Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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an einer Heilmaßnahme beteiligten Ärzten – bspw. Anästhesist und Operateur[568] – in solchen Fällen, in denen sich die Gefährdung des Patienten gerade aus dem Zusammenwirken mehrerer Ärzte bzw. einer Unvereinbarkeit der von ihnen angewendeten Methoden oder Instrumente ergibt.[569]

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      Bei dieser Zusammenarbeit gilt der oben (Rn. 85 ff.) dargestellte Vertrauensgrundsatz: Die Beteiligten dürfen sich grundsätzlich auf die fehlerfreie Mitwirkung des Kollegen aus der anderen Fachrichtung verlassen.[570] Andernfalls wäre jeder Mitwirkende gezwungen, seine Aufmerksamkeit auf die korrekte Arbeit der anderen Beteiligten zu richten (soweit er dies überhaupt zu beurteilen vermag),[571] statt sich auf seine eigene Arbeit zu konzentrieren, womit die Vorteile der Arbeitsteilung hinfällig würden.[572] Eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht nicht.[573] Diese Entlastung von eigener Verantwortlichkeit endet aber dann, wenn offensichtliche Qualifikationsmängel[574] oder Fehlleistungen erkennbar werden, da dann keine Gewähr mehr dafür besteht, dass auch der Kollege des anderen Fachgebiets seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfüllt.[575]

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      Der Vertrauensgrundsatz kann mithin dann keine Anwendung finden, wenn dem Vertrauen auf richtiges Verhalten anderer erkennbar die Grundlage entzogen ist,[576] sobald also Umstände erkennbar sind, die ernsthafte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Vor- oder Zuarbeiten des Kollegen begründen. Diese Begrenzung des Vertrauensgrundsatzes greift nicht nur dann ein, wenn der Arzt die Fehlleistung des Kollegen tatsächlich erkennt, sondern bereits dann, wenn diese Fehlleistung für ihn erkennbar war. Da aber keine gegenseitige Überwachungspflicht besteht, wird – um die patientennützlichen Vorteile der Arbeitsteilung nichts aufs Spiel zu setzen – zu verlangen sein, dass insoweit konkrete Verdachtsmomente für eine Fehlbehandlung vorliegen, mithin ernsthafte Zweifel am Vorgehen lege artis bestehen oder bestehen müssten. Für die Frage der Erkennbarkeit sind hierbei die Anforderungen zugrunde zu legen, die an einen Facharzt in entsprechender Situation zu stellen sind.[577] Infolge der dem (mit-)behandelnden Arzt gegenüber dem Patienten obliegenden Schutzpflicht hat er dann den Patienten vor einer Fehlleistung seines Kollegen zu bewahren bzw. nicht in blindem Zutrauen auf korrektes fremdes Handeln selbst den Patienten zu schädigen.[578] Tut er dies nicht, so kommt infolge seiner – nun nicht mehr vom Vertrauensgrundsatz zurückgedrängten – Gesamtverantwortung (Rn. 85) für die Gesamtheit der in verschiedenen Händen liegenden ärztlichen Tätigkeiten Fahrlässigkeitsstrafbarkeit in Betracht, und zwar entweder als Begehungstäter (Beispiel: Ein niedergelassener Arzt setzt die von den Fachärzten des Krankenhauses fälschlich angeordnete, erkennbar schädliche Medikamentation fort[579]) oder als Unterlassungstäter (Beispiel: Der Anästhesist hindert den Chirurgen nicht an der Durchführung des Eingriffs, obwohl dieser infolge Erschöpfung oder Krankheit erkennbar nicht mehr zur Einhaltung des Facharztstandards in der Lage ist).

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      Sie ist durch Weisungsberechtigung einerseits, Weisungsgebundenheit der Angewiesenen, denen die selbstständige Wahrnehmung von Aufgaben[580] übertragen wurde, andererseits gekennzeichnet. Ein derartiges Über-Unterordnungsverhältnis besteht sowohl bei der ärztlichen Zusammenarbeit (z.B. zwischen Chefarzt/Oberarzt/Assistenzarzt[581]) als auch im Verhältnis von behandelndem Arzt und dem ihm zuarbeitenden nichtärztlichen medizinischen Personal (wie etwa OP-Schwester, Hebamme[582] oder Pflegepersonal[583]).

aa) Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Anweisenden (Delegierender)[584]

