Bernhard Kempen

Völkerrecht


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Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Bundesregierung bei der Ausübung der Auswärtigen Gewalt, 2011; V. Röben, Außenverfassungsrecht, 2007.

      Der Begriff der auswärtigen Gewalt bezeichnet die Gesamtheit derjenigen verfassungsrechtlichen Kompetenzen, die sich mit der Wahrnehmung der auswärtigen Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland befassen. Von dem Begriff der auswärtigen Gewalt wird allerdings auch schon der zeitlich vorgelagerte Akt der innerstaatlichen Willensbildung erfasst. Das Grundgesetz enthält eine Vielzahl an Vorschriften, die sich mit der Regelung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland beschäftigen, zu diesen zählen insbesondere die Art. 23, 24, 32 und 59 GG. Allerdings wird in keiner dieser Normen der Begriff der auswärtigen Gewalt explizit verwendet. Die Vorschriften sind zudem nicht in einem eigenen Abschnitt zusammengefasst, sondern finden sich in verschiedenen Teilen des Grundgesetzes.

      Unter der auswärtigen Gewalt ist keine vierte Gewalt zu verstehen, die eigenständig neben den drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative bestehen würde. Ihre Ausübung ist innerhalb des Systems der Gewaltenteilung auf die drei Gewalten entsprechend ihrer jeweiligen Funktion aufgeteilt. Die Träger der auswärtigen Gewalt werden zu ihrer Wahrnehmung durch das Grundgesetz allerdings nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Aus einer Gesamtschau der international ausgerichteten Vorschriften der Verfassung kommt nach allgemeiner Ansicht die Entscheidung des Grundgesetzes für eine „Offenheit des deutschen Verfassungsstaates“ zum Ausdruck. Die Bundesrepublik Deutschland verfolgt danach das Staatsziel, sich aktiv an der internationalen Zusammenarbeit zwischen den → Staaten zu beteiligen und an der Weiterentwicklung des Völker- und Europarechts mitzuwirken.

II. Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (Verbandskompetenz)

      Bei der Bestimmung des Trägers der auswärtigen Gewalt stellt sich in einem Bundesstaat zunächst die Grundsatzfrage, ob der Bund oder die Gliedstaaten für die Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt zuständig sein sollen. Für eine umfassende Bundeskompetenz spricht insbesondere, dass auf diese Weise eine einheitliche völkerrechtliche Repräsentanz und damit eine kohärente Außenpolitik ermöglicht und die Handlungsfähigkeit des Bundes erhalten wird. Zudem verfügt der Bund über ein stärkeres Gewicht bei Verhandlungen mit anderen Staaten als die einzelnen Gliedstaaten. Deshalb hat sich das deutsche Grundgesetz dafür entschieden, die Pflege der internationalen Beziehungen grundsätzlich der Zuständigkeit des Bundes zu unterstellen (Art. 32 Abs. 1 GG). Zu der Pflege der internationalen Beziehungen zählen z. B. die Durchführung der diplomatischen Missionen, die Aufnahme bzw. der Abbruch diplomatischer Beziehungen und die Anerkennung von Staaten.

      Eine ausschließliche Zuweisung der auswärtigen Gewalt an den Bund würde allerdings im Hinblick auf die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge Probleme aufwerfen. Der Bund könnte nämlich auf internationaler Ebene völkerrechtliche Verpflichtungen in Bereichen eingehen, die nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung im Innern der Zuständigkeit der Länder unterfallen und deren Regelung dem Bund daher eigentlich verschlossen ist. Dadurch könnten die Landeskompetenzen ausgehöhlt werden. Um der innerstaatlichen Kompetenzverteilung Rechnung zu tragen, ist es daher erforderlich, in diesen Bereichen (auch) die Länder zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu berechtigen.

      Der Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes bereitet insofern keine Probleme. Dem Bund steht hier die ausschließliche Vertragsschlusskompetenz zu. Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz besteht ebenfalls eine umfassende Zuständigkeit des Bundes, soweit er von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat. Haben die Länder im Vorfeld der Gesetzgebungstätigkeit des Bundes ein völkerrechtliches Abkommen geschlossen, wird dieses ex nunc unwirksam (str.).

