nicht einfach, sich regelmäßig zu besuchen. So hatten die beiden Mädchen nach und nach immer weniger Zeit miteinander verbracht.
Als sie bei Nordstrom Makeup auflegten, warf Sarah einen verstohlenen Blick auf ihre Freundin. Lanies hatte pinke und blaue Strähnen in ihr blondes Haar gefärbt und ihre Augen waren bereits so dunkel umrandet, dass es eigentlich keinen Sinn machte, noch mehr Makeup auszuprobieren. Ihre blasse Haut wirkte gegen die dunklen Tattoos und das schwarze Tank Top noch bleicher. Lanie zeigte viel Haut, sodass Sarah zwischen der beabsichtigten Körperkunst auch zahlreiche blaue Flecken bemerkte.
Sie sah ihr eigenes Spiegelbild an und war über den Kontrast selbst erstaunt. Ihr war bewusst, dass sie auch eine attraktive junge Frau war, jedoch auf eine subtilere, nahezu besonnene Art. Ihr schulterlanges, braunes Haar trug sie im Pferdeschwanz, ihre haselnussbraunen Augen hatte sie mit dezentem Makeup hervorgehoben. Ihre olivfarbene Haut war makellos, im Gegensatz zu ihrer Freundin war sie nicht tätowiert und trug lange, ausgewaschene Jeans und ein unauffälliges hellblaues Top.
Jetzt fragte sie sich, ob sie ihrer Freundin heute ähnlicher sehen würde, wenn sie noch immer in der gleichen Nachbarschaft leben würde. Bestimmt nicht – ihre Eltern hätten das niemals zugelassen.
Würde Lanie in Westchester leben, würde sie sich trotzdem auftakeln wie eine Prostituierte an einem Truck-Stop?
Sarah schämte sich für diesen Gedanken und schüttelte unmerklich den Kopf. Seit wann erlaubte sie sich so schreckliche Urteile über ein Mädchen, mit dem sie früher Barbie gespielt hatte? Schnell wendete sie ihr Gesicht ab und hoffte, dass Lanie ihr die Schuldgefühle nicht ansehen würde, die ihr jetzt ohne Frage ins Gesicht geschrieben standen.
„Lass uns etwas essen“, sagte Sarah, um sich abzulenken. Lanie nickte und zusammen schlenderten sie aus dem Laden, begleitet von den argwöhnischen Blicken der Verkäuferin.
Als sie sich mit einer Riesenbrezel an einem der Tische niederließen, beschloss Sarah, ihrer Freundin auf den Zahn zu fühlen.
„Du weißt, dass ich mich immer freue, von dir zu hören, Lanie. Aber als du mich angerufen hast, hast du irgendwie aufgewühlt geklungen. Und du kommst mir die ganze Zeit schon so nervös vor… Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“
„Bei mir ist alles cool… aber mein Freund wollte uns gleich noch treffen. Vielleicht bin ich einfach gespannt, was du von ihm hältst. Er ist ein bisschen älter als ich und wir sind erst seit ein paar Wochen zusammen. Ich habe das Gefühl, dass ich ihn verlieren könnte und habe gehofft, dass du mir etwas Mut zureden kannst. Vielleicht sieht er mich mit anderen Augen, wenn er mich mit meiner besten und ältesten Freundin zusammen erlebt.“
„Wie sieht er dich denn jetzt?“, fragte Sarah verdutzt.
Noch bevor Lanie etwas antworten konnte, kam ein Typ auf ihren Tisch zu. Auch ohne die Ankündigung hätte Sarah ihn als Lanies Freund identifizieren können.
Er war groß und extrem dünn, trug enge Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Seine Haut war genauso blass und tätowiert wie Lanies. Sarah bemerkte, dass sie das gleiche kleine Tattoo am linken Handgelenk hatten: Einen Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen darunter.
Er war bestimmt zweiundzwanzig und seine langen, schwarzen, stachelig gestylten Haare und die dunklen Augen wirkten tatsächlich attraktiv. Er erinnerte Sarah an den Sänger einer Rockband aus den 80er Jahren, von dem ihre Mutter immer geschwärmt hatte. Skid Row, Motley Row, irgendetwas mit Row.
„Hey, Babe“, sagte er lässig und lehnte sich zu Lanie herunter um ihr einen überraschend intensiven Kuss zu geben – zumindest für ein kleines Shoppingcenter mitten am helllichten Tag. „Hast du es ihr schon gesagt?“
„Hatte noch keine Gelegenheit“, erwiderte Lanie kleinlaut und wandte sich an Sarah. „Sarah Caldwell, das ist mein Freund Dean Chisolm. Dean, das ist meine älteste Freundin Sarah.“
„Freut mich, dich kennenzulernen“, sagte Sarah und nickte höflich.