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      Werden einzelne Tätigkeiten zulässigerweise[585] auf weisungsgebundene Hilfspersonen übertragen, so ist der die Behandlung leitende Arzt dafür verantwortlich, dass diese für ihre Aufgaben fachlich hinreichend qualifiziert sind.[586] Er muss erkennbare Mängel durch besondere Anleitung und Überwachung ausgleichen sowie ungeeignete Personen von der Behandlung fernhalten.[587] Ferner muss er den sich auch hier aus der Zusammenarbeit mehrerer Personen ergebenden Gefahren von Kommunikations- und Koordinationsmängeln entgegenwirken, weil die Zulässigkeit von Arbeitsteilung die Verständigung zwischen den beteiligten Personen voraussetzt.[588] Da der Anweisende diejenigen Gefahren – soweit ihm möglich – auszuschalten hat, die erst durch die Verteilung der heilkundlichen Tätigkeit auf mehrere Personen entstehen,[589] muss er seine Anweisungen klar und verständlich, unter Umständen auch schriftlich geben.[590] Auch hat er durch genaue Aufgabenverteilung und sonstige geeignete Maßnahmen (z.B. Eintragungen im Krankenblatt) für das sachgemäße Ineinandergreifen der einzelnen Tätigkeiten zu sorgen.[591]

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      Jedoch ist der Delegierende, solange nicht besondere Umstände die Zuverlässigkeit einer Hilfsperson generell oder im konkreten Fall (etwa wegen Übermüdung[592]) in Frage stellen, nicht verpflichtet, besondere Vorsorge gegen denkbare Sorgfaltsmängel zu treffen,[593] da eine Pflicht zur lückenlosen Überwachung die – ja auch patientennützliche – Arbeitsteilung auch hier zum Erliegen brächte.[594] Der Anweisende darf also, wenn nicht besondere Umstände diesem Vertrauen entgegenstehen, auf die Sorgfalt, Umsicht, fachliche Qualifikation und Gewissenhaftigkeit seiner Hilfskräfte angesichts ihrer eigenen unmittelbaren Primärverantwortlichkeit vertrauen.[595] Insoweit genügen (sind aber umgekehrt auch erforderlich[596]) regelmäßige stichprobenartige Überprüfungen.[597] Die Intensität der Überwachungspflichten hängt ab von der Schwierigkeit der Aufgabe, den mit ihr verbundenen Risiken sowie vom konkreten (Weiter-)Bildungsstand des Angewiesenen.[598] Sobald jedoch konkrete Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Erfüllung der übertragenen Teilaufgabe sichtbar werden, besteht trotz der Delegation[599] die Pflicht zur sofortigen schadensvermeidenden Intervention.[600] Dies gründet darauf, dass im hierarchischen Verhältnis fachlicher Über- bzw. Unterordnung das schadensfreie Gelingen der Aufgabe mit all ihren Einzelmaßnahmen – ungeachtet des Vertrauensgrundsatzes – grundsätzlich in der Alleinverantwortung des Weisungsberechtigten liegt (Prinzip der Allzuständigkeit).[601]

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      Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit des Delegierenden setzt erst dann ein, wenn sich infolge seines Sorgfaltsmangels gerade diejenige Gefahrenquelle auswirkt, um derentwillen diese Sorgfaltspflicht besteht. Dies ist bspw. nicht der Fall, wenn (so das Beispiel von Stratenwerth[602]) der Arzt einer hierfür unzureichend qualifizierten Lernschwester die selbstständige Durchführung eines Einlaufs überträgt (anstatt – wie erforderlich – den Vorgang zu überwachen), die Lernschwester aber versehentlich eine verwechslungsfähige Flasche mit einer ätzenden Flüssigkeit hierbei verwendet: Da sich die Sorgfaltspflicht des Arztes nur auf die sachgemäße Durchführung des Einlaufs bezog und für die Möglichkeit einer Verwechslung von Flaschen keine Anhaltspunkte gegeben waren (der Verletzungserfolg also auch bei sorgfaltsgemäßem Verhalten des Arztes eingetreten wäre[603]), entfällt eine Strafbarkeit des Arztes aus § 229 StGB.

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      Der Delegierende kann sich im Übrigen nicht dadurch entlasten, dass er sich auf eine etwaige – zusätzliche – Pflichtwidrigkeit des Angewiesenen (Rn. 99 f.) beruft, die im Ausführen der fehlerhaften Weisung lag: Abgesehen davon, dass sich ohnehin niemand wirksam zu seiner Entlastung auf ein Mitverschulden eines Anderen berufen kann,[604] besteht angesichts der Gesamtverantwortlichkeit[605]