Bent Gebert

Wettkampfkulturen


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dem Zusammenhang gerissen klingt dies nach konventionellen Elementen der Minnewerbung. Im Kontext der Transformationsbewegung, die den aufgedeckten Widerstreit in die verbergende Rede des Gesamt-Ich überführt, lässt sich dies jedoch als signifikante Verflüssigung lesen: Nach der Einfaltung des inneren Streitzustandes gewinnt die Klage jene kommunikative Außenrichtung zurück, die zu Beginn durch Zweifel blockiert schien. Man kann dies als Analogon einer Tugendprobe verstehen,96 sollte aber nicht übersehen, dass nicht Zustände, sondern allein der Prozesscharakter des Wettkampfs dieses kommunikative Potenzial regeneriert. Nicht als normativer Bezugspunkt oder vermeintliche Einsicht in richtige ›Werte‹ hilft stæte Kontingenz zu überbrücken, so wäre dann zu folgern, sondern als eine diskursive Praxis fortgesetzten Streits, der seine Konsistenz zusammenfasst. Die Strophenstruktur der Schlussrede hebt in ihren identischen Kreuzreimen dieses Konsistenzinteresse auch formalästhetisch hervor.

      Hartmanns Klage spielt damit, diese latente Streitkomplexität nicht bloß ganz allgemein zur Stimme eines jungen Mannes zusammenzufassen, sondern zugleich als Autorperson des Textes zu deklarieren. Schon die Einleitung lässt grammatisch in der Schwebe, Hartmann entweder als Parallelfall oder sogar als Erfahrungsträger der latenten Klage zu identifizieren:97

       daz waz von Ouwe her Hartman,

       der ouch dirre klage began

       durch sus verswigen ungemach.

       sîn lîp zuo sînem herzen sprach:

      […] (V. 29–32)

      Die Auftaktrede des Körpers greift den Namenszusatz, gleichsam eponym für den Sprechakt des Klagens und durch Initiale im Ambraser Heldenbuch hervorgehoben, unmittelbar auf: Ouwê, herze und dîn sin (V. 33). Auch die Schreibung des Heldenbuchs selbst nähert Klage und Autor lautlich wie graphemisch einander an.98 Ähnlich wie Heinrichs von Neustadt Übertragung der Visio Philiberti oder die Mariendichtung Heinrichs von Mügeln ermöglicht auch die Wettkampfordnung von Hartmanns Klage, ihre Konsistenzgewinne zu einer Autorperson zu kondensieren.

      Damit öffnen sich weitere Wirkungsebenen von Wettkampfformen, die bis zur Formung ihrer Autorreflexion ausgreifen. Ein gemeinsamer Zug scheint ihr Verlängerungsinteresse zu sein. Statt auf ewigen Frieden, wie ihn die Erzähltradition der Seelenkämpfe seit Prudentius ersehnte,99 zielt Hartmann auf Ausweitung und Vertiefung des Kampfes. Die Klage demonstriert, dass »Täuschung, Verstellung und Verkennen« nicht bloß »komplexe und vielschichtige Erzählmotive« höfischer Literatur bilden.100 Vielmehr erzeugt und sichert ihre Ein- und Ausfaltungsdynamik eine Komplexität literarischer Kommunikationsinstanzen, die begriffsgeschichtlichen Interessen weitgehend verborgen blieb. Hartmanns vergleichsweise kürzerer Text geht damit über eine komplizierte Minnereflexion weit hinaus, als die man die Klage lange verstand und marginalisierte. Ihre Arbeit zielt vielmehr auf Vervielfältigung des Selbst nach Innen, die unter erhöhtem Kontingenzbewusstsein der Rede neue Redemöglichkeiten generiert.

      2.5 Wettkampfethik: Thomasin von Zerclære und die Habitualisierung der Unordnung

      Die Liebeserfahrung, von der Hartmanns Vervielfältigung des Selbst ausgeht, bewog die Forschung, Resonanzen der Klage vornehmlich im Minnesang zu suchen.1 Systematische Anschlussstellen sind zahlreich zu greifen: Unerfülltes Liebesbegehren treibt das Ich in kämpferische Spaltungsphantasien zwischen herze und lîp (Friedrich von Hausen);2 Kontingenz von Kommunikation wird nicht nur als Ausdrucksproblem beklagt, sondern vervielfacht die Rollen erlebender und ästhetischer Ich-Artikulation (Heinrich von Morungen);3 Unordnungen von Seele, Herz und Körper werden zum Argument für neue Sprachspiele der Liebe (Walther von der Vogelweide).4 Aber auch narrative Reflexionen führen Experimente mit latenter Vervielfältigung fort, die weit über den Liebesdiskurs hinausreichen.

