Nancy Omreg

Tara


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gewohnt wurde nach wenigen Minuten meines ziellosen Umherschauens die Verkäuferin etwas unruhig und kam daher auf mich zu, um zu fragen, ob ich etwas Bestimmtes suchte. Immer dieses Misstrauen. Als ob schwarz gekleidete Menschen automatisch stehlen würden, als ob sie kein Geld hätten etwas zu kaufen. Wenn sie wüsste, was bereits so ein Ledermantel kostete, den ich trug, würde sie im Vergleich zu ihrem Gehalt eher sich für einen potentiellen Bankräuber halten als mich für einen Dieb.

      Trotzdem wies ich sie freundlich daraufhin, dass ich mich nur umschaute und ging seelenruhig zum nächsten Regal. Zögerlich, mit einem prüfenden Blick auf mich, ging sie zurück zu ihrer Kasse. Inzwischen hätte jeder ihre Kasse leeren können, aber hauptsachte der Grufti stahl keine Zeitung für 1,50 DM.

      Als ich gerade in einem historischen Roman über das Mittelalter blätterte und mir überlegte es zu kaufen, hielt mir von hinten jemand die Augen zu. Der vanilleartige Duft, welcher mit schwebte, verriet mir, dass Fine endlich angekommen war. Um mir ein bisschen Spaß zu gönnen, tastete ich über ihre Hände und Arme und meinte

      „Kristin? Schön, dass du meiner Einladung gefolgt bist und doch mit kommst.“

      „Wie bitte?!“, ertönte die empörte Stimme meiner Freundin und ich drehte mich breit grinsend zu ihr herum. „Ach, das ist gemein. Wie kannst du mir nur so einen Schrecken einjagen.“ Gespielt beleidigt zog sie eine Schnute.

      Kristin war eine ehemalige Kommilitonin von uns, die Fine gar nicht leiden konnte, was im Übrigen auf Gegenseitigkeit beruhte. Allerdings schien Kristin aus irgendeinem Grund mich ganz sympathisch zu finden, was Fine stets große Geduld und starke Nerven ab-verlangte, wenn sie uns in der Uni über den Weg lief und sich mit mir unterhalten wollte. Zum Glück geschah dies aber eher selten, da sie den Studiengang gewechselt hatte, sodass Fine in ihrem jungen Alter noch nicht zu Valium greifen musste.

      Ich gab Fine ein Küsschen auf die Wange und hielt ihr mein Objekt der Begierde unter die Augen.

      „Noch ein Buch?“, meinte sie und nahm es mir aus der Hand um den Rückenumschlag zu betrachten. „Na für den Preis, nimm es mit“, antwortete sie und drückte es mir wieder in die Hand.

      Mit einem viel zu übertriebenen Lächeln ging ich zur Kasse und überreichte es der Verkäuferin.

      „Doch noch etwas gefunden?“, war ihr bissiges Kommentar zu meiner ungefähr zwanzig minütigen Suche.

      „Ein Buch ist doch keine Klatschzeitung, die man in ein paar Sekunden kauft“, antwortete ich zynisch, aber dennoch mit einem übertriebenen Lächeln und einen abfälligen Blick auf ihre, mit wenig Niveau auskom-mende Illustrierte, in der sie nebenbei las, wenn keine Kundschaft vor ihr stand.

      Ohne ein weiteres Wort verlangte sie den Preis, gab mir das Wechselgeld und murmelte nur noch „N’ schön’ Tag“ ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen.

      „Danke, den wünsche ich ihnen auch“, antwortete ich freundlich und immer noch lächelnd. Insgeheim fragte ich mich, ob ich dieses falsche Grinsen je wieder aus dem Gesicht bekommen würde.

      „Was war denn das?“, wollte Fine von mir wissen, als wir den Laden verlassen hatten.

      „Ach, wie immer das Gleiche.“ Mir war klar, das Fine nicht wusste, was ich meinte, denn sie verbrachte nie so lange Zeit wie ich in einem Buch- oder Zeitungsladen, aber sie fragte nicht weiter nach. Stattdessen hakte sie sich bei mir ein und zog mich in Richtung der Bäckerei, in der ich zuvor einen Kaffee genoss.

      „Noch einen Kaffee bevor wir los machen?“, fragte sie mich.

      Ich nickte grinsend. „Du hattest schon einen hier getrunken bevor ich kam, richtig?“

      „Ja, habe ich, aber einer geht immer noch.“ Wir bestellten zwei Kaffees und stellten uns mit ihnen an einen Stehtisch. Fine hatte sich noch ein belegtes Brötchen dazu gekauft.

      „Wieder keine Zeit zum Frühstücken gehabt?“, neckte ich sie.

