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Handbuch des Verwaltungsrechts


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dass es die Eingliederungsvereinbarung als verbindlichen öffentlich-rechtlichen Vertrag i. S. d. §§ 53 ff. SGB X qualifiziert[178] und Vereinbarungen, die nicht individuell auf die Bedürfnisse des Leistungsberechtigten zugeschnitten waren, wegen „Formenmissbrauchs“ nach § 58 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 134 BGB für nichtig (und damit ihre Missachtung durch den Leistungspflichtigen für nicht sanktionierbar) erachtete.[179] Insgesamt dürfte es der Rechtsprechung damit (mittlerweile) gelungen sein, durch „Ernstnehmen“ des Regelungsmodells der Eingliederungsvereinbarung angemessen auf Fehlentwicklungen bei der Umsetzung des SGB II zu reagieren.[180] Ob und in welchem Umfang dieses hoch anspruchsvolle System tatsächlich und nachhaltig in der täglichen Verwaltungspraxis der Jobcenter mit Leben gefüllt wird, müsste jedoch genauer untersucht werden.

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      Querschnittsaufgaben und Vorbildfunktionen

      Seit den 1990er Jahren werden immer mehr allgemeine Förderaufgaben, Diskriminierungsverbote und Staatsziele in das Grundgesetz[181] und die Landesverfassungen[182] aufgenommen. Hiermit geht einher, dass auch die Gesetzgebung die Zuständigkeit zur Erfüllung bestimmter Verwaltungsaufgaben vermehrt in der Form ausgestaltet, dass sie als von allen Behörden (neben und „bei Gelegenheit“ der Erfüllung ihrer „eigentlichen“ Aufgaben) als Querschnittsaufgaben wahrzunehmen sind. Dies betrifft etwa die besonderen Pflichten der öffentlichen Hand

- im Gleichstellungsrecht (z. B. nach dem Bundesgleichstellungsgesetz [BGleiG][183] und den Landesgleichstellungsgesetzen);
- bei der der Förderung der Teilhabe behinderter Menschen (vgl. § 165 S. 3 SGB IX und die besonderen Barrierefreiheitsverpflichtungen der Behindertengleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder);
- nach den besonderen Regelungen für „öffentliche Stellen“ beim Datenschutz;
- zur Bearbeitung von Ansprüchen nach den Informationsfreiheits- und Transparenzgesetzen;[184]
- zur Datenbereitstellung nach den E-Government-Gesetzen des Bundes und der Länder (z. B. nach § 12a, § 14 EGovG[185]), dem Informationsweiterverwendungsgesetz (IWG)[186] und dem Geodatenzugangsgesetz (GeoZG)[187];
- zur Berücksichtigung „vergabefremder Zwecke“ bei der Auftragsvergabe, wie etwa die Pflicht zur Berücksichtigung mittelständischer Interessen nach § 97 Abs. 4 GWB oder Pflichten zur Beachtung bestimmter sozialer und ökologischer Standards nach einigen Landesvergabegesetzen oder nach den klassischen „Kunst am Bau“ Verpflichtungen;
- in Zusammenhang mit den zunehmend komplizierter werdenden Regelungen zur Steuerpflicht der öffentlichen Hand und den hiermit verbundenen besonderen Rechnungslegungspflichten;
- nach den §§ 13 ff. des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG)[188], die der öffentlichen Hand eine umfassende „Vorbildfunktion“ beim Klimaschutz zuschreiben.[189]

      Die Aufzählung zeigt, dass der Unterschied zwischen diesen hier als Querschnittsaufgaben bezeichneten Aufgaben und der allen Behörden obliegenden Zuständigkeit zur internen Organisation und zur Personal-, Beschaffungs- und Sachmittelverwaltung darin liegt, dass die Erfüllung der Querschnittsaufgaben nicht Voraussetzung für die sachgemäße Erfüllung der der jeweiligen Behörde „eigentlich“ zugewiesenen Aufgaben ist. Mit den Querschnittsaufgaben werden andere Politikziele (Gleichstellung, Klimaschutz, Transparenz, Datenschutz etc.) verfolgt. Diese Politikziele sollen dadurch erreicht werden, dass alle Behörden sie unabhängig von den ihnen konkret zugewiesenen „eigentlichen“ Aufgaben aktiv (unter Einsatz ihrer Ressourcen) verwirklichen sollen.