      Einen besonders aufschlussreichen Fall stellt der Welsche Gast (1215 / 1216) Thomasins von Zerclære dar,5 der das Latenzmodell des Seelenkampfes zur Selbstbeschreibung höfischer Ethik adaptiert.6 Um die Verstetigung des höfischen Habitus zu illustrieren, greift auch Thomasins Lehrdichtung im VI. Buch (V. 6799–8470) zu traditionsreichen Allegorien des Kampfes. Wer Heil im Jenseits erwerben wolle, der müsse schon im Diesseits permanent kämpfen – mit der Fahne der Tugenden gegen das Teufelsheer der Laster (V. 7369–7384):

       swenn wir tuon ihtes unreht,

       der tiuvel uns ân den schilt s lecht.

       sô sul wir danne kêren dar

       der guoten gedanke breite schar

       unde suln daz unreht lâzen,

       sô muoz danne der vînt verwâzen

       von uns in der helle gluot.

      (V. 7373–7379)

      Thomasins Appell bezeugt zweierlei, sowohl das externale Modell des Seelenkampfes als auch neue Züge der Interiorisierung. Zum einen führt die Frage des richtigen Lebens auf den Spuren der Psychomachia zu einem imaginären Kampfplatz zwischen Teufel und Gott, irdischer Verführung und jenseitigem Gericht, Hölle und Himmel. Hatte das VI. Buch mit einer Reihe alttestamentarischer Exempel von Mühsal und belohntem Gottvertrauen eröffnet (Joseph, Moses, David), so führt Thomasin wenige Verse später vier Schlachtverbände von Lastern vor Augen, denen sich jeder edel rîter guot (V. 7385) zu stellen habe:

       Nu nemt war, edel rîter guot,

       wie sich dort machet Übermuot

       wider iuch mit ir schar:

       ir solt sî undermachen gar.

      […] (V. 7385–7388)

       Sich umbe, edel rîter guot,

       und merke waz Girescheit tuot.

       si wâsent sich mit ir gesint.

      […] (V. 7395–7397)

       Seht ir niht der Unkiusche schar

       diu sich dort hât gewâfent gar?

       in ir schar vert Leckerheit,

       Vrâz und ouch Trunkenheit.

      […] (V. 7401–7404)

       Diu trâkeit hât ouch ir schar

       gewâfent und bereitet gar.

      (V. 7411f.)

      Laster, die sich sofort wuchernd zu vervielfältigen drohen (z.B. V. 7398–7400), sind mit besonderer Aufmerksamkeit zu bekämpfen: nu wer dich, edel rîter, wer! (V. 7466). Dem dichotomen Differenzmuster entsprechend hält ihnen Thomasin die allegorische Montur eines Ritters entgegen, der mit der Fahne der Weisheit, dem Schwert des Rechts, dem Schild der Klugheit, in der Rüstung der Sicherheit und dem Helm des Glaubens gegen diese anreitet. Dem Pferd der Hoffnung solle er die Sporen der Tapferkeit geben, fest im Sattel der Beständigkeit und das Zaumzeug der Keuschheit fest in der Hand, den Speer der Demut gegen die Untugenden gerichtet (V. 7470–7500). Umbesetzungen sind nicht von der Hand zu weisen: Konfigurierte Prudentius eine Oppositionsstruktur von Tugenden und Lastern, so werden Tugenden zur Montur des Subjekts verwandelt: »Der ritterliche Protagonist muss die übermächtig wirkenden Lasterscharen vielmehr allein bestehen, was die Spannng beträchtlich erhöht.«7

      Gleichwohl setzen die Beschreibungstechniken, die Thomasin in dichter Folge aufbietet, grundsätzlich das Leitmodell veräußerlichter Seelenkämpfe fort, wie es die Psychomachia vorgeprägt hatte: Aufzählung und Clusterbildung von Tugend- und Lasterbezeichnungen, allegorische Beschreibung der Rittergestalt, evidenzorientierte Anweisungen8 und vorwiegend externe Raumdeixis9 stülpen das Kampfszenario imaginär nach Außen. Auch Thomasins heilsgeschichtliche Typologie der Kampfaufforderung,10 seine Denunziation teuflischer