Sabine Wolfgang

Wort für Mord


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leitete den Beifall ein, um die unangenehme Situation zu retten, woraufhin sich die Mundwinkel des Verlagsleiters nach oben zogen und er sogar eine Verbeugung andeutete.

      „Brillant“, flüsterte man durch den Raum.

      „Paula, was sagen Sie? Können Sie damit etwas anfangen?“ Peter forderte sie mit seinen direkten Fragen heraus.

      „Natürlich. Eine gute Geschichte. Ich möchte nur anmerken, dass sie der in ‚Unverhofft‘ ähnelt.“ Paula hatte sich über all die Jahre ihre vorsichtige Ausdrucksweise bewahrt. Das Thema war nicht neu.

      Der Blick von Peter ließ erkennen, dass er mit dem Titel des Buchs nicht viel anfangen konnte. Wie war jemand wie er nur in der Lage, diesen Verlag zu führen, wenn er sein eigenes Programm nicht einmal kannte?

      „Mein Neuntes?“, half ihm Paula auf die Sprünge.

      „Oh, tut mir leid.“ Seine Entschuldigung klang aufrichtig. „Ich kenne Ihren neunten Roman natürlich. Ähnlichkeiten bestehen, das lässt sich nicht leugnen, aber bestimmt nicht mehr als bei Ihren anderen Geschichten, wenn man sie miteinander vergleicht.“

      Das klang wie eine Beleidigung. Deutete er damit etwa an, dass sie aufgrund begrenzter Fantasie immer das Gleiche schrieb?

      „Es liegt an Ihnen, die Story abwechslungsreich zu gestalten und clever zu variieren. Was ich Ihnen vorgestellt habe, dient als Grundgerüst. Sie haben alle Freiheiten der Welt. Ich möchte nur, dass der kleine Ort als Location dient und zwei Morde unaufgeklärt bleiben. Die Atmosphäre in dem Kaff authentisch zu schildern dürfte Ihnen nicht schwerfallen. Sie wohnen doch in einem kleinen Ort.“

      Peter wiederholte sich, was Paula nicht leiden konnte.

      „Frankendorf“, warf sie ihm über den Tisch zu, ahnend, dass er damit nichts anzufangen wusste. Der Ort lag etwa 100 Kilometer von Wien entfernt. Paula war sicher, dass er nie etwas davon gehört hatte.

      All das ging ihr an diesem Morgen durch den Kopf, bevor sie ihren Computer in Betrieb nahm. In einer Woche sollte das Exposé vorliegen. Auch hierin unterschied sich der neue Verlagsleiter von Rainer Benson: Er verlangte detaillierte Konzepte mit einer Länge von etwa 20 Seiten.

      Rainer hatte ihr mehr vertraut und sie in Ruhe arbeiten lassen, sobald er nach einem kurzen Gespräch wusste, worüber sie schreiben wollte. „Klingt hervorragend“, lautete sein Standardkommentar zu ihren Ideen. Danach war sie ungestört in ihr Werk eingetaucht, ohne Kontrolle, ohne Druck. Paula seufzte. Wie sehr wünschte sie sich in solchen Momenten Peters Vorgänger zurück.

      Während ihr Computer hochfuhr, der aufgrund zunehmender Altersschwäche von Mal zu Mal mehr Zeit für diese Prozedur benötigte, versuchte sie, sich in die Geschichte hineinzudenken. Laufend passierten auf der ganzen Welt Morde, die unaufgeklärt blieben, doch Paula bevorzugte es stets, sich weniger mit den realen Verbrechern als vielmehr mit ihren Fantasiefiguren auseinanderzusetzen. Solange die Gräueltaten da draußen niemanden betrafen, den sie kannte, ließ sie all die Vorfälle in der Welt so wenig wie möglich an sich heran und lebte lieber in ihrem eigenen Universum mit den von ihr erschaffenen Protagonisten. Erfundene Figuren handeln zu lassen, so wie es ihr gefiel, und sie dazu zu bringen, zu tun, was sie verlangte, fand sie zeit ihres Lebens ansprechender.

      Um ihren Gedanken ungestört freien Lauf zu lassen, holte sich Paula einen Krug Wasser aus der Küche. Davon konnte sie nie genug kriegen. Es wirkte wie eine Droge auf ihre Kreativität und ihren kriminalistischen Spürsinn. Als sie das Gefäß aus dem Küchenschrank über Kopfhöhe nahm, fiel ihr ein Bleikristallglas entgegen, das sich zu knapp am Rand des Kastens befunden hatte und nun klirrend auf dem Boden landete. Es handelte sich um das letzte aus einer Serie, die von ihrer inzwischen verstorbenen Großmutter stammte. Das Glas zersprang in Tausende von kleinen Scherben.

      Bevor Paula den Krug mit Wasser füllte, beabsichtigte sie, die vielen winzigen Glasstücke, den Rest von Omas Vermächtnis, der am Küchenboden verstreut lag, aufzukehren. Beim Niederknien fuhr ihr ein stechender Schmerz durch den Kopf und verdunkelte sekundenlang das Bild vor ihren Augen. Ihre körperlichen Beschwerden meldeten sich zurück. Schwächelte bloß der Kreislauf, oder hatte der Krebs etwas damit zu tun?

