kein Motiv hätten, wären sie nicht sonderlich verdächtig und deshalb dachte ich, ich kürze einfach ab.
WATTSEN: Ich würde es begrüßen, wenn du die Sache eher traditionell angehen würdest.
SHYLOCK: Du meinst, mit ausufernden Verhören, bei denen man genau zuhören muss, um mitzukriegen, wo ihr Motiv liegen könnte.
WATTSEN: Wenn es dir keine Umstände macht.
SHYLOCK: Na meinetwegen. (zu Emilia) Frau Draeger, schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Erzählen Sie doch mal, wie sind Sie zum Sportschießen gekommen?
EMILIA: Naja, das war so. Ich war ja damals auf der Schule im Basketballkurs.
WATTSEN: (raunt) Vielleicht nicht so ausufernd?!
SHYLOCK: Zu spät!
EMILIA: Die Präzision hat mir sehr gefallen. Ein Ziel anzuvisieren und es dann zu treffen. Ich wollte eine Zeitlang Biathletin werden. Aber ich habe festgestellt, dass ich Skifahren nicht mag. Also bin ich einem Schützenverein beigetreten. Ich liebe es, zu schießen.
SHYLOCK: Es sollte mehr Frauen wie Sie geben.
EMILIA: Finden Sie?
WATTSEN: (stößt ihm in die Rippen)
SHYLOCK: Wie lange sind Sie schon in dem Verein?
EMILIA: Seit 25 Jahren.
SHYLOCK: Wie oft waren Sie in dieser Zeit Schützenkönigin?
EMILIA: Meinen Sie die Frau an der Seite des Schützen oder die Frau, die den Vogel abgeschossen hat?
SHYLOCK: Letzteres.
EMILIA: Neun mal!
SHYLOCK: Glückwunsch.
EMILIA: Danke.
SHYLOCK: Gab es jemals Unfälle.
EMILIA: Sie meinen, dass Mike den Sieg für sich beansprucht hat, obwohl eigentlich ich den Vogel abgeschossen hatte?
SHYLOCK: Hmmm, ja, warum nicht?
EMILIA: Ja, das ist vorgekommen.
WATTSEN: Und gab es Unfälle, bei denen jemand verletzt wurde?
EMILIA: Nein, so was gab es nie. Wir waren immer sehr vorsichtig.
SHYLOCK: Sehr schön. Wer ist Mike?
WATTSEN: Das Opfer.
SHYLOCK: Oh.
WATTSEN: Mike Götsch.
EMILIA: Er war so ein bisschen der Star von unserem Verein. War neun Jahre lang in Folge Schützenkönig. Wenn er dieses Jahr wieder gewonnen hätte, hätte der Verein ihm einen Preis von 25.000 Euro auszahlen müssen.
SHYLOCK: Und ich nehme mal an, der Verein hat nicht soviel Geld. Weswegen die Polizei annimmt, der Vereinsvorsitzende hätte Mike umgebracht, um sich um die Auszahlung zu drücken.
WATTSEN: Die nennen das ein Motiv.
SHYLOCK: Nicht nur die. Ich würde das sogar ein ausgesprochen brauchbares Motiv nennen.
EMILIA: Er war ein guter Schütze.
SHYLOCK: War er besser als Sie?
EMILIA: Och, wissen Sie…
SHYLOCK: Nur keine falsche Bescheidenheit.
EMILIA: Nein.
SHYLOCK: Hmmm, diese Unstimmigkeit von der Sie sprachen, als Mike gewonnen hat, obwohl eigentlich Sie die Gewinnerin gewesen wären. Wann war das?
EMILIA: Letztes Jahr. Vorletztes Jahr. Und vor zehn Jahren.
SHYLOCK: Hatten Sie davor neunmal in Folge gewonnen?
EMILIA: Das hatte ich.
SHYLOCK: Gab es damals schon den Preis?
EMILIA: Ja, den gab es. Und ich hätte ihn fast gewonnen.
SHYLOCK: Wäre Mike nicht gewesen?
