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Handbuch des Verwaltungsrechts


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erachtet wird: Teilweise wird etwa ein Vorverfahren in Baugenehmigungsverfahren für entbehrlich erachtet, während es in Kommunalabgabenangelegenheiten für unerlässlich gehalten wird; in anderen Ländern ist es genau umgekehrt.[108] In der (kommunalen) Praxis ist zudem mit verschiedenen Konstruktionen versucht worden, trotz Abschaffung des Vorverfahrens zu verhindern, dass betroffene Bürger zur Vermeidung der Bestandskraft verwaltungsgerichtliche Klagen erheben, ohne der Behörde Möglichkeiten der Selbstkorrektur zu geben.[109] Dies hat nunmehr den niedersächsischen Gesetzgeber dazu bewegt, in § 80 Abs. 3 des Niedersächsischen Justizgesetzes (NJG)[110], der Behörde zu ermöglichen, gegenüber Verwaltungsakten, die auf Grundlage abschließend aufgezählter Rechtsvorschriften erlassen werden, die Notwendigkeit eines Vorverfahrens anzuordnen (sog. „Behördenoptionsmodell“). Dabei wird angenommen, dass diese Anordnung bezogen auf vergleichbare Bescheide nur einheitlich ergehen kann.[111] Damit werden letztlich Art und Umfang des dem Bürger gewährten Rechtsschutzes von einer behördlichen Entscheidung abhängig gemacht. Zu begrüßen sind dagegen die Bemühungen einiger Bundesländer, die Befriedungsfunktion des Widerspruchsverfahrens u. a. durch mündliche Erörterungen zu stärken.[112]

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      Bürokratieabbau

      An die Diskussion zur Genehmigungsverfahrensbeschleunigung der 1990er Jahre knüpfte die Debatte zur Mittelstandsförderung durch Bürokratieabbau an, die 2003 mit der „Initiative des Bürokratieabbaus“ der rot-grünen Bundesregierung in die politische Umsetzung ging[113] und in das Gesetz zur Umsetzung von Vorschlägen zu Bürokratieabbau und Deregulierung aus den Regionen vom 21.6.2005[114] mündete. Dieses hob mehrere Berichts- und Informationspflichten auf, liberalisierte aber auch etwa das Gaststättenrecht sehr weitgehend.[115] Das Projekt wurde von der großen Koalition mit dem „Programm Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“ aufgegriffen,[116] was zur Einsetzung des Nationalen Normenkontrollrats[117] und zu drei Gesetzen „zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere im Bereich der Mittelständischen Wirtschaft“[118] führte, die ebenfalls zahlreiche Melde- und Berichtspflichten reduzierten. Diese Initiativen nahmen damit die Deregulierungsaufträge der RL 2006/123/EG über die Dienstleistungen im Binnenmarkt[119] vorweg. Seit 2014 werden diese Bemühungen als „Arbeitsprogramm Bessere Rechtsetzung“[120] fortgesetzt, das in bisher drei „Bürokratieentlastungsgesetze“ mündete.[121] Insgesamt zeichnet sich die Bürokratieabbaudiskussion durch einen wesentlich pragmatischeren Ansatz im Vergleich zu der nahezu ideologisch geführten Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsdiskussion der 1990er Jahre aus. Sie führte damit (in Teilbereichen) zu einem Bewusstsein der Gefahren der Überregulierung, nicht aber zu Forderungen nach einer generellen Umstrukturierung des Verwaltungsrechts. Heute ist sie auch in Zusammenhang mit den Versuchen zu sehen, die Digitalisierung der Verwaltung (ernsthaft) voranzutreiben.[122]

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      Privatisierung und Regulierung

      In den 1990er Jahren wurde auch deutlich, dass die notwendigen Investitionen in die staatlichen Infrastrukturen auf herkömmliche Weise nicht mehr zu finanzieren waren.[123] Jedenfalls wurde eine herkömmliche Finanzierung für politisch nicht mehr darstellbar gehalten. Dies verbunden mit einem allgemeinen Misstrauen in die Innovationskraft öffentlicher Unternehmen führte zu einem nahezu vollständigen Umbau weiter Zweige der bisherigen Leistungsverwaltung im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Post– und Bahnreform von 1993/1994, aber auch das Aufbrechen bisheriger Stadtwerkemonopole waren insoweit das sichtbarste Zeichen. Hieraus entwickelte sich das Regulierungsverwaltungsrecht und die hierauf aufbauende[124] Vorstellung eines Gewährleistungsverwaltungsrechts.[125] Dabei war diese Entwicklung zunächst nicht so sehr gemeinschaftsrechtlich veranlasst, als dass sie auf einer „autonomen“ Übernahme eines angelsächsisch inspirierten Regulierungsbegriffs durch Deutschland und andere europäische Staaten beruhte.[126] Es ging letztlich um die Suche nach Alternativen zur staatlichen Eigenwirtschaft vor allem im Bereich der Netzwirtschaften.[127] Ursprünglich war das Regulierungsrecht dabei wohl als Privatisierungsfolgerecht konzipiert, mittlerweile ist Regulierung jedoch als Daueraufgabe der Marktbegleitung anerkannt.[128] Was die rechtlichen Instrumentarien angeht, ist die Regulierungs- und Gewährleistungsverwaltung gegenüber der staatlichen Eigenerbringung von Leistungen sicherlich nicht einfacher geworden.

