doch, dass ich mich hier mit Christopher verschanzt habe.“

      „Tut mir leid, ja. Aber Herr Dorian Finz ist am Apparat. Einer der Herren Ghostwriter. Darf ich ihn durchstellen?“

      Peter verdrehte die Augen, verdeckte mit der Handfläche den unteren Teil des Telefonhörers und sagte zu seinem Kollegen: „Was genau an ‚Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an‘ verstehen die Leute eigentlich nicht?“

      Christopher schmunzelte. Der Verlagsleiter hatte den so überstrapazierten Satz, den kein Mensch je hören wollte, des Öfteren ausgesprochen, wenn er mit Leuten in Verbindung war, die etwas von ihm benötigten.

      „Ja“, grunzte währenddessen Peter unfreundlich in den Hörer und legte einmal mehr die Exposés auf einen Stoß zusammen, um sie gleich im Anschluss wieder vor sich auszubreiten.

      „Finz mein Name, grüß Sie Gott! Ich habe Ihnen vor ein paar Tagen mein Exposé für den Ghostwriting-Auftrag geschickt und …“

      Peter