      Seit einem Monat lebte sie völlig alleine mit der niederschmetternden Diagnose, doch sie war noch immer nicht bereit, Frank und die Kinder einzuweihen, und zu mutlos, die richtigen Worte zu finden. Hatte sie womöglich bald nicht einmal mehr ausreichend Kraft, um überhaupt darüber zu sprechen? Und ging es ihr nun wirklich wegen ihrer Krankheit so schlecht oder deshalb, weil sie von der Diagnose überrumpelt worden war? Manchmal wünschte sie, nicht zum Arzt gegangen zu sein. So wäre nach wie vor alles wie früher, und sie müsste sich nicht schlagartig mit Themen auseinandersetzen, die sie mehr in die Realität denn in die Fantasie zwangen.

      Der Schmerz wurde erträglicher, als sie sich einige Minuten auf ihrem Lesesessel ausruhte. Sie musste mit ihrer Arbeit beginnen, um später nicht unter Druck zu geraten – so eine Stresssituation würde sie in ihrem angeschlagenen gesundheitlichen Zustand kaum ertragen. Es gab keine andere Wahl, als sich zu zwingen und die Schwächemomente zu übertünchen. Sie war erfolgreich. Sie war Autorin. Sie war Paula Hogitsch.

      „Haben Sie schon mit Ihrer Familie gesprochen?“ Der Mediziner redete ihr seit drei Wochen ins Gewissen, doch er wusste genau, sie nicht dazu zwingen zu können und sich ferner nicht in ihre Angelegenheiten mischen zu dürfen. „Warum lassen Sie sich nicht helfen? Ihr Mann und Ihre Kinder haben ein Anrecht darauf, zu erfahren, wie es um Sie steht.“

      „Ich weiß.“ Paula versuchte, gefasst zu bleiben. „Ich schaffe es einfach nicht. Glauben Sie mir, ich werde es ihnen demnächst sagen. Aber bis dahin will ich die Zeit genießen, die mir mit meiner Familie bleibt.“ Mit Tränen in den Augen schluckte sie und wagte es nicht, ihren Arzt anzublicken.

      Frank würde sofort seinen Job aufgeben, was sie auf keinen Fall zulassen würde. Sie war nur imstande, die Krankheit zu besiegen, wenn sie viel Zeit alleine verbrachte und schreiben durfte. Doch sosehr sie sich seit der Diagnose Heilung durch ihre schriftstellerische Tätigkeit erhoffte, so konsequent wurde sie bis dato enttäuscht. Jedes Mal, wenn sie von einer leeren Seite am Computer angestarrt wurde, krampfte sich ihr Magen zusammen, als würde sie von einer ausweglosen Schreibblockade heimgesucht. Noch nie zuvor hatte sie so empfunden, wenn sie einem schriftstellerischen Vorhaben nachgehen wollte.

      Der Zwang, in den nächsten Tagen endlich ein Konzept fertigzustellen, hing über ihr wie ein Damoklesschwert. Die Schwierigkeiten, es zu erstellen, konnten kaum daran liegen, dass sie aus der Übung war. Schließlich hatte sie ihr letztes Werk erst vor ein paar Monaten abgeliefert. In den vier Wochen im Juli hatte sie sich die dringend nötige Ruhe gegönnt und sich vom Schreiben, Tüfteln und Grübeln zurückgezogen, doch in den Jahren zuvor war sie spätestens Anfang August gestärkt und voller neuer Ideen zurückgekommen und hatte im Nullkommanichts ein Konzept für das nächste Werk zu Papier gebracht, das sie – beflügelt von der neu entfachten Schreiblust – kurz darauf auszuarbeiten begann.

      Mangelte es ihr nun tatsächlich an Kraft und Konsequenz, weil der Krebs an ihr nagte? Schafften es die Medikamente und die bald startenden Behandlungen, den Verfall zu stoppen? Oder zumindest zu verhindern, dass sie sich fühlte wie jetzt? Vielleicht ging ihr nur ein schriftstellerisches Erfolgserlebnis ab, durch das sie Genesung erleben würde. In zwei Monaten erschien ihr 13. Roman „Im Duett“. Vielleicht würde sie durch seinen Erfolg einen Push erleben, den sie so dringend nötig hatte.

      Eine E-Mail von Peter Biber verriet ihr, dass er bereits auf das Konzept wartete, obwohl er ihr als Deadline den 1. September vorgeschrieben hatte, der erst in vier Tagen war. Wie es ihr in der Vorbereitung ginge, wollte der Verleger wissen. „Ich bin dabei“, fauchte Paula den unschuldigen Laptop an, als könnte sie Peter auf diese Art und Weise zufriedenstellen. An besagtem Tag würde er ein fertiges Exposé in seinem Posteingang vorfinden, woraufhin die richtige Arbeit begann. Der Zeitrahmen erstreckte sich wie immer bis Mai nächsten Jahres. So war sichergestellt, dass Lektorat und Druck eine Veröffentlichung im Oktober oder November, rechtzeitig zur Vorweihnachtszeit, garantierten.

      Nicht einmal so hilflos wie jetzt hatte sich Paula damals gefühlt, als sich abgezeichnet hatte, dass sich „In alle