Bent Gebert

Wettkampfkulturen


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nicht offen legt, sondern verbirgt; und selbst als die Zweikämpfer sich namentlich zu erkennen geben, hindert sie dies nicht, den Wettkampf in dialogischer Form fortzusetzen. Mit seiner Herzmetapher vertieft der Erzähler somit ein Wettkampfmuster des latenten Nicht-Wissens, das Abgrenzungen zunächst zu sichern scheint, aber im nächsten Schritt nur umso tiefer verwirrt. Diese Dynamik bleibt natürlich nicht verborgen, weder für die intradiegetischen Zuschauer noch für den Rezipienten. Trotzdem erscheint der Zweikampf wie ein Emergenzphänomen. Ein tapferer Mann hasst keinen tapferen Gegner, wenn dieser ihm auch Schaden zufügt – Daz wart an in zwein wol schîn, bekräftigt Hartmann das Wettkampfparadox (V. 7369), unmittelbar bevor Iwein und Gawein ihre Identität enthüllen. Das aber heißt: Keiner der Figuren für sich genommen ist diese paradoxe Form in vollem Maß bewusst oder verfügbar. Vielmehr zeigt sich im literarischen Zweikampf (schîn), was mehr ist als die Summe der Akteure. Das wirft im wahrsten Sinne des Wortes narratives Kapital ab, wie sich wiederum im Vergleich zu Chrétien zeigt. Dass gleiche Gegner wie Iwein und Gawein einander nichts schuldig bleiben, ihr Kampf aber trotzdem Überschüsse produziert, vergleicht Hartmann (sechsfach ausgedehnter als seine Vorlage26) mit Leihen und Schulden, Rückzahlungen und Zinserträgen (V. 7143–7227). Was als lebensweltlicher Scherz befremden könnte (Artusritter als Kaufleute?), ist ein komplexitätstheoretisch sensibler Vergleich: Wie die Form des Zweikampfs allgemein ihre Gegner einander zurechnet, so lassen sich latente Wettkämpfe im Besonderen nur durch weitere formale Investitionen aufdecken, nicht aber in einem punktuellen Zustand oder Bewusstseinsakt bündeln. Dies ist für den gesamten Roman von Bedeutung, dessen Protagonist zu keinem Erzählzeitpunkt soziale Motive, Verpflichtungen oder Identität zu bündeln und bewusst zu halten vermag.

      (3.) Paradigmatisch ist der Gerichtskampf zwischen Iwein und Gawein schließlich für ein Wettkampferzählen, dessen untergründige Paradoxien über sich hinaus wuchern.27 Im Widerstreit von Verbergen und Enthüllung entwickelt der Zweikampf zwei Schleifen von je drei Wendungen, bevor Artus eingreift. Gleichzeitig ist die gesamte Episode Teil einer Erzählstruktur, die ebenfalls mehrfach aus- und einlagert. In zwei Gerichtskämpfe – um Lunete und sodann im Erbstreit der Schwarzdorntöchter – werden Aventiuren mit Wettkämpfen gegen Riesen eingelagert. Zweimal taucht Iwein damit in Binnenerzählungen hinein und wieder auf, um sich dem Gerichtskampf abschließend zu stellen. In zeitlicher Hinsicht werden dadurch Handlungsaufschub und Erwartung gedehnt,28 in formaler Hinsicht werden Wettkämpfe in die Kontexte übergeordneter Wettkämpfe komplex eingeordnet.29 Für die ältere Forschung erwuchsen daraus Fragen an die Schemavariationen des Doppelwegs. Entscheidender für die Fragestellung dieser Arbeit ist jedoch die Beobachtung, dass der Iwein-Roman auch in seiner Makrostruktur ähnlich mit Ein- und Auslagerungsbeziehungen experimentiert, wie sich offener Streit der Schwestern zum paradoxen Wettstreit im Herzen der Gerichtskämpfer verpuppt, von wo er wieder zur öffentlichen Konkurrenz um Ehre hervorbricht, die schon zu Romanbeginn die Erzählrunde der Artusritter bestimmte.