      Bis heute wird die Zuständigkeit für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge unterschiedlich beurteilt, wenn der Vertragsinhalt der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfällt. Dieser Fall wird von Art. 32 Abs. 3 GG erfasst, von dieser Vorschrift allerdings nicht eindeutig und abschließend geregelt. Gem. Art. 32 Abs. 3 GG können die Länder mit Zustimmung des Bundes völkerrechtliche Verträge mit auswärtigen Staaten abschließen. Zur Interpretation dieser Vorschrift werden drei Theorien vertreten:

      Nach der „zentralistischen Theorie“ ist der Wortlaut des Art. 32 Abs. 3 GG („können“) so zu verstehen, dass dem Bund grundsätzlich eine unbeschränkte Kompetenz zum Abschluss und zur innerstaatlichen Umsetzung (Transformation) völkerrechtlicher Verträge zusteht und die Länder lediglich eine konkurrierende Zuständigkeit besitzen. Zur Begründung führen die Vertreter dieser Auffassung die grundsätzliche Regelung in Art. 32 Abs. 1 GG an, die das Prinzip des einheitlichen Auftretens des Bundesstaates nach außen enthalte. Die Gegenansicht, die „föderalistische Theorie“, sieht dagegen den Verweis auf die Gesetzgebungskompetenz der Länder als die entscheidende Maßgabe an. Das Verhältnis der Gesetzgebungszuständigkeiten müsse sich in der völkerrechtlichen Vertragsschlusskompetenz widerspiegeln, damit die Kompetenzen der Länder nicht ausgehöhlt werden könnten. Nach einer vermittelnden Ansicht soll der Bund ein umfassendes Recht zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge besitzen. Im Gegensatz zur zentralistischen Auffassung verbleibt nach der vermittelnden Ansicht die Umsetzung des geschlossenen Vertrages allerdings in der alleinigen Zuständigkeit der Länder und ist nicht auf den Bund übergegangen.

      In der Praxis haben sich der Bund und die Länder im sog. Lindauer Abkommen vom 14.11.1957 auf eine pragmatische Lösung für diese unklare Verfassungslage verständigt. Danach erkennen die Länder die Zuständigkeit des Bundes auch in Angelegenheiten ihrer ausschließlichen Gesetzgebungszuständigkeit an, soweit diese Bestimmungen in entsprechenden völkerrechtlichen Verträgen typischerweise enthalten sind oder einen untergeordneten Bestandteil des Vertrages bilden, der Vertrag im Übrigen aber zweifelsfrei in die Kompetenz des Bundes fällt. Im Gegenzug hat sich der Bund dazu verpflichtet, die Länder möglichst frühzeitig zu informieren und deren Einverständnis vor der Unterzeichnung des Vertrages einzuholen.

      Im Rahmen des Zuständigkeitsbereiches des Bundes ist weiterhin zu differenzieren, welche Organe des Bundes in welchem Umfang vom Grundgesetz mit der Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt betraut sind.

      Die völkerrechtliche Vertretungsbefugnis ist ausdrücklich dem Bundespräsidenten zugeordnet, Art. 59 Abs. 1 GG. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten, er beglaubigt und empfängt die Gesandten. Diese Kompetenzen ermächtigen den Bundespräsidenten allerdings nur zur Wahrnehmung einer formalen Vertretungsfunktion.

      Der Bundespräsident darf dagegen nach allgemeiner Ansicht nicht die inhaltlichen Ziele der deutschen Außenpolitik bestimmen. Eine solche Kompetenz wäre mit der beschränkten politisch-gestaltenden Rolle des Bundespräsidenten unvereinbar. Diese Einschränkung findet in der Verfassung zwar keine ausdrückliche Erwähnung, lässt sich allerdings aus der allgemeinen Stellung des Bundespräsidenten in der Verfassung herleiten und steht im Einklang mit der Staatspraxis. Aus diesem Grund besitzt der Bundespräsident z. B. keine Befugnis zur Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland bei internationalen Verhandlungen.

      Die inhaltliche Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt fällt nach h.M. in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Exekutive, soweit eine Beteiligung der Legislative vom Grundgesetz