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      Ausschreibungsverwaltung und Public Private Partnership

      Ähnlich komplex und mit den „Bordmitteln“ einer normalen Behörde nur schwer zu bewältigen ist der gesamte Bereich der vertraglichen Kooperation zwischen der Verwaltung und Privaten und damit der Bereich der ebenfalls seit Mitte der 1990er Jahre aufgrund der kritischen Finanzlage in Bund, Ländern und Kommunen in den Vordergrund gestellten Public Private Partnerships. Der Gesetzgeber brachte sein Interesse hieran mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften vom 1.9.2005[129] zum Ausdruck. Die hiermit zusammenhängenden Probleme sind mit dem von Martin Burgi geprägten Begriff der „Ausschreibungsverwaltung“ auf den Punkt gebracht worden.[130] Auf einer ersten Ebene stellt sie bereits bei der Leistungsbeschreibung, also der Erstellung des Anforderungsprofils für die künftige Leistungserbringung/den künftigen Leistungserbringer, erhebliche Ansprüche an die Verwaltung.[131] Bereits dies kann erhebliche Abhängigkeiten von Beratern bei der Entscheidungsfindung und die Gefahr einer faktischen Entmachtung „an sich“ zuständiger Entscheidungsträger (z. B. des Gemeinderates) begründen.[132] Hauptproblem ist aber die Sicherstellung eines angemessenen Vertragsmanagements und Vertragscontrollings, wobei die Schwierigkeiten hier vor allem in dem erheblichen Wissensvorsprung des privaten Vertragspartners bestehen, aber auch in der zunehmenden Abhängigkeit der Verwaltung von dem privaten Dienstleister, je weiter das Projekt fortgeschritten und je mehr sein Scheitern auch als Verwaltungsversagen angesehen wird.[133] Die bisherige Behandlung des Verwaltungsvertragsrechts primär unter dem Aspekt einer angenommenen Schutzbedürftigkeit des privaten Vertragspartners kann hier keine Antworten geben. Der Schwerpunkt muss in der Entwicklung einer Vertragsgestaltungslehre und einer praxistauglichen Ausgestaltung der Vertragsdurchführungsphase liegen.[134] Der 2004 erstellte Bund-Länder-Musterentwurf zur Aufnahme des sog. Kooperationsvertrags in das VwVfG[135] ging an diesem Problem eher vorbei.[136] Desaster wie der 2002 mit dem Betreiberkonsortium Toll-Collect geschlossene 17.000 Seiten umfassende Maut-Konzessionsvertrag[137] und die Ausgestaltung der Kündigungsfolgen bei den ebenfalls vom BMVI geschlossenen Mautverträgen vom 22.10.2018[138] zeigen, dass selbst Bundesministerien mit der Redaktion derartiger Verträge (offenbar auch wiederholt in ähnlichen Zusammenhängen) überfordert sein können.

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      „Neues Steuerungsmodell“

      Während sich die Reformleitbilder des „schlanken Staates“ bzw. des „aktivierenden Staates“[139] eher auf die Makroebene der Staatsaufgaben und damit auf das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft (und vor allem die Wirtschaft) bezogen, war das aus dem „New Public Management“ hervorgegangene, maßgeblich von der KGSt Anfang der 1990er Jahre entwickelte „Neue Steuerungsmodell“ letztlich auf die Mikroebene der internen Verwaltungsorganisation und Abläufe ausgerichtet, die nach betriebswirtschaftlichen Managementmodellen (re-)organisiert werden sollten.[140] Gunnar Folke Schuppert nennt als „Kernelemente“ des „Neuen Steuerungsmodells“:



- den Aufbau einer unternehmensähnlichen, dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur;
- eine Outputsteuerung durch Schaffung von Instrumenten zur Steuerung der Verwaltung von der Leistungsseite her, insbesondere auch mittels eines Kontraktmanagements;