      Iweins Wettkampf mit Gawein markiert somit Ausgangs- und Schlusspunkt des Aventiurewegs zugleich. Traditionell hatte ihm die Forschung daher ein hohes symbol- und erzählstrukturelles Gewicht beigemessen, ohne seine Entwicklungsrichtung grundlegend infrage zu stellen. Könnte die paradoxe Form des latenten Kampfes, auf die Hartmanns Bearbeitung besonders hinweist, damit den Roman ebenfalls grundlegender prägen, als thematisch orientierte Lektüren zu zeigen vermochten? Mehrfach unternimmt der Iwein-Roman schließlich Versuche, die Unterscheidungskraft von Kämpfen in komplexem Nebeneinander einzulagern und wiederum Differenzen auseinander zu stellen, also koordinativ und subordinativ zu ordnen. Dadurch entsteht eine Reihe experimenteller Relationen, die je nach Zugriff übereinander und nebeneinander erscheinen können: Im Blick auf die Identität des Protagonisten, die sich als ritterlicher Habitus phasenweise über die schmutzige Haut der Wildheit schichtet, Iwein aber ebenso in metonymischer Gestalt seines Löwen zur Seite steht; in den Sphären männlicher bzw. weiblicher Landesherrschaften des Artus- bzw. Laudine-Hofs, die sich nebeneinander behaupten, Iwein jedoch in Priorisierungsprobleme verwickeln; aber auch auf Ebene übergeordneter Erzählschemata, die Iweins Fristversäumnis, Flucht und Rückkehr in die höfische Welt nebeneinander als Rechtsbrecherroman (Volker Mertens), Erlösergeschichte und Feenmärchen lesbar machen (Ralf Simon), die zugleich von der Desintegration und Reintegration der ritterlichen Person in die höfische Kultur handeln (Bruno Quast). Hartmanns zweiter Artusroman scheint an solchen Kombinationen von horizontalen bzw. vertikalen Strukturen zu arbeiten, die ineinandergreifen können, sich aber ebenso nebeneinander stellen lassen. Wie weit trägt es für die Erforschung des Romans, eine dieser Lektürehypothesen zu bevorzugen?

      Die folgende Analyse sucht stattdessen zu erweisen, dass Hartmanns Iwein eine spezielle »Komplexitätstoleranz« gegenüber solchen Strukturfragen auslotet:30 im Erzählen von Wettkämpfen, die zwar nacheinander dargeboten, auch gelegentlich verschachtelt werden, unter formalen und funktionalen Gesichtspunkten jedoch weder auf Linearität noch auf Fixzustände zielen. Vielmehr erlaubt der agonale Erzählmodus der Latenz, zwischen geringeren oder größeren Komplexitätsgraden hin- und herzuwechseln, Vielfalt aufzudecken oder zu verbergen. Für biographisch fundierte Erzählkonzepte wie für Konfliktlösungserwartungen des Artusromans liegt darin zum einen die Zumutung, Identitäten weniger als Fortschritte von Krisenbewältigung, Lernwegen und Einsicht zu betrachten, sondern als komplexe Inkorporierungsdynamiken des Ein- und Ausschließens (von Beginn an verbirgt Iwein seine Pläne und Verpflichtungen in sich, V. 2962, die er nach dem rhetorischen Muster des Selbstgesprächs ausführlich mit dem Rezipienten teilt);31 zum anderen konfrontiert Hartmanns Iwein mit ritterlichen Kämpfen, die soziale Ordnung nicht schärfen und disambiguieren, sondern bis zuletzt verunsichern. Die Form der Latenz macht derartige Komplexität skalierbar: Sie wird erträglich, indem sie Unterscheidungen aufdeckt und vervielfältigt, aber ebenso zu kondensieren, zu verdecken und scheinbar zurückzunehmen vermag. Weil diese Vervielfältigung von Identität auf einer Erzählkunst der Dosierung beruht, bezeichne ich sie im Folgenden als ›höfische Latenz‹.

      Ich rekonstruiere dieses Experiment in drei Schritten, indem ich zunächst einen Blick auf Vervielfältigungsstrategien des Romans werfe. Sie prägen verschiedene Motive, Handlungen und Erzählerkommentare, die verborgene Differenzen aufdecken: Sie enthüllen die Schichten von Iweins Körper, öffnen sich geradezu bodenlos in der Frage nach der Identität des Löwenritters; sie werden in öffentlichen Anklageszenen artikuliert und in Gerichtskämpfen inszeniert, aber auch im strît des Erzählers mit frou minne auf Diskursebene verdoppelt, der Iweins latente Doppelverpflichtung als Artus- und Laudineritter offenlegt. In einem zweiten Schritt ist anschließend zu fragen, welche Gegenbewegungen diese Kämpfe und Differenzen wiederum verbergen. Drittens prägen Aufdecken und Verbergen nicht nur die Ebene der Wahrnehmung, sie erschöpfen sich weder in rhetorischer Imaginationssteuerung noch in der Problematisierung von Erkennensvorgängen, wie sie die Forschung registrierte.32 Ihr Zusammenspiel, so die Synthese, etabliert vielmehr Transformationsbeziehungen der Latenz, die in umfassendem Sinne Figuren und ihre Relationen, erzählte Entwicklungen wie auch den Erzählprozess selbst zwischen Einfachheit und Komplexität changieren lassen.

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