      „Hey, es kostet sehr viel Zeit so gut auszusehen“, scherzte sie und biss genüsslich in ihr Brötchen. Ich lachte

      „Stimmt, ist schon schwierig sich die Zähne mit Petersilie zu dekorieren.“ Sofort griff sie zu ihrem Handspiegel und prüfte ihr Gebiss.

      „Mist, egal lohnt sich erst nach dem Essen zu entfernen. Musst du mich eben so ertragen.“ Mit einem breiten Lächeln zeigte sie mir ihre Zähne und ich verschluckte mich daraufhin an meinem Kaffee.

      Nachdem wir fertig waren, gingen wir zum Bahngleis. In wenigen Minuten würde der Zug kommen und ich konnte es kaum noch erwarten die Luft der Hauptstadt zu schnuppern und das für ein ganzes Wochenende. Weg von der Uni, weg von Max, weg vom Alltag. Endlich wieder etwas Neues erleben, neue Eindrücke, neue Klamotten, neue… Männer.

      Ja, neue Männer, warum nicht? Schauen konnte ich ja mal. Bereit für etwas neues würde ich wahrscheinlich noch lange nicht sein, aber ich stellte fest, dass ich grundsätzlich nicht jedem Mann abgeneigt war, so wie ich noch vor ein paar Tagen dachte. Fine hatte recht, schauen, was noch so herumläuft konnte ja nicht schaden.

      Frohen Mutes stieg ich in den Zug. ‚Hallo Welt, ich bin wieder da’ dachte ich mir ‚und nichts kann mich bremsen!’

      Die Zugfahrt war ganz amüsant gewesen. Fine kramte sämtliche alte Geschichten heraus, die wir zusammen schon erlebt hatten und wir lachten uns schlapp darüber.

      Zum Beispiel als ich ihr nach einer Semester-auftaktparty nach viel zu vielen Tequilas weismachen wollte, dass ich nur 0,1 Promille hätte, obwohl ich kaum noch laufen konnte oder wie der Verkäufer in einem Sexshop uns lüstern anfing zu beraten, als wir in der Toyabteilung uns genauer umsahen.

      Auch fiel uns die Geschichte ein, als wir an einem FKK-Strand von einem Typen belagert wurden, der meinte, dass er Fotograf wäre und uns ganz groß herausbringen wollte, natürlich maximal in Bikinis. Er war so aufdringlich gewesen, dass wir schließlich das Weite suchen musste, weil nicht nur seine Art so penetrierend war.

      Die Zugfahrt ging jedenfalls sehr schnell vorbei. Wir konnten gerade noch so unseren Lidstrich nachziehen, der durch Lachtränen verwischt war, dann mussten wir auch schon aussteigen.

      Vom Hauptbahnhof ging es weiter mit der U-Bahn nach Kreuzberg. Von der Haltestelle liefen wir noch einige Minuten bis wir unsere Pension erreichten. Überall wimmelte es nur so von Menschen. Potsdam war ja gewiss keine kleine Stadt, aber Berlin war doch noch mal ein Unterschied, auch hinsichtlich der Leute. Natürlich begegneten uns auch hier abwertende Blicke, aber nach wenigen Sekunden hatte man sich auch satt gesehen, vielleicht weil an der nächsten Ecke auch wieder eine, für anderen Geschmack, skurrile Person auftauchte. Einige schauten uns auch eher neugierig an und wiederum andere beachteten uns gar nicht.

      Glücklich lief ich mit Fine zur Pension und betrat ebenso glücklich unser winziges Zimmer. Es war alles andere als luxuriös. Es war nicht einmal schön. Es war zweckmäßig. Wir wollten uns hier aber sowieso nicht großartig aufhalten. Wir brauchten es nur zum Schlafen, Duschen und um unsere Sachen irgendwo unter zubringen und genau diese Ansprüche erfüllte es auch.

      Es stand ein Doppelbett drin, ein kleiner Kleiderschrank, sogar ein winziger Fernseher war da. Wenn man auf die Toilette musste, konnte man sich gleich während dem Geschäft die Hände im Waschbecken waschen oder die Füße unter die Dusche halten. Perfekt.

      „Ohlala, so hatte ich mir das schon vorgestellt“, meinte Fine und legte ihre Sachen auf das Bett. Ich wartete, bis sie zur Seite gegangen war, um auf meine Seite des Bettes zu gelangen. Der Weg zwischen Bett und Fernsehschrank war halt sehr schmal.

      Es war von vornherein klar gewesen, dass sie die Seite des Bettes bekam, die näher am Bad war, da sie sowieso eher wach werden würde als ich und wir nicht wollten, dass sie über mich klettern musste um heraus zu gelangen.

      „Naja, ich würde mal sagen ‚Auf unser Wochen-ende’!“, meinte Fine, während sie eine Flasche Sekt aus ihrer Reisetasche holte und den Korken knallen ließ.

      „Oh klasse, Erdbeersekt!“, grinste ich und freute