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      Querschnittsaufgaben und Behördenausstattung

      Mit derartigen Regelungen wird von dem Grundsatz abgewichen, dass der Gesetzgeber Verwaltungsaufgaben den Behörden zuweisen soll, die nach ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung zur Erledigung dieser Aufgabe am besten in der Lage sind.[190] Die unbestritten bestehende Pflicht zur Wahrnehmung der Querschnittsaufgabe besteht damit unabhängig davon, ob der Behörde die zu ihrer Erfüllung benötigten sachlichen, finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Dies ist nicht selbstverständlich, da die Behördenausstattung i. d. R. allein an den „eigentlichen“ Verwaltungsaufgaben der jeweiligen Behörden ausgerichtet wird.[191] Der (in Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsrecht) gegebene Hinweis des BVerwG, in derartigen Fällen gehöre (auch) die Querschnittsaufgabe „zum originären Aufgabengebiet der Behörde“, diese müsse Vorsorge dafür treffen, dass mit ihrer Bearbeitung „die ordnungsgemäße Wahrnehmung ihrer sonstigen Aufgaben nicht erheblich beeinträchtigt wird“ und sie habe sich auf die mit den Querschnittsaufgaben verbundenen (Zusatz-)Aufgaben einzustellen,[192] mag bei „großzügig“ ausgestatteten (Bundes-)Behörden zutreffend sein, dürfte aber bei den meisten Landesbehörden, Kommunen oder auch Hochschulen am Problem vorbeigehen. Unabhängig davon verlangt die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Querschnittsaufgaben entsprechend befähigtes Personal, das zugleich im Hinblick auf die „eigentlichen“ Zuständigkeiten der Behörde sachkundig sein muss, damit die Erfüllung der Querschnittsaufgabe in die „eigentliche“ Aufgabenwahrnehmung der Behörde implementiert werden kann. Dies kann einen unter Umständen erheblichen Weiterbildungs- und Umschulungsaufwand auch für solches Personal generieren, das für die „eigentlichen“ Aufgaben gut qualifiziert ist. Gerade deshalb kann die Querschnittsaufgabe von den Behördenmitarbeitern als bloße „Zusatzaufgabe“ wahrgenommen werden, die sie bei der Erfüllung ihrer „eigentlichen“ Aufgaben behindert, indem sie für diese „eigentlichen“ Aufgaben benötigte Sach- und Personalmittel bindet und zusätzlichen Aufwand generiert, dessen Sinn sich aus der Perspektive des „eigentlichen“ Auftrags der Behörde nicht zwingend erschließen muss. Dieses Problem verschärft sich, wenn die Pflicht zur Erfüllung der Querschnittsaufgabe nicht als sachlich begründet, sondern eher als Aufgabe mit „Umerziehungscharakter“, als Ausdruck von „Symbolpolitik“ oder als impliziter Vorwurf verstanden wird, sich in der Vergangenheit nicht an Verfassungsgebote gehalten zu haben. Die zunehmende „Empörungskultur“, die mit ihrer eigenen Art auf tatsächliche oder angebliche Umsetzungsdefizite bei bestimmten Querschnittsaufgaben reagiert, kann die Pflicht zur Wahrnehmung von Querschnittsaufgaben zudem als „gefahrgeneigt“ für die persönliche Karriere erscheinen lassen.

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      Verantwortungsklarheit bei Querschnittsaufgaben

      Darüber hinaus sind die bestehenden „regulären“ Rechts-, Fach- und Dienstaufsichtsstrukturen oft ebenfalls nicht auf Querschnittsaufgaben zugeschnitten. Auch sie orientieren sich an den „eigentlichen“ Aufgaben der jeweiligen Behörden und sind daher ressortgebunden. Der Gesetzgeber reagiert hierauf etwa mit großzügiger Einräumung gerichtlich durchsetzbarer Ansprüche (etwa im Informationsfreiheits- und Antidiskriminierungsrecht), mit Verbandsklagerechten (z. B. nach § 15 Behindertengleichstellungsgesetz[193]), sowie oft sehr weitgehenden Dokumentations- und Konzeptpflichten (etwa in Form der Gleichstellungspläne). Vielfach wird aber auch die Bestellung von (mehr oder weniger) unabhängigen behördeninternen oder behördenübergreifend zuständigen „Beauftragten“ vorgeschrieben (z. B. im Datenschutz-, Informationsfreiheits- und Gleichstellungsrecht),[194] denen teilweise auch im verwaltungsgerichtlichen Organstreit durchsetzbare Klagerechte[195] oder bereichsspezifische Aufsichtsbefugnisse (Beanstandungsrechte) eingeräumt werden.[196] Diese Beauftragten vernetzen sich oft untereinander, was ihre „Herauslösung“ aus der „regulären“ Behördenorganisation verstärkt und sie damit jedenfalls faktisch zu „Kontrastorganen“