„Ganz meinerseits“, erwiderte Dean, nahm ihre Hand und machte eine tiefe, verspielt übertriebene Verbeugung. „Lanie redet ständig von dir. Sie würde gerne mehr Zeit mit dir verbringen. Schön, dass ihr euch heute treffen könnt.“
„Das finde ich auch“, sagte Sarah. Sie war einerseits überrascht von seiner charmanten Art, andererseits blieb sie misstrauisch. „Was sollte sie mir denn sagen?“
Dean lächelte herzlich und Sarahs Misstrauen löste sich langsam auf.
„Ach das“, sagte er. „Heute Nachmittag kommen ein paar Freunde bei mir vorbei und wir dachten, dass es nett wäre, wenn ihr auch dazu kommt. Ein paar Leute spielen zusammen in einer Band und sie suchen eine neue Sängerin. Lanie hat erwähnt, dass du toll singen kannst und wir dachten, dass du sie vielleicht gerne treffen willst.“
Sarah sah zu Lanie, die zwar lächelte, aber nichts sagte.
„Möchtest du das gerne, Lanie?“, fragte Sarah sie direkt.
„Wäre doch lustig, neue Leute zu treffen“, sagte Lanie. Sie klang neutral, aber ihr Blick flehte Sarah wortlos an, sie vor ihrem coolen neuen Freund nicht zu blamieren.
„Wo wollt ihr euch denn treffen?“, fragte Sarah.
„Nicht weit von Hollywood“, sagte er. Seine Augen leuchteten freudig auf. „Dann mal los! Das wird bestimmt witzig!“
*
Sarah saß auf dem Rücksitz von Deans alten Sportwagen. Der Oldtimer sah von außen sehr gepflegt aus, aber im Innenraum wimmelte es nur so vor Zigarettenstummeln und zusammengeknüllten McDonald’s Papieren. Dean und Lanie saßen vorne. Die Musik war so laut aufgedreht, dass es unmöglich war, sich zu unterhalten. Sie knatterten durch die Straßen von Hollywood und erreichten bald den Stadtteil Little Armenia.
Sarah beobachtete ihre Freundin auf dem Beifahrersitz und fragte sich, ob sie ihr wirklich einen Gefallen tat, indem sie sich auf diesen Ausflug eingelassen hatte. Sie musste daran denken, wie Lanie ihr auf der Toilette im Shopping Center gegenüber gestanden hatte, bevor sie losgefahren waren.
„Dean ist sehr leidenschaftlich“, hatte sie gesagt, während sie ihren Lidstrich nachgezogen hatte. „Ich befürchte, dass er mich vielleicht abserviert, wenn ich nicht mitziehe. Er ist so sexy, er könnte jede haben. Aber er will mich. Und er behandelt mich nicht wie ein kleines Mädchen, sondern wie eine richtige Frau.“
„Hast du deswegen diese blauen Flecken? Weil er dich nicht wie ein kleines Mädchen behandelt?“
Sie hatte versucht, Lanies Blick im Spiegel zu begegnen, aber ihre Freundin wich ihr aus.
„Er war nur ein bisschen aufgebracht“, sagte sie. „Er dachte, dass ich mich für ihn schäme und ihm deswegen von meinen anständigen Freundinnen fern halte. Aber in Wahrheit habe ich kaum mehr Freundinnen wie dich. Genau genommen bist du die einzige. Ich dachte, wenn ich euch einander vorstelle, kann ich doppelt bei ihm punkten: Dann weiß er, dass ich ihn nicht verstecken will und er ist beeindruckt, weil ich wenigstens eine Freundin habe, die … naja… eine echte Zukunft hat.“
Ein Schlagloch holte Sarah in die Gegenwart zurück. Dean parkte auf einer heruntergekommenen Straße. Die wenigen Häuser hatten vergitterte Türen und Fenster.
Sarah holte ihr Handy aus der Hosentasche und versuchte zum dritten Mal eine kurze SMS an ihre Mutter zu senden, doch wie zuvor hatte sie keinen Empfang. Das Seltsame war, dass sie immer noch mitten in L.A. waren, nicht irgendwo in den Bergen.
Als Dean den Schlüssel abzog, steckte Sarah ihr Handy schnell wieder ein. Wenn sie im Haus immer noch keinen Empfang hatte, konnte sie bestimmt seinen Festnetzanschluss benutzen. Ihre Mutter ließ ihr viel Freiheit, aber wenn sie sich mehrere Stunden nicht meldete, ging das gegen ihre Vereinbarung.
Als sie zum Haus gingen, konnte Sarah bereits einen rhythmischen Bass hören. Ein unsicheres Gefühl lag ihr in der Magengrube, doch Sarah beschloss,