EMILIA: Wäre Mike nicht gewesen!
WATTSEN: Das ist ein gutes Motiv.
SHYLOCK: Nein, das wäre ein gutes Motiv gewesen. Vor zehn Jahren.
EMILIA: Habe ich Ihnen weiterhelfen können?
SHYLOCK: Nicht unbedingt.
EMILIA: Das tut mir leid.
SHYLOCK: Ist ja nicht Ihre Schuld. Sie können immer noch den Mord gestehen.
EMILIA: Lieber nicht. (erhebt sich) Das Wasser schmeckt merkwürdig.
SHYLOCK: Das tut mir leid. Ich wohne noch nicht so lange hier.
WATTSEN: Danke für Ihre Hilfe.
EMILIA: Gern geschehen. (sie bringen sie zur Tür)
SHYLOCK: Was genau ist eigentlich passiert?
EMILIA: Ich hatte den Vogel genau getroffen, aber dann ist Mike vorgestürmt und hat sofort geschossen, obwohl es meine Schüsse waren, die ihn herunter geholt haben. Es ist nicht mal sicher, ob Mike überhaupt getroffen hat oder ob der Vogel von selbst gefallen ist.
SHYLOCK: Ich meinte eigentlich an dem Tag, als Mike ermordet wurde.
EMILIA: Da waren wir auf dem Schießstand. Den ganzen Nachmittag. Haben die neue Waffe ausprobiert. Schönes Stück.
WATTSEN: Die Tatwaffe?
EMILIA: Das sagte man mir, ja. Theo hatte sie gerade neu gekauft für den Verein. Und wir durften alle damit schießen. Es war herrlich.
SHYLOCK: Und dann?
EMILIA: Sind wir gegangen. Nachdem Theo die Waffe weggeschlossen hatte. Schönes Stück, sehr schönes Stück.
SHYLOCK: Sie sind alle gegangen?
EMILIA: Ja. Es ist ja nicht so, als würden wir mit den Waffen ins Bett gehen. Ach, Theo hat wirklich Glück gehabt.
SHYLOCK: Inwiefern?
EMILIA: Dass er mit einer so schönen Pistole erschossen wurde.
SHYLOCK: Danke für Ihre Hilfe.
WATTSEN: Ich bringe Sie noch zu Ihrem Wagen.
SHYLOCK: Auf Wiedersehen, Frau Draeger.
EMILIA: Wiedersehen, Herr Holmes. (geht raus)
WATTSEN: Ich passe auf, dass sie draußen niemanden anschießt. (geht raus)
SHYLOCK: Guter Gedanke. (geht zu seinem Computer) Ich glaube, weibliche Waffennarren sind genauso wie weibliche Kegelclubs in Zügen – schlimm, aber auf eine andere Art schlimm als Männer. Nur gut, dass meine Partnerin keine Waffe hat. Wenn sie wüsste, dass ich unsere Firma beim Wetten verloren habe… Naja, sie muss es ja nicht wissen. Noch hab ich die Möglichkeit, sie zurück zu gewinnen. Mal sehen, wie meine Quoten stehen!
Dritte Szene
(Die Wohnung. Wattsen kommt herein. Sie ist in Begleitung von Werner Hirthe.)
WERNER: Und Sie sind ganz sicher, dass ich nicht zu früh bin?
WATTSEN: Sie sind absolut pünktlich.
WERNER: Gut. Ich wollte nicht zu früh kommen.
WATTSEN: Seien Sie unbesorgt.
WERNER: Danke. Darf ich mal Ihre Toilette benutzen?
WATTSEN: Natürlich. (sie führt ihn durch den Raum) Das ist übrigens mein Kollege, Shylock Holmes.
SHYLOCK: Hallo.
WERNER: Ich muss Ihre Toilette benutzen. (verschwindet durch die Tür)
SHYLOCK: Ist der nicht etwas früh dran?
WATTSEN: Lass das! Und woher willst du das wissen, immerhin habe ich die Zeugen eingeladen.
SHYLOCK: Ich dachte, es wären Verdächtige.